Freitag, 25. Oktober 2013

AVICII: Hey Brother

Allen Retrowellen und Hippie-Attacken zum Trotz: DJs sind offenbar immer noch die wahren Superstars der Stunde. Hatten wir uns gerade daran gewöhnt, dass Mr. David Guetta mit jeder Veröffentlichung Massenverzückung auslöst – egal wie langweilig und gleichartig die Produktion klingt – so ist es nun der schwedische AVICII, der nur bei Ankündigung einer neuen Single für Anstürme auf Download-Portale sorgt. So aktuell zu beobachten bei seinem Track Hey Brother, den er nach dem Sommerhit Wake Me Up! als dritte Auskopplung aus seinem Album True ins Rennen schickt. Die offizielle Veröffentlichung ist vorgesehen für Mitte November, aber das hindert natürlich niemanden bereits jetzt das Album zu plündern und eben nur die Einzelsongs zu laden. Bereits zur Veröffentlichung des Albums schafften es ja fünf Titel gleichzeitig in die Verkaufscharts. – Das ist zwar immer noch ein wenig überschaubarer als vor zwei Jahren während des großen David-Guetta-Hypes, beachtlich ist es allemal.

Nun also Hey Brother. Was begeistert die mehrheitlich jugendliche Anhängerschaft an diesem Titel nun eigentlich? – Klar, es klingt zunächst ähnlich dem großen Vorgänger. Sehr countryesk, wahrscheinlich sogar noch mehr als Wake Me Up!, die große Freiheit also, das unbändige Leben irgendwo in der Prärie – und am besten mindestens 1000 PS unterm Sitz. Dann erhält das Ganze durch die Hookline, den Ohoho-Gesang, noch eine volkstümliche Note, die am Ende durch die Fanfaren, welche die Melodie aufnehmen noch verstärkt wird. Es ist sehr allgemeintaugliche Schunkelmucke. Vor zehn, fünfzehn Jahren kam so etwas von Rednex, die waren auch aus Schweden und ebenfalls enorm erfolgreich. Die weiten Tundren in Skandinavien scheinen eine enorme Inspirationsquelle zu sein. Und da sich Kälte ganz gut mit Alkohol bekämpfen lässt, verwundert es auch nicht, dass diese Musik gut auf jede Après-Ski-Party passt. In dem Moment, da die Droge anfängt meinen Verstand zu benebeln, da lässt es sich gut mit den anderen an diesem seltsamen Ort feiern, in den Armen liegen und wahlweise auch grölen.

Dass das Gehirn tatsächlich droht in den OFF-Modus zu rutschen zeigt ein kurzer Blick auf die Lyrics: ''Hey Sister, Know That Water's Sweet But Blood Is Thicker. - If The Sky Comes Falling Down, For You There's Nothing In This World I Wouldn't Do'' – das ist Mafia- und Blut-und-Boden-Romantik pur. Die Familie als das Einzige, was wirklich zählt. Niemals werde ich meine Brüder und Schwester enttäuschen (vielleicht kann man hier Brüder und Schwester auch ein wenig weiter verstehen - so als Seelenverwandte, oder so). Egal was passiert, ihr könnt euch auf mich verlassen. Und umgekehrt natürlich genauso.

Es ist natürlich verständlich, dass die Sehnsucht nach solcher Sicherheit besteht. Wer kennt das nicht: allein in der Fremde, allein unter Menschen die man nicht kennt - das ist nicht immer ganz einfach. Die Angst wird allerdings auch wesentlich durch die Haltung genährt, wie ich mit Fremdem oder Unbekanntem umgehe. Nehme ich diese Herausforderungen an? Bin ich bereit, anderen zu helfen, wenn sie in Not sind? Oder mache ich lieber meine Grenzen zu? Und verschließe die Augen vor dem was vor meiner Haustür passiert?

Dass Familie als Wert wieder so stark werden würde - wer hätte das gedacht? Vor allem unter jungen Menschen. Bislang war es doch eher so, dass man sich als Jugendlicher und auch noch eine ganze Weile danach eher versucht abzugrenzen, eigene Wege zu gehen. Jetzt geht es offenbar eher darum das kuschelige Nest möglichst nicht aufzugeben. Oder wenigstens eine Tür offen zu halten um im Bedarfsfall unproblematisch zurückkehren zu können. Bloß kein Risiko eingehen.

Schade eigentlich – denn was da verloren geht ist auch klar: No risk no fun!





Freitag, 18. Oktober 2013

James Blunt: Bonfire Heart

Ich werde es wohl nicht mehr verstehen, was alle Welt an James Blunt findet. Genauso wenig wie ich verstehe, warum ausgerechnet Passenger (oder auch Marlon Roudette) den Soundtrack zu den 2010ern liefern sollen. Das hat natürlich ganz individuelle Gründe. Zum Beispiel finde ich die Stimme von James Blunt einfach nicht schön. Das kann und muss jede und jeder natürlich selbst empfinden.

Das was eher bedenklich ist ohne all das persönliche Trallalla, ist die Bildwelt zu dem Song, der ja zunächst als eine schöne Liebeserklärung daherkommt. Es sei dahin gestellt, dass diese Motorrad-Road-Story nur für eine gewisse Gruppe von Menschen das Non plus Ultra darstellt – geschenkt! Auch die Nummer mit Freude durch ein gemeinsames Foto, für ältere Menschen genauso wie für Kinder im Rollstuhl – alle sind meine Freunde ... für meine Begriffe ganz schön fett nach außen gezeigt , aber was soll’s, ist im Prinzip ein schöner Ansatz. Dass sich James Blunt hier so dezidiert als der Heilsbringer inszenieren muss ... er wird wissen warum sein Ego das nötig hat.
Wirklich fragwürdig wird es für mich zum Ende des Videos: Lagerfeuertanzen bei einer Hochzeit in Wild West-Kostümen. Das ist jetzt schon ordentlich traditionsbewusst. Wenn ich diese Cowboyhüte sehe, dann denke ich selten an ein modernes Leben. Das ist immer noch: der Mann gegen die Natur! Das ist auch immer noch – eingewanderte Europäer besiedeln ein Land und nehmen keine Rücksicht auf dort bereits lebende indigene Völker. Und wenn man sich die feiernde Runde im Video anschaut, dann ist die tatsächlich ordentlich weiß nordamerikanisch (oder europäisch). Hmm – so weit ist es dann also nicht her mit der Geschichtsbewältigung. Oder der gelebten Vielfalt.

Ja ja ich weiß, die sind doch alle ganz harmlos. Die wollen doch nur feiern. Eben – genau das ist der Punkt. Eigentlich sind es – wie ein Großteil der Gesellschaft – nur Menschen, die ein wenig Freude haben wollen. Nichts gegen einzuwenden. Aber leider tun sie das mit einem ziemlichen Allgemeingültigkeitsanspruch. Wenn ich mal auf solchen Festen bin – und leider kommt das dann doch immer wieder und viel zu häufig vor – dann dauert es nicht lange und ich werde aufgefordert mit herumzuhüpfen. Aber nun stehe ich gar nicht auf handgemachte Musik. Auch Country ist mir eher unangenehm. Es ist völlig in Ordnung wenn alle tanzen und feiern, ich trinke da lieber noch einen Schnaps und schau mir die Menge an. Das heißt ja nicht, dass ich mich dabei nicht wohl fühlen würde. Aber: Nee nee, das geht nicht, mach mal mit – alter Spielverderber!

Und das sind dann eben eher unangenehme Seiten an solchen Festen. Man gibt sich betont frei und unkompliziert, aber in Wirklichkeit gibt es feste Regeln, was Feiern ist und was nicht. Und da hört es eben auch auf, lustig oder ungefährlich zu sein. Eine andere Meinung wird einfach nicht akzeptiert. Wo Hochzeit oder Geburtstag drauf steht, da muss auch Polonaise, Wunderkerzen und Blumenstraußwerfen drin sein.

Und genau das höre ich plötzlich auch im Text: James Blunt erklärt mir, wie es geht glücklich zu sein. Ultimativ. Jemandem lange in die Augen sehen, oder Sterne angucken, loyal wie ein Soldat sein – bis zum Tod ... dann kann man die kalte Welt überwinden, dann kann man jemanden finden, der/die mit einem kleinen Fünkchen ein Feuer im Herzen entfacht. Und dann erlebt man die Liebe, wie sie James Blunt sie gerade erlebt. Und die ist ja ohnehin die größte von allen.

Nein – ich möchte niemandem dieses Gefühl kaputt machen. Es ist schön, wenn Menschen sich genau so fühlen, eine große Liebe erleben. Schlimm wird es nur, wenn Sie allen anderen auch noch permanent zeigen und erklären müssen wie viel Glück und Liebe sie empfinden. Und wie arm demzufolge alle anderen sind, die das nicht hingekriegt haben. Die kleinen Trottel, die. – Da möchte ich dann doch lieber draußen bleiben und nicht mit einbezogen werden in dieses unbändige Glücksfest. Ich geh dann mal einfach auf eine andere Party.




Freitag, 11. Oktober 2013

Klingande: Jubel



Die Neo-Hippies sind los! Endgültig.

Sie lieben lange Haare, ausgewaschene Klamotten, alte Autos, Federn im Ohr. Sie hangeln an Bäumen und schauen super gern stundenlang auf wilde Wiesen oder das weite Meer. Und immer wieder tauschen sie vielsagende Blicke aus, schon hab' ich das Gefühl, ja - die verstehen mich …

Anders als die Original-Hippies der späten 60er haben die Neo-Hippies 2013 aber überhaupt keine Ambition gesellschaftlich oder gar politisch etwas zu wollen. Ganz im Gegenteil – sie finden die Welt so wie sie läuft ganz in Ordnung. Der Sound, der das Wohlfühl-Ambiente schafft ist nämlich urbaner Lounge-House. Das ist Genuss und Selbstzufriedenheit pur. Im besten Fall gehört es in den Bereich Wellness: Mach' doch mal wieder Pause, gönn' dir was Gutes und besinne dich auf dich selbst. - Lifestyle also.




War ich vor einem Jahr über Klangkarussell's Sonnentanz noch einigermaßen verwundert und von der Abstrusität der Weltsicht fasziniert, so schaffen es die Nachahmer Klingande aus Nordfrankreich mit ihrem Jubel, das Ganze fast bis zur Unerträglichkeit zu steigern. Dass der Vorgänger dank seines Erfolgs in Großbritannien und einem Remix mit Gesangszusatz sich auch hierzulande ungebrochener Beliebtheit erfreut, macht das Ganze für mich noch erschreckender.

Allerdings liegt es recht unverborgen auf der Hand, warum solch eine Wohlfühl-Welt momentan so beliebt ist. Das Leben, die Gesellschaft, die komplette Welt ist so kompliziert geworden, so grausam und auch so technisiert-bürokratisch – da kann ich gar nicht mehr die Übersicht behalten. Da muss ich quasi ständig überfordert sein und scheitern. Hilft nur: Flucht ins Private. Und zwar konsequent. Am besten ist, sich gleich um gar nichts mehr zu kümmern. Reine, unverfälschte Natur: ein bisschen Sonne, ein bisschen Wasser und eine bunte Wiese ... schade nur, dass die auch schon gentechnisch verändert wurde. Aber das merkt man ja nicht. Lässt sich also ganz gut in dieser Traumwelt aushalten.

So verständlich diese Sehnsucht und auch diese Reaktion ist, so schlimm ist die konservativ-biedere Art wie sie sich manifestiert. Da gibt es nicht ein bisschen Differenz - die Protagonisten sind komplett weiße Mitteleuropäer, am liebsten sogar blond oder wenigstens dunkelblond. Und das im Jahr 2013! Da werden die Naturaufnahmen sofort zur unberührten Heimat – "Blut und Boden" sind nicht weit weg davon.

Was die Art des Miteinanders angeht, ist dieses ziemlich unschuldig aseptisch. Da gibt es trotz aller Freude und Euphorie nur ganz wenig Körperkontakt. Klar – Freunde sind wichtiger als (körperliche) Zuneigung. In der völligen Übersexualisierung unserer medialen Welt, wünsch' ich mir tatsächlich genau das: einfach mal eine Situation in der es nicht um Körper und Erotik und möglichst schnellen Sex geht.

Allerdings könnte sich hinter diesen Bildern auch eine Steigerung der Prüderie stecken, die schon mit Lila Wolken eher unangenehm auffiel. Ich habe immer noch Angst, dass mit dieser Verschämtheit auch ganz viel von dem wieder aktuell wird, was eben auch Ausgrenzung, Verschweigen und Wegschließen bedeutet. Darum machen sich Klingande und Klangkarussell aber keinen Kopf. Schade - sie hätten tatsächlich die Chance diese Welt zumindest ein klein wenig besser zu machen.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Martin Garrix: Animals



Während alle Welt einem Tim Berg aka AVICII huldigt und diesen als neuen DJ-Gott feiert, hat sich nahezu unbemerkt ein Vertreter der nächsten Generation auf die Tanzflächen dieser Welt gebracht: Martin Garrix. Animals ist seine Hymne, die sich seit dem Sommer mehr und mehr durchsetzte mit einem Sound, der doch erstmal nicht sooo ungewöhnlich ist. Deshalb gab es anfangs auch ein wenig Verwirrung darüber, wer diesen Track denn nun veröffentlicht habe - zumindest ist das so der englischsprachigen Wikipedia zu entnehmen.

Da kommt also ein junger Bursche mit 17 Jahren auf die Idee, seinen Lieblingssound einfach genauso zu produzieren wie er es mag, etwas konsequenter, etwas weniger berechnend als die meisten bekannten Acts, er kann sich das als Nobody ja auch gut leisten - und schwupps wird das Ergebnis ein Hit. Und der Produzent wird ein wenig als Wunderkind gehandelt.



Die Geschichte klingt ein bisschen nach einer Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte. Ob das Wunderkind nun der nächste große Superproducer aus Europa wird, das werden wir abwarten müssen. Wird Martin Garrix nach seinem europaweiten Erfolg von Animals noch so unvoreingenommen produzieren können? Wird er sich frei machen können vom Erwartungs- und Erfolgsdruck?

Für die Generation von Martin Garrix ist es ja ohnehin nicht einfach, ein eigenes Profil zu erarbeiten. Eventuell sogar noch ein unverwechselbares. Alles war irgendwie schonmal da. Und mit Ironie kommt man mittlerweile auch nicht mehr sehr weit. Rebellion? Wogegen denn noch? - Was bleibt ist vielleicht gerade mal noch die liebevolle Umarmung des bestehenden Lebens und der vorhandenen Verführungen oder dessen, was man sich so als spannend und einmalig vorstellt.

Martin Garrix würde sehr gern anonym feiern, gleichzeitig aber auch auf das Spießerleben scheißen. Er wär' gern gefährlich und unberechenbar. Irgendwie denkt er, dass er dadurch auch attraktiv und begehrt werden würde. Dass er das alles so wahrscheinlich nicht schaffen wird, ist ihm auch mit 17 schon klar. Aber träumen kann man ja. Und zu diesem Traum hat Martin Garrix einen hübschen Soundtrack geschrieben. Den auseinander zu nehmen ist eher mühsame Zeitverschwendung. Denn natürlich finden sich eine Menge Referenzen und Anleihen.

Müßig sind also solche Fragen wie: Gäbe es Animals ohne einen AVICII, ohne einen DJ Antoine, ohne Tiesto und Afrojack? – Natürlich nicht. Mark Fisher / k-punk hat das gerade ganz schön in einem Essay für W.I.R.E. - Abstrakt zusammengefasst (gibt es leider nicht online :-( ). Er schreibt dort von Atemporalität / Geschichtslosigkeit, welche die aktuelle Pop-Musik plagt.

Das Ganze ist an sich nicht schlimm. Man muss nicht ständig alles neu erfinden, das doch offenbar schon da ist und funktioniert? Natürlich ärgert mich irgendwann wenn sich sogenannte Künstler und Künstlerinnen komplett darauf ausruhen und keine eigenen Ideen entwickeln. Das Abarbeiten an Vorhandenem ohne dabei zur schnöden Kopie zu werden, das scheint momentan die große Herausforderung zu sein. Ich würde sagen, bei Martin Garrix sieht es im Moment nicht so schlecht aus, dass er das hinkriegt. Zumindest bei Animals ist das wohl der Fall.

Aufregen könnte ich mich an dieser Stelle höchstens darüber, dass die Rahmenbedingungen in Recht und Politik unserer Realität ordentlich hinterherhinken. Und lieber noch die kleinste Ähnlichkeit als kommerzielle Nutzung auslegen und unter Lizenzgebühr stellen … Vielleicht gehört ja Martin Garrix endlich zu der Generation, die diesem ganzen Humbug ein Ende setzt. Geschichtslos zu sein heißt ja irgendwie auch auf Vorhandenes zugreifen zu können ohne permanent nach Herkunft und Bedeutung fragen zu müssen. Könnte auch heißen, dass kulturelle Produktion nochmal ganz anders funktioniert. Bis dahin vergehen vermutlich noch ein paar Jahrzehnte.