Freitag, 30. September 2016

Sia (featuring Kendrick Lamar): The Greatest



The Greatest hat zuerst einmal für Aufmerksamkeit gesorgt durch das Video. Mit Regenbogen-MakeUp, 48 invovlierten Tänzer*innen und Einschusslöchern in einer Wand wird es als eine Erinnerung an die 49 Opfer des Attentats auf das Pulse in Orlando gelesen. Dazu die sich selbst motivierenden Lyrics "I'm free to be the greatest, I'm alive" - hier könnte eine neue Hymne der LGBTI-Bewegung vorhanden sein. Direkt in der Tradition zu Gloria Gaynors I Am What I Am.



Choreographie, Darstellerin Maddie Ziegler und auch musikalisch greift Sia auf ihr vertrautes Repertoire zurück. Das beherrscht sie sicher, das hat immer noch genug Überzeugungskraft und Zeitgeist, dass es auf Gegenliebe trifft. Auch wenn sich an einigen Stellen durchaus Ähnlichkeiten zum Vorgänger Cheap Thrills oder dem derzeitigen Major Lazer/DJ Snake-Sound feststellen lassen. Das ist ein ganz solider Track, der ruhig noch ein paarmal im Radio laufen sollte.


Freitag, 23. September 2016

Bonez MC RAF Camora Feat. Maxwell: Ohne mein Team

Ui - das wird jetzt hart. Ich als überhaupt nicht Zugehöriger zur Zielgruppe von Deutschrap beschäftige mich mit dem neuen Wunderzauberduo Bonez MC & RAF Camora. Das kann ja nur schief gehen.
Allerdings, wenn sich von einem Album alle Einzeltracks in den Songcharts wiederfinden und selbst eine Woche danach immer noch 10 davon so oft gestreamt, geladen, gekauft werden, dass es wieder für eine Platzierung reicht, dann gehört dieses Album wohl auch in den Bereich Popphänomen und damit hierher.

Interessanterweise ist es gar nicht der Titeltrack "Palmen aus Plastik", der die meiste Aufmerksamkeit erfährt, sondern der Track "Ohne mein Team". Top 10 Status und nahe dran an dem, was man schon Tageshit nennen könnte. Für deutschen Rap eher ungewöhnlich. Da kamen bislang vor allem die Kollaborationen mit seichten Liedermachern oder Schlagerhelden zu Hit-Ehren. Und es ging und geht vor allem um den einen King, den einen Helden, der sich gegen alles durchsetzt und den selbst die schlimmste Kindheit und Jugend im Ghetto nicht umbringt. Bonez MC und RAF Camora setzen dagegen ... oder eigentlich vor allem dazu: Die Crowd, die Hood, das Team.

Wir sehen uns hier einem Selbstverständnis gegenüber, das dem gnadenlos übersteigerten Individualismus und Hedonismus den Stinkefinger zeigt. Klar geht es immer noch um Spaß und Drogen und Sex – politisch unkorrekt und machohaft wie eh und jeh. Das alles gehört aber mindestens geteilt mit den Jungs aus der Gang. Was nutzt mir der ganze Klunker und Blingbling, wenn ich allein feiern muss? Lasst uns gemeinsam den Club rocken.

Dieser Wechsel bedeutet noch eine ganze Menge mehr.
Einmal heißt es: Ey, ich hab jetzt so viel Kohle, Macht und Ansehen – das reicht locker für alle.
Sozusagen die völlige Übersteigerung des "Mein goldener Benz, mein Schloss, meine Diamanten …" - damit auch die logische Fortsetzung des Materialismus-Wahns, von dem die Rap-Jungs ja irgendwie alle doch immer besessen sind.

Gleichzeitig ist die neue Haltung auch ein Zusammenrücken. Wir gehören zusammen, wir leben miteinander, wir machen uns das Leben gemeinsam schön. Das kann man gut und gern ganz positiv deuten: Hier wird es wieder sozialer. Auch wenn eigentlich kein Platz mehr im Mercedes ist, rücken wir doch zusammen und gehen alle gemeinsam auf Tour. Das ist verglichen mit dem bisherigen Gangster-Rap doch eine durchaus neue Nuance. Zumindest wurde sie in der Deutlichkeit in den letzten Jahren nicht allzu oft zelebriert

Andererseits besteht beim Zusammenrücken natürlich auch die Gefahr, dass alle die, die nicht zum Team gehören, noch viel mehr draußen sind. Das kennen wir von allen möglichen kulturellen und sozialen Gruppierungen – der Bezug auf die eigene Zusammengehörigkeit macht mitunter und nicht selten aggressiv gegenüber allen, die irgendwie anders sind.

Bonez MC & RAF Camora umschiffen diese Klippe ganz clever. Da wird nämlich erstmal alles in einen Topf geworfen: Hamburg, Berlin, Wien, Arabs, Latinos, Ghanaer, Brasilianer… Schon ist das Ganze gar nicht mehr so Deutsch-Rap wie befürchtet. Plötzlich ist es fast schon Multikulti, total global und ordentlich anschlussfähig. Fast denke ich: Auweia, wie konnte das nur passieren? Werden die Rap-Jungs jetzt etwa alle zu Hippies mit Knarren?

Auch musikalisch geht es bei Bonez MC & RAF Camora quer durchs Beet. Reggae, DanceHall, Mombathon – egal wo es herkommt, am Ende ist es meist ein ziemlich geiler und ansteckender Sound, der sich locker an dem messen kann, was international durch DJ Snake, Diplo und Konsorten propagiert wird. Ich vermute mal, dass diese Mixtur ein ganz wesentlicher Grund für den riesigen Erfolg der beiden ist. Feiernde Meuten besitzen ja durchaus Anziehungskraft – auf dem Oktoberfest stürze ich mich auch ins Getümmel aus lauter Fremden und finde sofort Freunde. Zumindest für einen Saufabend.

Klar kommt so eine Produktion, so eine Haltung nicht aus dem Nichts. Bonez MC als fester Bestandteil der 187 Strassenbande ist seit mehr als 10 Jahren unterwegs im Schmelztiegel der Einflüsse. Da ging es nicht nur um Musik, sondern immer auch um das Drumrum: Graffiti, soziale Medien, Hautkünstler und Videos. Im Hin und Her zwischen diesen Kunstformen entwickelte sich dann mehr oder weniger ein ganz eigener Lebensstil. Diese Erfahrung im Rücken macht es dann auch einfacher, sich selbst zu vermarkten und authentisch zu bleiben. Wenn das Team hier gefeiert wird, dann ist das eben nicht nur eine leere Worthülse, sondern eine jahrelang gewachsene Bande. Eine Wahlfamilie.

Vielleicht ist das auch das Neue und andere an den Jungs und ihrem Umfeld. Sie nehmen ihre Inspirationen tatsächlich direkt aus dem eigenen Leben. Da, wo die Street Credibility der Urväter des Deutschrap schon längst zu einer Kulisse geworden ist, zu einer ziemlich debilen und selbstverliebten Inszenierung, da wo andere mit fetter Künstlichkeit oder ganz besonderen Skills demonstrieren, wie geil sie sind, da scheren sich die Strassenbande-Jungs einen Dreck drum und machen ihr Ding. Natürlich gibt es immer noch den beinahe klassischen Diss-Track, natürlich geht es nach wie vor auch darum, seine eigene Männlichkeit zu unterstreichen. Das gelingt dann aber eher dadurch, dass die Typen eben so sind wie sie sind. BWL- und Jura-Studenten mit Superreimtechnik haben da schon wesentlich mehr zu tun, um sich ernsthaft als Meister darzustellen. Glatte Hochglanzabziehbilder, die gut sind für jedes BRAVO-Poster ... spätestens, wenn ich anfange mein eigenes Leben zu gestalten, frage ich mich: Was genau hat das eigentlich noch mit mir zu tun?
Bonez MC, Gzuz & Freunde haben da einiges mehr an Identifikationspunkten zu bieten.

Nun ist das ja auch ganz schön langweilig, wenn so HipHop/Rap plötzlich auf der guten Seite landet und alle das gut finden. Sogar so einer wie der Popschredder. Zum Glück bleibt mir aber trotz all des hier Geschriebenen eine vorsichtige Skepsis gegenüber Ohne mein Team bestehen. So wichtig der Zusammenhalt und das Gemeinsame sind - fürs Durchkommen und Sich-Weiterentwickeln - an irgendeiner Stelle bin ich dann doch genervt vom ewigen Zusammenhocken und Alles-Gemeinsam-Machen. Gruppendynamik ist durchaus auch etwas, das mich ganz schön einschränken kann oder mir Rollen zuschreibt, die ich gar nicht haben will. Als Mensch, der schon viel gegen solche Gruppenzugehörigkeiten gekämpft hat und einige Male einfach abgehauen ist aus den vertrauten und sicheren Strukturen und Zusammenhängen, als Mensch mit solchen Erfahrungen bin ich dann doch immer wieder ziemlich froh, wenn ich meine Tür einfach zu machen kann und all die Freunde und Kumpels und Partner einfach mal für ein paar Stunden oder Tage nicht sehen muss. Bis ich dann wieder Bock habe auf unzertrennlich und verbunden bis dass der Tod uns scheidet...

Freitag, 16. September 2016

Rag'n'Bone Man: Human



Die britische Musik erlebt im Jahr 2016 irgendwie ein Tief. Zumindest was die Präsenz auf dem europäischen Kontinent angeht. Derzeit sind gerade mal wenig mehr als 10 Produktionen der deutschen Top 100 unter Beteiligung britischer Acts entstanden. Was ist denn da los? – Brexit total oder was?

Gut, dass es da ein neues Gesicht schafft, sich zu etablieren und unsere Tage zu begleiten. Dazu noch mit richtig guter Musik. Denn das, was Rag'n'Bone Man abliefert ist waschechter Soul. Vor ein paar Jahren hatte ich so etwas wie den New British Soul aufgespürt: Gefühlvolle und stimmgewaltige Soul-Interpreten, die ganz selbstbewusst moderne Produtkionsweisen für sich entdeckten und gern auch in die Elektronikkiste griffen. Mit Rag'n'Bone Man geht es wieder ein Stück zurück zum Ursprung.

Da steht ein Mann wie ein Holzfäller auf der Bühne. Unrasiert, tätowiert – ein Kerl, der selbst im unbändigsten Sturm stand hält. Vielleicht ist seine Art sich zu kleiden ein wenig merkwürdig. Aber ich würde sofort erwarten, dass dieser Typ losbrüllt und mit Stahlgewitter auf sein Publikum eindrischt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Statt protzender Lautstärke erklingt da eine Stimme, die Gefühle zulässt. Rau und trotzdem sensibel. Voller Leben und mit der Fähigkeit, mir etwas zu erzählen.

Zum Beispiel erklärt er mir, dass er alles andere als ein Überheld ist oder ein Prophet. Er besteht darauf ein Mensch zu sein mit Fehlern, der Fehler macht, der sich irren kann, der Dinge falsch einschätzt. Und gleichzeitig sagt er mir, dass er sicher nicht dafür verantwortlich ist, was ich tue oder du oder sonst jemand. Jeder ist für sein eigenes Handeln verantwortlich. Auch für seine Fehler. Und dann sagt er mir noch: Guck dir die an, die wirklich Probleme haben, die das Glück verlassen hat.

Eine schöne Hymne und Aufforderung endlich mit dem Jammern aufzuhören. Nehmt euer Leben in die eigenen Hände und übernehmt endlich Verantwortung dafür. Passt ganz gut zu dem, was sich da so in den letzten Monaten gesellschaftlich abgespielt hat. Da wurden und werden ja auch ganz gern Buhmänner allüberall gesucht. Und dann macht man sein Kreuz halt irgendwohin, nur um es denen mal so richtig zu zeigen, die vermeintlich an allem schuld sind. Und plötzlich sitzt man noch tiefer in der Scheiße. Dumm gelaufen.



Dazu gesellt sich ein Video, das beeindruckt vor allem durch seine Unaufgeregtheit. Ganz simpel, ganz normal zeigt es mir menschliche Gesichter. Und präsentiert damit die ganze Vielfältigkeit unseres Lebens. Alles Personen wie du und ich. Alle mit Fehlern. Und alle trotzdem einmalig.

Ich denk' es wird Zeit, dass wir wieder mehr auf solche Leute wie Rory Graham hören. Und es wird auch Zeit, dass wieder mehr wie er Musik machen.

Freitag, 9. September 2016

Disturbed: The Sound Of Silence

Kein weiterer Kommentar dazu. Das hat Jan Stremmel alles schon wunderbar zusammengefasst und dazu noch mögliche Alternativen aufgezeigt.

Freitag, 2. September 2016

The Chainsmokers Ft. Halsey: Closer



Aha – The Chainsmokers sind jetzt also die neuen Pop-Stars. Innerhalb von wenigen Monaten gleich zwei Top 10-Hits. Nicht schlecht. Oder: Gut vermarktet. Denn das, was mich beim Hören von Closer als erstes anspringt ist völlige Gleichgültigkeit. Tut niemandem weh, ist gleich wieder vergessen. Es sei denn, es wird ordentlich durch die Heavy Rotation gespült, so dass man nicht mehr dran vorbei kommt.

Ein Freund von mir sagt angesichts solcher Produktionen: "Ordentlich in den Duran Duran Topf gefallen."
Ich würde es ja eher Pet Shop Boys nennen.
Beides 80er Jahre Konzepte. Und genau deshalb so öde.

The Chainsmokers inszenieren sich ein wenig als EDM (Electronic Dance Music) Duo. Und sie treten sogar als DJs auf. Aber was ist davon bei Closer eigentlich noch übrig? Ein paar elektroaffine Einsprengsel vielleicht. Alles andere ist ganz alltäglicher Radiopop. Inklusive Strophe+Refrain-Struktur.
Waren wir da nicht schon mal weiter?

Ich weiß nicht, ob dieses Konzept der Verschmelzung von Radiopop und Dancemusic jemals progressiv und aufregend war. Vielleicht in den 80ern. Vielleicht bei Kylie Minogue. Vielleicht auch manchmal heute noch. Aber selbst Recken wie David Guetta, AVICII und Calvin Harris schaffen es nur äußerst selten, mich da zu überraschen. Am ehesten ist da so jemand wie Alan Walker eine Inspiration und kriegt etwas hin, was nicht schon 24/7 alle Stationen bevölkert. Oder vielleicht auch DJ Snake. Wobei auch das jeweils nur sehr kurze Momente sind/waren.

Jetzt also The Chainsmokers. Dass sie eigentlich auch anders können, kann man zum Beispiel an #Selfie hören. Allerdings war das ja nur als Parodie und höchst ironisch gemeint.
The Chainsmokers wollten eigentlich schon immer nichts anderes als Massenbespaßung machen. Ihre frühe Zusammenarbeit mit Priyanka Chopra erzählt da doch schon einiges.
Das ist auch gar nicht so verwerflich. Bei Popmusik geht es schließlich um Massenpopularität. Bloß, dass dieses Ziel dann ziemlich schnell zur großen Einfallslosigkeit führt, das ist das Tragische daran. Einmal im Licht des Ruhmes gestanden – schon ist man versaut für die ganze weitere Karriere und möchte um nichts in der Welt mehr zurück in die Sphären der Nicht-Wahrnehmung. Also wird kopiert und nachgemacht, was irgendwie erfolgreich zu sein verspricht, was gefällt. Und heraus kommt etwas, das kein eigenes Gesicht mehr hat.

Das ist das Blöde und Ärgerliche an solchen Mainstream-Pop-Produkten. Sie sind austauschbar wie Casting-Stars. Glatte Oberflächen, komplett beliebige Produkte – werden wir uns in 10 Jahren noch an Closer erinnern? Und an die Chainsmokers?

Ich fürchte, die Rolle des Duos in der Popmusikgeschichte wird nicht so besonders sein. Auch wenn sich das jetzt vielleicht fast so anfühlt.