Samstag, 10. August 2013

John Newman: Love Me Again



Existiert eigentlich schon eine Schublade für das, was da seit einiger Zeit musikalisch auf den britischen Inseln passiert? – Ich meine diese rhythmisch betonten, gern auch elektronisch instrumentierten Titel und Tracks mit verzweifeltem Gesang, die so schön desillusioniert intime Dramen zerlegen. In ihrer Kombination aus gefühlsbetonter Stimme und dekonstruiertem Sound beschreiben sie eine immer wieder nicht funktionierende Beziehungslandschaft, ein Versagen des Menschen im Privaten, dass sich wunderbar spiegelt in der zersplitterten und pseudo-individualisierten, globalen Welt.

Die direkten Vorläufer für diese neue Art der Beschreibung sind zu finden im Erfolg von solchen Künstlerinnen wie Amy Winehouse, Duffy und schließlich auch Adele. So verschieden deren einzelne Zugriffe waren, sie alle transformierten den altehrwürdigen Soul ins aktuelle Jahrhundert, ohne Angst vor einem Flirt mit der Popkultur. Nicht in jedem Fall ging das gut aus – zumindest was die Lebenswege dieser Frauen angeht. Musikalisch war und ist das was dort entstand ein spannender Prozess gewesen.

Viel war vor etwa fünf Jahren, als die Damen ihre ersten großen Erfolge feierten, von Northern Soul die Rede. Die US-amerikanische Tradition war Vorbild und gleichzeitig auch etwas, von dem man sich abgrenzen wollte und musste. Rassenunterscheidungen, die im Soul irgendwie immer als Background mitgedacht werden mussten, spielten keine Rolle mehr, bzw. wurden in der weißen Variante zwangsläufig nicht bedient. Das private Gefühlsdrama war eben genau das: Ein privates Gefühlsdrama ohne großen gesellschaftlichen Kontext. Ganz traditionell geschlechterspezifisch waren es dann auch vorrangig Frauen, die ins Rampenlicht gestellt wurden. So ein Produzent wie Mark Ronson blieb doch ganz gern im Hintergrund. Männer und private Gefühle – immer wieder ein schwieriges Thema.

Mit der neuen Variante des britischen Soul wird dieses statische Rollenverständnis interessanterweise aufgebrochen. Vertreter wie Alex Clare oder John Newman stehen recht gleichwertig neben einer Künstlerin wie Emeli Sandé. Sie versehen Soul nun nicht einfach nur mit ein wenig Pop-Glanz, sie schicken das Ganze eher wieder ein Stück zurück auf die Straße, und mischen ihre Geschichten mit Dubstep oder Drum and Bass. Das private Dilemma erfährt so eine Rückkopplung mit einer etwas weiteren Sicht auf die Welt. Unser Leben ist geprägt von Widersprüchen, Unterbrechungen, großen und kleinen Rhythmuswechseln – und genauso sind es die Beziehungen und Selbstwahrnehmungen.

Der im Moment am meisten beachtete Vertreter dieser Entwicklung ist John Newman. Vor einem Jahr, als Alex Clare mit Too Close wenn auch reichlich spät, so aber doch enorm eindrucksvoll den Wobbelsound in Deutschland zum Mainstream machte, da lieh John Newman dem Duo Rudimental für zwei Tracks seine Stimme. Feel The Love schaffte es sogar in Deutschland zu einiger Aufmerksamkeit. Für den nach wievor unterrepräsentierten Drum and Bass ein enormer Erfolg.



Mittlerweile steht John Newman kurz vor Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums. Mit Love Me Again sind die Erwartungen auf dieses enorm hoch gehängt. Am unglaublichsten mutet für mich der Fakt an, dass diese von Gefühl und Verletzlichkeit schier versagende Stimme einem gerade 22-jährigen gehört. Wie schafft es ein junger Mensch, so lebenserfahren und authentisch zu klingen? – Er nimmt seine Gefühle ernst und breitet sie vollkommen ungefiltert, ungeglättet vor uns aus. Großartig .



Ich würde mir wünschen, dass auch in Deutschland die jungen Liedermacher und Poeten diesen Mut hätten. Für meine Begriffe brauchen ihre poetischen Geschichten keine glattgeputzte und saubere Interpretation. Das Leben, und gerade das Beziehungsleben und das Leiden ist auch nicht hübsch und sauber. Es sei denn, man richtet sich darin ein und findet es doch auch ganz schön und komfortabel so melancholisch dahin zu leiden. Bis sich eine wirklich zeitgemäße und eigene Variante von Soul in Deutschland (oder Kontinentaleuropa) entwickelt, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Wenn es überhaupt passiert.




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