Freitag, 27. Januar 2017

The Chainsmokers: Paris



Wenn ein US amerikanischer Act von einer europäischen Hauptstadt schwärmt, dann ist das Anfang 2017 schon einigermaßen ungewöhnlich. Laut offizieller Sichtweise ist Europa ja derzeit eher der Kontinent des Chaos und der ungeordneten Zustände. The Chainsmokers sehen das aber irgendwie anders. Paris – das ist noch immer ein Sehnsuchtsort. Dorthin kann man vor den Eltern fliehen und das Leben ausprobieren. Ist vielleicht nicht ganz ungefährlich, aber auf jeden Fall intensiv. Und vor allem ein Ort um zu beweisen, dass man es eben doch auch hinkriegt.

Das ist vielleicht nicht ganz das romantisch-verkitschtee Bild, das sonst so gern von der französischen Hauptstadt gezeichnet wird, aber es ist insgesamt doch ein sehr sehr schönes Kompliment.

Gemäß den 2010er fabrizieren The Chainsmokers aber nicht einfach so eine Hymne auf eine Stadt hin – auch in Paris ist der Ort lediglich Kulisse. Es geht vielmehr um die eigenen Befindlichkeiten. Und die sind schon auch ganz schön kompliziert. Eine Stadt allein macht nicht glücklich. Und wer nicht richtig glücklich ist, kann auch die unglaublichste Stadt nicht unbedingt genießen.

So ist also Paris auch ein sentimentaler Blick zurück. Eigentlich war es ganz schön dort, aber was eigentlich war das genau? Und was ist diese irgendwie schöne Vergangenheit wert, wo es doch im Jetzt immer noch nur darum geht, sich zu beweisen? Wer weiß schon, was damals in Paris war?

Gefangen in der Existenzialisten-Schleife – passt ja irgendwie auch zu Paris.

Die musikalische Ummantelung nimmt nochmal etwas mehr Abstand von den elektronischen Wurzeln des Duos. Gitarre, Klavier, Schlagzeug ... das kommt alles schon reichlich akustisch daher und zeigt nochmal eine ganz andere Facette der Chainsmokers. Erst zum Ende des Songs hin steigert sich der Song zur gewohnten Pop-Bombastik – und lädt zum Schwelgen ein. Die beiden sind eben doch sowas wie die Erben der Pet Shop Boys, die ohne die große Geste nicht so richtig können.

So legen also The Chainsmokers eine Mischung hin, die derzeit in der westlichen Welt ganz hervorragend ankommt. Pathos, oberflächlicher Glanz, Inszenierung, Worthülsen – dahinter vor allem melancholische Unsicherheit und eine gehörige Portion Unglück. Es liegt auf der Hand, dass es schwierig wird, diese Situation aus eigener Kraft zu ändern. Oder wenigstens anders drauf zu blicken. Also baden wir noch ein bisschen drin.

Freitag, 20. Januar 2017

Ed Sheeran: Castle On The Hill



Habe ich letzte Woche Ed Sheeran über den grünen Klee gelobt, so kommt hier die harte Landung. Castle On The Hill ist die zweite Single, die das Album Divide ankündigt. Und auf der macht Ed Sheeran alles das, was so ein Singer/Songwriter erwartbarerweise irgendwann mal machen muss. Er begibt sich auf den Weg zu seinen Wurzeln, in seine Jugend, da wo alles noch so einfach war und das Leben voller Überraschungen. Zu den Leuten, die ihn das Leben gelehrt haben, mit denen er aufgewachsen ist – Freunde für's Leben sagt man dazu auch gern …

Und das Ganze hat tatsächlich einen ziemlich bitter-traurigen Unterton. Denn alles was diese Freunde im Heute sind, klingt irgendwie schäbig und viel weniger wert als das Kinderjugenddasein:
One friend left to sell clothes
One works down by the coast
One had two kids but lives alone
One's brother overdosed
One's already on his second wife
One's just barely getting by

Da bleibt nicht viel übrig als die schönen Erinnerungen.

In diese Welt fährt Ed Sheeran also zurück. Und er freut sich drauf. Er freut sich auf die Erinnerungen: Früher war alles gut.

Hmm - das ist so die Haltung, die wir doch recht häufig antreffen. In allen Generationen. Früher – ja, früher, da war die Welt noch in Ordnung!

Ist natürlich alles Quark. Mag sein, für manchen waren die Jugendjahre die glücklichsten. Aber hey, wer es nicht schafft als erwachsener Mensch immer noch Spaß und Freude zu haben, sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden, dem oder der ist vermutlich wirklich nicht mehr zu helfen. Denn das Glück der Jugend liegt doch vor allem darin, dass man beschützt wird von den Eltern. Die am Ende sehr stark bestimmen, wohin man sich entwickelt. Von wegen Freiheit und Glück. Vielleicht so ein bisschen beim Rumalbern in der Pampa. Aber entscheide dich mal mit 14 einfach so auszuziehen oder die Schule zu schmeißen – Stress vorprogrammiert. Also bleibst du eben doch in den vorgeplanten Bahnen und reißt den vorgezeichneten Weg runter. Am Ende traust du dich gar nicht mehr, irgendwas abseits der Normalität zu tun und endest im tristen, langweiligen Alltag. Schade!

Ich habe mein Leben bisher völlig anders gelebt. Ich bin glücklich aufgewachsen, beschützt, behütet und auch genauso ausgelassen wie es Ed Sheeran beschreibt. Aber ich fand es auch cool mit Mitte zwanzig genau das zu machen, was mir gefällt. Meine Eltern und Großeltern – waren mir weitestgehend egal. Ich hab sie allerdings auch nie um Unterstützung für meine Entscheidungen gebeten. Mit 30 wusste ich, was ich vom Leben wollte und kriegen konnte und ein paar Jahre später haben sogar meine Eltern meinen Lebensstil ein bisschen bewundert. Und als mich meine Mutter zum 40. fragte: Was würdest du anders machen, wenn du nochmal Leben könntest? - da war meine Antwort: Nichts!

Und genau deshalb kann ich so einen verklärenden Jugendheimatlobgesang nicht teilen. Alles, was damals schön war, ist heute noch genauso. Ich guck mir romantisch den Sonnenuntergang an, ich verliebe mich, ich lerne Menschen kennen, ich habe Freunde, ich lebe … Warum nochmal soll es an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, so besonders sein?

Konsequenterweise erzählt mir Ed Sheeran die Geschichte von seiner Rückkehr in die Heimat- und Jugenderinnerungen in einem Sound, der ebenfalls weit weit zurück liegt. Die Gitarrenwellen klingen ordentlich nach U2 in den 80ern. Und Tiny Dancer von Elton John wird dann auch gleich noch zitiert. Aber halt: Mitte 80er war Ed Sheeran doch noch gar nicht auf dieser Welt. Und Tiny Dancer stammt sogar aus dem Jahr 1971. Hier wird also eine Zeit vergoldet, die gar nicht selbst erlebt wurde, also ein Märchentraum. Ach je ... da war die eigene Jugend dann vermutlich doch gar nicht so rosig. Nur die Brille durch die wir blicken, macht sie so schön.

Vielleicht blickt Ed Sheeran so gern auf die Jugend, weil er mit Mitte 20 einfach noch nicht erwachsen genug ist. Alles befindet sich noch im Umbruch. Kann ich das jetzt entscheiden oder soll ich doch noch meine Eltern fragen? Wie doof ist das denn, das ich jetzt selbst entscheiden muss, was ich mir leisten kann? Und was erwarten die Menschen von mir? Darf ich mich einfach so gehen lassen? Und wie doof ist das eigentlich, dass ich jetzt alles eigenverantwortlich entscheiden muss?

Das, wonach sich Ed Sheeran zurücksehnt, ist die Zeit der konsequenzlosen Handlungen. Die Zeit der Unmündigkeit. Ich finde nicht, dass es sich lohnt, diesen Zeiten auch nur eine einzige Träne nachzuweinen. Noch schlimmer: Diese Einstellung halte ich sogar für ziemlich gefährlich. Sie ist nämlich durchaus ein Grund, warum es Leuten egal ist, hinter welchem Namen sie ein Kreuz machen. Einfach nicht mehr nachdenken müssen und irgendwelche Typen machen lassen. Bloß keine Verantwortung übernehmen. Dann kann man hinterher auch schön drüber meckern …

Schade eigentlich. Ich glaub, Ed Sheeran sollte einfach noch ein paar Jahre älter werden. Vielleicht erkennt er dann wie geil das Leben sein kann, wenn man sich die Freiheiten der Jugend einfach bewusst nimmt und selbst bestimmt, wie alt man sich fühlt. Zur Burg auf dem Hügel kann man dann natürlich trotzdem noch gehen. Einfach ohne dieses seltsame Zurücksehnen.


Freitag, 13. Januar 2017

Ed Sheeran: Shape Of You



Bam – da ist er wieder! Kaum hat das Jahr 2017 begonnen, da wirft Ed Sheeran zwei Singles gleichzeitig auf den Markt um sein kommendes Album Divide anzukündigen – und schwups hat er gleich den ersten Superhit etabliert.
Ich war einigermaßen überrascht, den Sänger auf Anhieb auf Platz 1 zu entdecken (und auf Platz 2 gleich nochmal). Ja, Ed Sheeran hat sich in den letzten fünf Jahren ganz gut etabliert – als solch einen Megastar habe ich ihn allerdings nicht wahrgenommen. Die aktuelle Nachfrage lässt aber keine Zweifel offen. Ed Sheeran gehört jetzt zu den ganz Großen.

Für die aktuelle Popmusik ist das sogar ganz gut, denn Ed Sheeran zeichnete sich in den vergangenen fünf Jahren vor allem durch Experimentierfreude und Stilvielfalt aus. Das liegt vor allem an den Kooperationen, die er so einging – oder die seine Songs per Remix erfuhren. Ob Kygo, Hoodie Allen, Felix Jaehn oder Rudimental – da war schon einiges dabei, was seinen eigenen Stil nochmal schon bereichert und beeinflusst hat. Und so ist auch Shape Of You eine sehr clevere Mischung. Das Intro knüpft raffiniert an Tropic-House-Hörgewohnheiten an, wird dann aber durch einen minimalen Funk-Rhythmus ergänzt, den Ed Sheeran mit einer sehr hübschen Alltagsgeschichte garniert. Und obwohl sich die Instrumentierung Stück für Stück steigert, wirkt der Song in keiner Sekunde überinszeniert oder pompös. Selbst der Juchzer mit Reminiszenz an Michael Jackson fügt sich hier wie selbstverständlich ein.

Einen wesentlichen Anteil an dieser großartigen Mischung hat Produzent und Co-Autor Steve Mac. Bereits für die Vorgänger-Nr. 1 Rockabye zeichnete er als Produzent verantwortlich und zeigte darauf mit welcher Leichtigkeit sich Dancehall und Pop verbinden lassen. Hier bei Shape Of You passiert das Gleiche – nur mit anderen Zutaten.

Zweiter Bestandteil ist der faszienierende Wechsel zwischen Sprechgesang und Falsettmelodie. Ed Sheeran erzählt von überraschenden Begegnungen, von der unbeholfenen Art, sich einer attraktiven Person zu nähern und vor allem von der Begierde und Lust, die durch ein attraktives Äußeres ausgelöst werden. Ja – hier geht es um ganz oberflächliche Lust, um Sexappeal, und darum, wie schwer es uns fällt, dem einfach nachzugeben. Und das ist richtig schön. Denn es ist trotzdem nicht so prollig doof, wie die Mehrheit der Rap- und Dancefloor-Produktionen. Es redet nicht drumrum und bleibt dennoch respektvoll. Am Ende ist es sogar die Frau, die sagt: "Hey komm, laber nicht rum, sondern lass uns endlich mal körperlich werden!"

Pophistorisch spannend ist die Feststellung, dass 1981 Olivia (Newton-John) genau diese Situation schon beschreibt mit Get Physical. So weit waren wir also schonmal – oder ist etwa gar nichts passiert seitdem?
Zumindest wenn ich mir den immer noch überbordenden Erfolg der aseptischen Helene Fischer anschaue, denke ich, eine ganze Menge Frauen spielt heute doch wieder ganz gern das kleine, romantische Heimchen. Sex? – Bloss nicht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Und alle die, welche da ganz ungeniert auf Biest und Bitch machen, die bleiben am Ende genau in ihren Rollen gefangen und werden kaum akzeptiert.

Großartig an Shape Of You ist deshalb vor allem die Normalität, mit der hier die (weibliche) Lust auf Körperkontakt beschrieben wird. Danke genau dafür.

Freitag, 6. Januar 2017

AW: Alone



Weiß irgendjemand nicht, was diese beiden Buchstaben bedeuten? Das scheint mir schier unmöglich, nachdem der Norweger Alan Walker 2016 so etwas wie das beste Debüt hingelegt und mit seiner ersten Single Faded gleich auch noch den bestverkauften Hit des Jahres abgeliefert hat.

Ein paar Pop-Kommentatoren wie Henning Uhle haben in dem Song den Soundtrack zur Flüchtlingskatastrophe gehört. Vielleicht gar nicht so abwegig. Sing Me To Sleep hat es dann immerhin auch noch zu Top 10-Status gebracht mit einer fast schon optimistischen Zustandsbeschreibung. Mit Alone macht der DJ und Produzent aber nochmal eindeutig klar: Das Leben ist nicht lustig. Es ist hart, einsam, erfordert eine Menge Mut und vor allem die Gewissheit, dass man nicht allein ist, einem größeren Zusammenhang angehört, einer Bewegung.

Im Gesang geht das Ganze noch ordentlich als One-Night-Stand oder ähnlich gelagerter Liebesflirt durch. Mit dem Video wird es dagegen schon deutlich politischer. Dort verabreden sich nämlich die Einzeltäter und Sleeper zu einer gemeinsamen Aktion. Wer angesichts der momentanen Terrorattacken keine Parallelen erkennt, der/die hat wahrscheinlich wirklich nur mit dem eigenen, kleinen Sein zu tun.



Da rätseln also soundso viele schlaue Menschen, was Jugendliche bewegt sich einer Organisation anzuschließen, die etwas Größeres verspricht – muss ja nicht immer Terror sein – und eigentlich liegt es hier doch ganz klar auf der Hand. Gemeinsam auf einen Berg steigen, die gleiche Musik hören, Menschen finden, die sich genauso wenig aufgehoben in ihrer Umgebung finden wie ich … so einfach ist das.

Bei Alan Walker steht am Ende so etwas wie ein Glücksversprechen: Die Walkers treffen sich und erfahren auf einem norwegischen Gipfel das Gefühl von Gemeinsamkeit. Die Masken sind nicht mehr nötig. Und vielleicht ist das auch der erste Schritt zurück in das bestehende soziale Umfeld. Denn mit solch einer Sicherheit lässt sich schon eine Menge mehr aushalten.

Könnte also gut sein, dass Alan Walker hier schon wieder eine Zeitgeist-Hymne produziert hat. Anders als Faded lässt er hier aber durchaus ein paar Möglichkeiten offen. Das Rave-Signal tönt euphorischer – die Zeit der apathischen Trauer scheint vorbei zu sein.