Freitag, 11. Oktober 2013
Klingande: Jubel
Die Neo-Hippies sind los! Endgültig.
Sie lieben lange Haare, ausgewaschene Klamotten, alte Autos, Federn im Ohr. Sie hangeln an Bäumen und schauen super gern stundenlang auf wilde Wiesen oder das weite Meer. Und immer wieder tauschen sie vielsagende Blicke aus, schon hab' ich das Gefühl, ja - die verstehen mich …
Anders als die Original-Hippies der späten 60er haben die Neo-Hippies 2013 aber überhaupt keine Ambition gesellschaftlich oder gar politisch etwas zu wollen. Ganz im Gegenteil – sie finden die Welt so wie sie läuft ganz in Ordnung. Der Sound, der das Wohlfühl-Ambiente schafft ist nämlich urbaner Lounge-House. Das ist Genuss und Selbstzufriedenheit pur. Im besten Fall gehört es in den Bereich Wellness: Mach' doch mal wieder Pause, gönn' dir was Gutes und besinne dich auf dich selbst. - Lifestyle also.
War ich vor einem Jahr über Klangkarussell's Sonnentanz noch einigermaßen verwundert und von der Abstrusität der Weltsicht fasziniert, so schaffen es die Nachahmer Klingande aus Nordfrankreich mit ihrem Jubel, das Ganze fast bis zur Unerträglichkeit zu steigern. Dass der Vorgänger dank seines Erfolgs in Großbritannien und einem Remix mit Gesangszusatz sich auch hierzulande ungebrochener Beliebtheit erfreut, macht das Ganze für mich noch erschreckender.
Allerdings liegt es recht unverborgen auf der Hand, warum solch eine Wohlfühl-Welt momentan so beliebt ist. Das Leben, die Gesellschaft, die komplette Welt ist so kompliziert geworden, so grausam und auch so technisiert-bürokratisch – da kann ich gar nicht mehr die Übersicht behalten. Da muss ich quasi ständig überfordert sein und scheitern. Hilft nur: Flucht ins Private. Und zwar konsequent. Am besten ist, sich gleich um gar nichts mehr zu kümmern. Reine, unverfälschte Natur: ein bisschen Sonne, ein bisschen Wasser und eine bunte Wiese ... schade nur, dass die auch schon gentechnisch verändert wurde. Aber das merkt man ja nicht. Lässt sich also ganz gut in dieser Traumwelt aushalten.
So verständlich diese Sehnsucht und auch diese Reaktion ist, so schlimm ist die konservativ-biedere Art wie sie sich manifestiert. Da gibt es nicht ein bisschen Differenz - die Protagonisten sind komplett weiße Mitteleuropäer, am liebsten sogar blond oder wenigstens dunkelblond. Und das im Jahr 2013! Da werden die Naturaufnahmen sofort zur unberührten Heimat – "Blut und Boden" sind nicht weit weg davon.
Was die Art des Miteinanders angeht, ist dieses ziemlich unschuldig aseptisch. Da gibt es trotz aller Freude und Euphorie nur ganz wenig Körperkontakt. Klar – Freunde sind wichtiger als (körperliche) Zuneigung. In der völligen Übersexualisierung unserer medialen Welt, wünsch' ich mir tatsächlich genau das: einfach mal eine Situation in der es nicht um Körper und Erotik und möglichst schnellen Sex geht.
Allerdings könnte sich hinter diesen Bildern auch eine Steigerung der Prüderie stecken, die schon mit Lila Wolken eher unangenehm auffiel. Ich habe immer noch Angst, dass mit dieser Verschämtheit auch ganz viel von dem wieder aktuell wird, was eben auch Ausgrenzung, Verschweigen und Wegschließen bedeutet. Darum machen sich Klingande und Klangkarussell aber keinen Kopf. Schade - sie hätten tatsächlich die Chance diese Welt zumindest ein klein wenig besser zu machen.
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