Freitag, 24. November 2017

Portugal The Man (P.T.M.): Feel It Still



Seit zwei Monaten steht dieser Song ganz oben in meiner Playlist. Und mit jedem Hören werde ich süchtiger. Immer noch. Und das, obwohl es eine Menge gibt, was ich hier zerfleddern könnte. Dann mal los!

Erstmal: Schon wieder so eine Jungs-Band. Wenigstens haben sich Portugal. The Man für Feel It Still eine Frau ans Mikro und ins Video geholt. Oder gehört Zoe Manville nun fest zur Band? – Die verschiedenen Plattformen und Foren sind sich da nicht sicher. Der Stand ist wohl: Gehört nicht zur Band, wird aber gern für Vocals eingeladen.

Um es gleich noch ein bisschen uneindeutiger zu machen, bewegt John Gourley im Video seine Lippen zur Stimme von Zoe Manville. Gender trouble im Jahr 2017.



Jaja, dieses Video. So schön wirr gab es schon lange keinen Mainstream-Hit mehr. Da wird alles durcheinander gequirlt: Traumgestalten, finsterste Provinzpartyplätze, moderne Unorte, Retro-Medien ... voll zu Recht logiert die Band in der Ecke Psychedelic.

Das ist das Großartige an Portugal. The Man – sie sind angetreten die öde Langeweile der Normalität zu durchbrechen. Fuck Normcore – let's have some real fun. Und vor allem: Mach dein eigenes Ding.

Die Band nimmt dazu ganz gern Bezug auf vergangene Zeiten. In Feel It Still heißt es:
I'm a rebel just for kicks
I've been feelin it since 1966
let me kick it like it's 1986


Ist natürlich eine äußerst verklärte Sicht der Dinge: 1966 (und 86 sowieso) war auch schon plastic und voller Regeln und Vierbote. Und wer damals rebellierte war wesentlich schneller draußen als man sich heute vorstellen kann. Endgültig.

Und trotzdem verzeihe ich den vier Jungs diesen Griff in die Trickkiste. So wie ich auch die Hardcore-Hipster mit ihrem Hang zu Handwerk und Landwirtschaft voll akzeptiere und irgendwie auch bewundere. Ich glaub' zwar nicht, dass dieses "Back to the nature" konsequent umgesetzt auch nur im Ansatz funktioniert, komplett vergessen und ignorieren würde ich die Verbindung zu den Basics allerdings nicht. Und vielleicht ist das der Grund, warum ich Feel It Still doch so überzeugend finde. Nach dem großen Oberflächen-Hype des Hipsterismus nun also mal ein Stückchen der dahintersteckenden Philosophie in ein Bandkonzept gegossen. Mit allen Für und Widers.

So lange Portugal. The Man weiter multikulturelle Einschübe und moderne Technik nutzen, ältere Ansätze also ins Heute transportieren, so lange werde ich wohl weiter Freude an Ihnen haben.

Freitag, 17. November 2017

Marshmello Ft. Khalid:
Silence



Newcomer-Alarm! Marshmello stellt sich vor als ein junges DJ- und Produzenten-Talent und schafft es innerhalb von zwei Jahren bis in die deutschen Top 10. Die Karrieren scheinen sich mit den digitalen Verbreitungsmöglichkeiten ordentlich zu beschleunigen. In einer Menge Fälle auch zu verkürzen ... aber das steht auf einem anderen Blatt.

Marshmello hat es vermutlich so schnell zu Popularität gebracht, weil sein Sound ordentlich an dem entlangsurft, was gerade international Mainstream ist. Ein Ding zwischen The Chainsmokers und Alan Walker. Etwas weniger bombastlaut und introvertiert vielleicht, deshalb auch ganz gut verträglich. Tatsächlich tut es dem überpräsenten Electronic Dance/Future Bass ganz gut, ein paar Minimeter leiser gedreht zu werden.

Das ist dann aber noch nicht das ganze Geheimnis. Denn Silence lebt ganz wesentlich von einer ebenfalls neuen Stimme. Khalid heißt der junge Sänger, der sich gerade als Poet seiner Generation vorstellt. Er benennt in Songs wie Young Dumb & Broke oder Silence, wie sich junge Menschen heute fühlen, was (nicht nur) sie nicht verstehen, was sich schräg anfühlt. Man kann in den Beschreibungen auch eine ganz schön romantisch-verklärte Traum-Idealisierung der Welt ausmachen. Allerdings ist das vor allem die Traumwunschwelt seiner Eltern – Khalid selber ist sich schon ziemlich bewusst, dass das alles nicht erreichbar ist. Vielleicht nicht mal erstrebenswert. Und deshalb ist seine Beschreibung zwar auch ganz schön ernüchternd, aber nie selbstbemitleidend oder jammernd. Khalid geht mit den Umständen um, nicht dass er sie besonders prickelnd findet, aber er weiß seinen Weg darin zu machen:
I found peace in your violence
I'm at one with the silence


Das ist ganz schön stark. Und vor allem tatsächlich eine Nuance anders als die jämmerlich verklärten und arg weinerlichen Jungs von den Chainsmokers, die mit ihrem Partyrock doch immer auch etwas hilflos der immer komplizierter werdenden Welt gegenüber stehen.

Silence also könnte durchaus so etwas sein wie der Beginn von zwei erfolgreichen Karrieren. Ob es für längeren Erfolg reicht oder in einem Jahr beide schon wieder vergessen sind, da bin ich derzeit eher noch unschlüssig.


Freitag, 10. November 2017

Kollegah & Farid Bang: Gamechanger



Pre-Release Nummer vier – Top 10-Hit Nummer drei – das ist Gamechanger von Kollegah & Farid Bang, die derzeit mit Brachialgewalt auf den Release ihres anstehenden Albums Jung Brutal Gutaussehend 3 (liebevoll abgekürzt "JBG3") aufmerksam machen. Man könnte das Kampfmarketing nennen. Oder Brutalvermarktung. Beides würde den beiden Rappern vermutlich sehr gefallen, denn natürlich lieben sie ihr Image als stahlharte Jungs.

Obwohl sie mit ihrer Selbstverarsche als Farid Ben & Friend gnadenlos gezeigt haben, wie selbstironisch sie auch sein können. Und gleichzeitig haben sie allen ihren Kritikern mal gleich den Wind aus den Segeln genommen: Wir wissen, warum ihr uns Scheiße findet – Ihr seid sooo laaaangweilig.

Und fröhlich ballern sie also in Gamechanger wieder drauf los. Mit möglichst noch krasseren Bildern. Mit noch mehr Gewalthymnen. Mit noch mehr Vulgärausdrücken. .... Ehm, Moment mal – warum genau soll ich mich darüber aufregen?

Na gut, im Video wird ein Mensch an einem Mast angezündet. Ganz schöner Tabubruch. Und weiter? Die Lyrics mit noch mehr Gewaltorgien – Jo Nesbø hätte seine Freude daran. Die Sprachbilder und Mordfantasien sind ziemlich alte Hüte...



Stellt sich vielleicht noch die Frage, wollen Kollegah & Farid Bang eigentlich, dass man sich mit ihnen irgendwie auseinandersetzt? Vermutlich eher nicht. Sie wollen verkaufen. Sie wollen angehimmelt werden. Sie wollen endlich Anerkennung.

Blöd finden sie, wenn die KMN Gang ihnen plötzlich den Rang abläuft. Das stelle man sich mal vor: Ein Panzerknacker wie Kollegah hat es irgendwie nötig Waschlappen wie Miami Yacine zu dissen. Deren Style sogar nachzuäffen mit einem eigenen Track. Der sich dann auch noch besser verkauft als Nr.1-Hit Sturmmaske auf.

Irgendwie klingt das alles reichlich bescheuert. Naja – wahrscheinlich merken's die beiden gar nicht.

Freitag, 3. November 2017

Ed Sheeran. Perfect




Wo sind eigentlich die coolen Songs von Ed Sheeran hin? So etwas wie seine großartige Zusammenarbeit mit Hoodie Allen? Oder sein funky hit Sing?

Irgendwie scheinen die Zeiten mit dem Album Divide vorbei zu sein. Gerade mal noch, dass Shape Of You ein Meilenstein moderner Poesie und Produktion war–der Rest ist dann doch eher reichlich romantisch-retrospektive Gefühlsduselei. Allerdings – auch das muss ich im Fall von Perfect zugeben - doch sehr sensibel auf den Punkt gebracht.

Genau genommen ist Perfect nämlich ganz schön schrecklich: Geigenbegleitung, eine Geschichte über eine ewig dauernde Kinderliebe, eine fast schon Schubidu-Melodie und dann auch noch diese furchtbare Romantik-Sologitarre. Gut, dass es im Hintergrund ganz fein ein repetetives Piano gibt, dass Ed Sheeran so gut wie nie singt, ohne sich bis zum Exzess zu steigern, bis die Stimme versagt. Das ist dann doch schon ganz ordentlich an glaubhaftem Begehren dran. Halte ich also staunend aus. Oder je nachdem, wie verliebt ich bin, spricht es mir direkt aus dem Herzen.

Weniger überzeugend ist das dazugehörige Video. Ich weiß nicht, wer dem jungen Mann diese bräsige Choreographie auf den Leib geschrieben hat. Und dann auch noch ein Liedermacher in Anzughose und Weste ... das machen dann auch der Struwelkopf und die Tattoos nicht wirklich wett. Das ist ordentlich bieder, die Mütter dieser Welt haben ihre Freude dran und wünschen sich genau diesen Typen zum Schwiegersohn.



Ed Sheeran gehört dieses Jahr 2017. Da können keine Latino-Hits oder Strassenbanden mithalten. Der Liedermacher-Junge hat die Menschen derart verzaubert, da kann er momentan machen was er will. Ich wünsche mir jetzt allerdings, dass er einfach mal wieder ein bisschen weniger Erfolg hat und dafür mehr Lust auf ungewöhnliche Kooperationen, auf Funk und vielleicht auch Elektronik, kurz: auf 21. Jahrhundert.