Ui - das wird jetzt hart. Ich als überhaupt nicht Zugehöriger zur Zielgruppe von Deutschrap beschäftige mich mit dem neuen Wunderzauberduo Bonez MC & RAF Camora. Das kann ja nur schief gehen.
Allerdings, wenn sich von einem Album alle Einzeltracks in den Songcharts wiederfinden und selbst eine Woche danach immer noch 10 davon so oft gestreamt, geladen, gekauft werden, dass es wieder für eine Platzierung reicht, dann gehört dieses Album wohl auch in den Bereich Popphänomen und damit hierher.
Interessanterweise ist es gar nicht der Titeltrack "Palmen aus Plastik", der die meiste Aufmerksamkeit erfährt, sondern der Track "Ohne mein Team". Top 10 Status und nahe dran an dem, was man schon Tageshit nennen könnte. Für deutschen Rap eher ungewöhnlich. Da kamen bislang vor allem die Kollaborationen mit seichten Liedermachern oder Schlagerhelden zu Hit-Ehren. Und es ging und geht vor allem um den einen King, den einen Helden, der sich gegen alles durchsetzt und den selbst die schlimmste Kindheit und Jugend im Ghetto nicht umbringt. Bonez MC und RAF Camora setzen dagegen ... oder eigentlich vor allem dazu: Die Crowd, die Hood, das Team.
Wir sehen uns hier einem Selbstverständnis gegenüber, das dem gnadenlos übersteigerten Individualismus und Hedonismus den Stinkefinger zeigt. Klar geht es immer noch um Spaß und Drogen und Sex – politisch unkorrekt und machohaft wie eh und jeh. Das alles gehört aber mindestens geteilt mit den Jungs aus der Gang. Was nutzt mir der ganze Klunker und Blingbling, wenn ich allein feiern muss? Lasst uns gemeinsam den Club rocken.
Dieser Wechsel bedeutet noch eine ganze Menge mehr.
Einmal heißt es: Ey, ich hab jetzt so viel Kohle, Macht und Ansehen – das reicht locker für alle.
Sozusagen die völlige Übersteigerung des "Mein goldener Benz, mein Schloss, meine Diamanten …" - damit auch die logische Fortsetzung des Materialismus-Wahns, von dem die Rap-Jungs ja irgendwie alle doch immer besessen sind.
Gleichzeitig ist die neue Haltung auch ein Zusammenrücken. Wir gehören zusammen, wir leben miteinander, wir machen uns das Leben gemeinsam schön. Das kann man gut und gern ganz positiv deuten: Hier wird es wieder sozialer. Auch wenn eigentlich kein Platz mehr im Mercedes ist, rücken wir doch zusammen und gehen alle gemeinsam auf Tour. Das ist verglichen mit dem bisherigen Gangster-Rap doch eine durchaus neue Nuance. Zumindest wurde sie in der Deutlichkeit in den letzten Jahren nicht allzu oft zelebriert
Andererseits besteht beim Zusammenrücken natürlich auch die Gefahr, dass alle die, die nicht zum Team gehören, noch viel mehr draußen sind. Das kennen wir von allen möglichen kulturellen und sozialen Gruppierungen – der Bezug auf die eigene Zusammengehörigkeit macht mitunter und nicht selten aggressiv gegenüber allen, die irgendwie anders sind.
Bonez MC & RAF Camora umschiffen diese Klippe ganz clever. Da wird nämlich erstmal alles in einen Topf geworfen: Hamburg, Berlin, Wien, Arabs, Latinos, Ghanaer, Brasilianer… Schon ist das Ganze gar nicht mehr so Deutsch-Rap wie befürchtet. Plötzlich ist es fast schon Multikulti, total global und ordentlich anschlussfähig. Fast denke ich: Auweia, wie konnte das nur passieren? Werden die Rap-Jungs jetzt etwa alle zu Hippies mit Knarren?
Auch musikalisch geht es bei Bonez MC & RAF Camora quer durchs Beet. Reggae, DanceHall, Mombathon – egal wo es herkommt, am Ende ist es meist ein ziemlich geiler und ansteckender Sound, der sich locker an dem messen kann, was international durch DJ Snake, Diplo und Konsorten propagiert wird. Ich vermute mal, dass diese Mixtur ein ganz wesentlicher Grund für den riesigen Erfolg der beiden ist. Feiernde Meuten besitzen ja durchaus Anziehungskraft – auf dem Oktoberfest stürze ich mich auch ins Getümmel aus lauter Fremden und finde sofort Freunde. Zumindest für einen Saufabend.
Klar kommt so eine Produktion, so eine Haltung nicht aus dem Nichts. Bonez MC als fester Bestandteil der 187 Strassenbande ist seit mehr als 10 Jahren unterwegs im Schmelztiegel der Einflüsse. Da ging es nicht nur um Musik, sondern immer auch um das Drumrum: Graffiti, soziale Medien, Hautkünstler und Videos. Im Hin und Her zwischen diesen Kunstformen entwickelte sich dann mehr oder weniger ein ganz eigener Lebensstil. Diese Erfahrung im Rücken macht es dann auch einfacher, sich selbst zu vermarkten und authentisch zu bleiben. Wenn das Team hier gefeiert wird, dann ist das eben nicht nur eine leere Worthülse, sondern eine jahrelang gewachsene Bande. Eine Wahlfamilie.
Vielleicht ist das auch das Neue und andere an den Jungs und ihrem Umfeld. Sie nehmen ihre Inspirationen tatsächlich direkt aus dem eigenen Leben. Da, wo die Street Credibility der Urväter des Deutschrap schon längst zu einer Kulisse geworden ist, zu einer ziemlich debilen und selbstverliebten Inszenierung, da wo andere mit fetter Künstlichkeit oder ganz besonderen Skills demonstrieren, wie geil sie sind, da scheren sich die Strassenbande-Jungs einen Dreck drum und machen ihr Ding. Natürlich gibt es immer noch den beinahe klassischen Diss-Track, natürlich geht es nach wie vor auch darum, seine eigene Männlichkeit zu unterstreichen. Das gelingt dann aber eher dadurch, dass die Typen eben so sind wie sie sind. BWL- und Jura-Studenten mit Superreimtechnik haben da schon wesentlich mehr zu tun, um sich ernsthaft als Meister darzustellen. Glatte Hochglanzabziehbilder, die gut sind für jedes BRAVO-Poster ... spätestens, wenn ich anfange mein eigenes Leben zu gestalten, frage ich mich: Was genau hat das eigentlich noch mit mir zu tun?
Bonez MC, Gzuz & Freunde haben da einiges mehr an Identifikationspunkten zu bieten.
Nun ist das ja auch ganz schön langweilig, wenn so HipHop/Rap plötzlich auf der guten Seite landet und alle das gut finden. Sogar so einer wie der Popschredder. Zum Glück bleibt mir aber trotz all des hier Geschriebenen eine vorsichtige Skepsis gegenüber Ohne mein Team bestehen. So wichtig der Zusammenhalt und das Gemeinsame sind - fürs Durchkommen und Sich-Weiterentwickeln - an irgendeiner Stelle bin ich dann doch genervt vom ewigen Zusammenhocken und Alles-Gemeinsam-Machen. Gruppendynamik ist durchaus auch etwas, das mich ganz schön einschränken kann oder mir Rollen zuschreibt, die ich gar nicht haben will. Als Mensch, der schon viel gegen solche Gruppenzugehörigkeiten gekämpft hat und einige Male einfach abgehauen ist aus den vertrauten und sicheren Strukturen und Zusammenhängen, als Mensch mit solchen Erfahrungen bin ich dann doch immer wieder ziemlich froh, wenn ich meine Tür einfach zu machen kann und all die Freunde und Kumpels und Partner einfach mal für ein paar Stunden oder Tage nicht sehen muss. Bis ich dann wieder Bock habe auf unzertrennlich und verbunden bis dass der Tod uns scheidet...
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