Freitag, 25. September 2015

LENA: Wild & Free

Ich weiß nicht, wie toll und gut es wirklich ist, einmal erfolgreiche Filme mit einer Fortsetzung zu versehen. In den meisten Fällen ist Teil 2 ja eher so ein mäßiger Aufguss des Überraschungshits, die Witze sind ähnlich, die Story meistens völlig daneben und die Schauspieler ... naja, das kommt dann halt drauf an, wen man da vor der Kamera hat.
Bei Fack ju Göhte 2 hab ich den Eindruck, dass es so ähnlich ist – aber das dürfen andere einschätzen. Erfolgreich ist der zweite Teil jedenfalls bis zum Abwinken: Umsatzreichstes Startwochenende aller Zeiten, schon jetzt erfolgreichster deutscher Kinofilm des Jahres 2015, drei Millionen Besucher innerhalb von neun Tagen ...
Sagt natürlich alles auch erstmal nicht sooo viel über die Qualität aus, sondern eher über die Neugier auf den zweiten Teil, also eigentlich über den Kultstatus des ersten Teils. Wie auch immer. Fakt ist, mit dem Riesenerfolg von Fack ju Göhte 2 geht auch die Filmmusik gut weg. In diesem Falle Wild & Free von LENA. Und das beschert der Söngerin einen sechsten Top 10-Erfolg innerhalb von etwas mehr als fünf Jahren – sie ist damit die mit Abstand erfolgreichste Künstlerin aus Deutschland der 10er.
Na gut, Helene Fischer hat insgesamt mehr Wochen in den Top 10 verbracht, aber eben auch nur einen einzigen Hit gehabt. Sucht euch selbst aus, was mehr wert ist.

Abgesehen vom Erfolgslevel: Was genau treibt eigentlich die Produzenten des Films zu Lena?
Auf den ersten Blick und ganz spontan sag ich: Teenie-Star für Teenager-Film. Aber das ist natürlich völlig falsch. Fack ju Göhte ist ja eher ein Film für die jetzt doch nicht mehr Teenies, die sich aber gern noch an ihre wilde Schulzeit erinnern. Oder auch Lust dran haben zu verfolgen, wie doof oder frech oder cool die Jugendlichen heute sind. Und das ist ja Lena auch irgendwie, vor fünf Jahren war sie noch das Abiturientenmädchen, das ganz naiv aber mit viel authentischem Charme zum Eurovision-Contest fuhr und dort alle überwältigte. Nach fünf Jahren ist sie zwar immer noch ordentlich jung, aber naiv bestimmt nicht mehr. Und das mit der Authentizität ... naja, das ist wohl auch normal im Pop-Business, dass bei andauernder Medienpräsenz sich eben doch eine gewisse Professionalität einstellt. Das heißt ja nicht, dass alle Natürlichkeit verloren geht. Sie ist nur etwas bewusster eingesetzt und an der einen oder anderen Stelle vielleicht doch etwas korrigiert: Wer will schon ein Leben lang auf kleine Abiturientin machen?

Lena also wird erwachsener. Im Video ist mir das schon ein bisschen zu viel. Ein klein wenig zu viel Make up, eine Winzigkeit zu viel Styling, ein bisschen zu sehr inszeniert und auch genau ein Paar Ohrringe zu viel. Aber gut, so passt sie eben besser an die Seite von Smartie Elyas M'Barek, der ja immerhin knapp zehn Jahre älter ist, auch wenn er das eigentlich immer irgendwie versucht zu überpielen. Im Film zumindest. – Wenn man die beiden so nebeneinander sieht, dann kann man schon sagen: Schönes Paar.



Erwachsener ist auf alle Fälle Lenas Sound. Da hat sich zwischen Stardust und ihrem jüngsten Album Crystal Sky doch einiges getan. Die ganz große Verspieltheit weicht eher einem bewussten Ausprobieren. Das ist durchaus auch noch spielerisch, aber nicht mehr ganz so auf gut Glück oder aus einer spontanen Lust heraus.

Bei Wild & Free ist es dann obendrein natürlich alles noch etwas filmmäßiger und größer – und das lässt dann Lenas Gesang auch gewichtiger erscheinen. Hier will eine Frau ganz deutlich und ohne Zweifel Popmusik machen – Musik, die für viele Menschen eine Bedeutung bekommt und durch schöne Momente des Lebens begleitet. Gut produziert, mit Selbstbewusstsein aufgenommen und inszeniert. Ich würde sagen, das gelingt ganz gut. Ellie Goulding könnte es nicht besser.

Das einzig Problematische an Wild & Free ist eigentlich nur die Frage: Was wäre der Song wert ohne Einsatz in einem supererfolgreichen Film? Bringt diese Produktion aus sich heraus ein Momentgefühl, ein Zeitempfinden konsequent auf den Punkt und spricht uns sozusagen direkt aus dem Herzen, dem Bauch oder der Seele?
Hier habe ich ein wenig meine Zweifel. Der wirklich große Moment, die totale Faszination bleibt für mich bei Wild & Free eher aus. Na gut, das ist ja wirklich auch ein ziemlich großer Anspruch und hat dann auch enorm viel mit Zufälligkeiten oder subjektiven Situationen zu tun. Oder auch mit eiskalter Berechnung. Wahrscheinlich ist da der klassische Weg der Lena-Popmusik doch der sympathischere.

Freitag, 18. September 2015

R•City Feat. Adam Levine: Locked Away

Es ist schon ordentlich unfassbar wie oldschool und altmodisch ein aktueller Hit aus den Vereinigten Staaten klingen kann. Grad hab ich das Gefühl, wir schrieben das Jahr 1999 oder vielleicht grad mal so 2001. Irgendwer oder irgendwas muss da eine Zeitschleife eingebaut haben oder den beiden Brüdern von Rock City verboten haben, auch nur ein Zipfelchen sich zu entwickeln. Ich höre also Locked Away und bin nur erstaunt über derartig unverstellte Langweiligkeit.

Dass Reggae so allmählich wieder salonfähig wird, hat sich im letzten Sommer mit MAGIC! schon angekündigt. Allerdings lebte Rude ja ganz wesentlich von dem Fun-Faktor der bescheuerten Geschichte. Das war leichte und alberne Sommerkost – da passiert schonmal ein musikalischer Ausrutscher. Dann folgte im letzten Winter OMI mit Cheerleader – das war vor allem durch den Felix Jaehn-Remix ein Muss. Und nun ist es Locked Away – wofür es nun aber wirklich keine Ausrede mehr gibt.

Jamaican Reggae ist wieder stylish. Und ich verstehe es nicht. Da gab es doch in den 2000ern die wunderbar schnoddrige Dancehall-Variante, die sich zum Ende der 00er in den ordentlich überdrehten Raggaton hochpeitschte. Produzenten wie DIPLO aka Major Lazer haben hier ihre Heimat und die Stilrichtung permanent fortgeschrieben, neu definiert, umgekrempelt... Warum greift dann ein Duo so altbacken und verstaubt auf eine Version zurück, die mit dem Jahr 2015 am liebsten gar nichts zu tun haben will? Ein bisschen Rock / Pop reingemischt und das war's dann schon? Das ist alles andere als aufregend. Da hat Produzent Dr. Luke aber auch ordentlich wenig an Ideen hineininvestiert.

Klar kenn' auch ich all die Retro-Teens, die wieder auf 60er machen und Doo-Woop oder Funk ausgraben. Die sind mit ihren Entdeckungen in alten Kellergewölben oder Omas Plattenschrank allerdings wirklich auf der Suche und graben vergessene Schätze aus. Bei Rock City ist es ja eher so, dass dieser Sound von Pop-RnB-Reggae in den Mainstream-Bedudelungs-Medien immer noch der Standard ist. Von Neuentdeckung oder Wiederbelebung kann hier also nicht die Rede sein. Eher ist es so eine lebensverlängernde Maßnahme mit künstlicher Ernährung und Tropf.

OK – in Locked Away geht es ja irgendwie auch um eine alte Frage. Nämlich um die, ob ich wirklich geliebt werde. Mit all meinen Fehlern und Schwächen. Es geht um Sicherheit. Und das ist ja ein Konzept, dass bei all den Umwälzungen und Unverbindlichkeiten der modernen Welt für viele äußerst verlockend und erstrebenswert scheint. Wenn's also richtig kracht und ich lebenslänglich in den Knast muss, dann würde mir eine Person, die trotzdem zu mir hält helfen, den Rest des Daseins zu meistern. Hat auch ein bisschen was von: Wenn ich mein eigenes Leben schon nicht in den Griff kriege, dann sollst du wenigstens mit mir leiden und auch nicht ganz glücklich sein. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Ist ja irgendwie auch schön. – Nur so als direkte Frage, fast schon Forderung oder Versprechen find ich es einigermaßen krass. Zumal die meisten im Video gezeigten Situationen direkte Folgen von ganz persönlichen Entscheidungen sind. Ob ich nun zu den Marines gehe und mich für einen Auslandseinsatz melde, ist wesentlich von mir abhängig. Ob ich klaue oder Drogen nehme ist in den meisten Fällen auch etwas, was ich bewusst angefangen habe. Schön, wenn mir Menschen in solchen Situationen trotzdem verzeihen und zu mir halten. Aber auch ganz schön einfach, wenn man immer weiß, dass man alles machen kann was man will. Mit Verantwortung ist da nicht viel.



So schliddert Locked Away also schön am massenkompatiblen Soap-Drama entlang. Die eigentlich einsam machenden Dinge wie unverschuldete Krankheit, Behinderung, Unfall, Verleumdung, die kommen weder im Song noch im Video vor. Und das ist das eigentlich öde an dieser Produktion. Da kann man nämlich nicht einfach sagen: Ich verzeih dir, und alles ist vergessen. Da geht es schon eher ans Eingemachte. So jemand wie Hoozier traut sich was zu riskieren, wenn er fragt: Wirst Du noch zu mir halten, wenn mich die Nazis verprügeln und demütigen? – Über so etwas wollen Rock City aber lieber nicht nachdenken.

Und das hat vermutlich einen ganz guten Grund. Denn Reggae hat ja durchaus auch eine unrühmliche Tradition. Es gab und gibt da immer wieder eine recht starke und präsente Homophobie, auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist eher etwas, das gern nicht so ernst genommen wird. Und wenn man ein bisschen sucht, wird man auch bei allerlei anderen Diskriminierungsarten fündig. So schlimm ist es bei Locked Away jetzt nicht, aber ein eher konservatives Weltbild wird da schon zelebriert. Schwarzer Mann ist natürlich mit einer schwarzen Frau zusammen, der brave US-Marine hat natürlich eine Sternenbanner-Flagge im Haus hängen und für's Geld Heranschaffen ist immer noch der Kerl verantwortlich. Immerhin darf der starke Krieger ein paar Tränen zum Abschied in den Augen haben. Das ist so ziemlich der einzige Moment, in dem ein winziger Bruch zum traditionellen Macho-Weltbild deutlich wird.

Tja, warum soll ich mir also diesen Titel reinziehen? Nur weil Adam Levine mitmischt? Hmm – also auch wenn ich unbedingt gewillt bin, ihm derzeit alles Mögliche zu vergeben, erträglich macht es den Titel nicht wirklich.

Samstag, 12. September 2015

Die Ärzte: Schrei nach Liebe



Zu diesem Song und der Aktion Arschloch muss man nichts mehr sagen. Sogar die Washington Post hat darüber berichtet, dass 22 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung der Anti-Nazi-Song Platz 1 der kommerziellen Singles-Charts in Deutschland erreicht. Man muss vermutlich auch nichts mehr darüber erzählen, wie bei Erstveröffentlichung die Plattenfirma Metronome zweifelte, ob es marketingtechnisch gut sei, diesen Song als ersten nach fünf Jahren Pause zu veröffentlichen ... Die Ärzte zeigten sich 1993 politisch und sind es 2015 genauso.

Spannend an der Aktion und deren Erfolg ist das, was sich als Effekt einstellt. Kaum beginnt die Welle der Download-Sympathie zu rollen und die ersten Medienberichte erscheinen, da zeigt sich die Politik in der Figur von Angela Merkel solidarisch und öffnet die Grenzen für in Ungarn wartende Flüchtlinge. Nicht unumstritten die Entscheidung, politisches Getöse vor allem aus Bayern, aber auch Überraschung und leichte Nachahmereffekte in Westeuropa.

Und innerhalb weniger Tage dreht sich auch im Medien- und Pop-Business die Stimmung radikal. Während es bis vor gut zwei Wochen nur wenige Ausnahmen waren, die sich eindeutig gegen Fremdenhass einsetzten – Roland Kaiser zum Beispiel in Dresden im Januar, Til Schweiger im Sommer – ist es jetzt schick und schon fast ein Muss, sich Anti-Nazi-Pro-Flüchtling zu positionieren. Joko & Klaas tun es genauso wie die nicht ganz einfache und früher durchaus mit Rechts liebäugelnde Band Frei.Wild. Ohne an dieser Stelle behaupten zu wollen, dass die Ärzte bzw. der Musiklehrer Gerhard Torges die Auslöser für diese öffentliche Solidaritätswelle waren – das waren Sie keineswegs - aber der massenweise Erfolg steht nunmehr als Zeichen für ganz viele andere Aktionen und Künstler*innen. Und irgendwie auch für ein politisches Deutschland. Eines, dass sich positioniert, sogar wenn es nicht ganz einfach ist und vielleicht auch das eine oder andere Problem ergibt.

Dass ein politisches Ereignis einen Nr.1-Hit fabriziert, das gab es zwar schonmal, aber auch nicht allzu oft. Enya mit Only Time war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Titel, auf den sich alle einigen konnten. Und 1990 waren es die Scorpions mit Wind of Change, die eine politische Umwälzung an die Spitze der Hitparaden brachte. Na gut, im Dezember 2014 gab es auch Band Aid 30 und es gibt sicher noch einszweidrei andere Beispiel – Alltag ist es aber auf gar keinen Fall.

Im Gegenteil hatte sich gerade in den 2000ern eine unglaublich apolitische Feier- und Genusshaltung im Popbusiness durchgesetzt. Gesellschaftliche Themen oder überhaupt nur ein Interesse an irgend einem sozialen Fakt war viele Jahre fast schon No Go. Luxus, Drogen, Selbstverliebtheit, Katzenbilder und Blingbling – das war der Nenner auf den sich die erfolgreichen Acts und Produzenten verständigten. Erst in den vergangenen dreivier Jahren gab es wieder vereinzelte Anzeichen dafür, dass auch tiefgründigere Äußerungen ein größeres Publikum erreichen können.

Nun also ist diese Haltung sogar Nummer 1, damit irgendwie auch Konsens, natürlich mit all den Pop- und Verwässerungseffekten, die mit so einer Massenbewegung einhergehen. Wie offen und hilfsbereit sind all die Menschen, die den Song gerade kaufen. Würden Sie für die Unterstützung von flüchtenden Menschen auch auf einen Teil ihres Luxus verzichten? Und wenn es dann nicht nur die Kriegstraumatisierten sind, die nach Deutschland kommen, sondern vielleicht doch auch einige, die eher vor Armut und Hunger fliehen...?

Trotzdem: Irgendwie find ich diese Renaissance von Schrei nach Liebe nicht verkehrt. Sie macht mich sogar ein bisschen glücklich. Es gibt noch Anteilnahme und Solidarität. Die ewigen Schwarzseher haben nicht recht. Wahrscheinlich wird diese ungewöhnlich deutliche politische und gesellschaftsbewusste Haltung kein Dauerphänomen sein. Aber vielleicht wenigstens für ein paar Wochen. Das wär ja schonmal was.


Dienstag, 8. September 2015

Justin Bieber: What Do You Mean?

Justin Bieber wird erwachsen - so beschreibt es zum Beispiel James Masterton in seinem Chartblog und wundert sich, dass ihm die neue Nr.1 der britischen Charts sogar gefällt.

Nun ja, das ist nun schon ordentlich weit ausgeholt. What Do You Mean? präsentiert nämlich immer noch vor allem den romantischen Mädchenliebling. Er darf schmachtvoll und jugendlich zart seinen Text hauchen, immer auch ein bisschen unsicher in seinem Ausdruck. Liebt sie mich wirklich? Oder doch nicht? ist die Verweigerung ernst gemeint oder nur ein Spiel? Und was soll das überhaupt heißen: Du musst dich entscheiden?

So viele Fragen und so viel Ungewissheit. Das macht Jugendliche wirklich ganz schön fertig. Wo sie doch eigentlich alles wollen. Sofort. Und ohne Kompromisse. Also greift Justin Bieber zu einem Trick. Er beauftragt einen Haudrauf-Buben, einen gemeinen Überfall, eine Entführung zu inszenieren und so den Vertrauensbeweis, das Liebesgeständnis, die ultimative Verbindung zwischen den beiden zu erzwingen.



Geht alles gut, sie vertraut ihm, springt ... und ist am Ende nicht mal böse über die Verarsche. Wann das jetzt nicht wirklich Zuneigung und Liebe ist. Ist alles sogar ganz hübsch anzusehen, weil es so richtig kinomäßig gefilmt und inszeniert ist. Bleibt aber genau deshalb auch Kinderkram. Von Erwachsen-Werden oder -Sein ist da nicht viel zu spüren. Auch wenn sich die Großen und Angekommenen eigentlich auch nichts anderes wünschen als so eine bedingungslose Hingabe und Vertrauen, Treue ...

Muss man jetzt alles nicht zu sehr kritisieren. Muss man aber auch nicht unbedingt mögen. Was man in jedem Fall feststellen darf, die letzten Kollaborationen von Justin Bieber haben ihm doch auch ganz gut getan. What Do You Mean ist eine ganz clevere Mischung aus KYGO und dem kürzlich erst erlebten Battle DJ Snake X Diplo. Und mit diesem Mix aus zeitgemäßer Dekonstruktion und lauschigem Radiosound landet Justin Bieber nun auch hierzulande seinen größten Charthit. Immerhin: Aus dem Stand Platz 4. Das hat das kanadische Teenie-Idol zuvor noch nicht geschafft. Könnte also doch sein, dass sich hier ein Sänger anfängt zu etablieren. Und damit vielleicht auch ernstzunehmender oder erwachsener zu werden.