Es ist schon ordentlich unfassbar wie oldschool und altmodisch ein aktueller Hit aus den Vereinigten Staaten klingen kann. Grad hab ich das Gefühl, wir schrieben das Jahr 1999 oder vielleicht grad mal so 2001. Irgendwer oder irgendwas muss da eine Zeitschleife eingebaut haben oder den beiden Brüdern von Rock City verboten haben, auch nur ein Zipfelchen sich zu entwickeln. Ich höre also Locked Away und bin nur erstaunt über derartig unverstellte Langweiligkeit.
Dass Reggae so allmählich wieder salonfähig wird, hat sich im letzten Sommer mit MAGIC! schon angekündigt. Allerdings lebte Rude ja ganz wesentlich von dem Fun-Faktor der bescheuerten Geschichte. Das war leichte und alberne Sommerkost – da passiert schonmal ein musikalischer Ausrutscher. Dann folgte im letzten Winter OMI mit Cheerleader – das war vor allem durch den Felix Jaehn-Remix ein Muss. Und nun ist es Locked Away – wofür es nun aber wirklich keine Ausrede mehr gibt.
Jamaican Reggae ist wieder stylish. Und ich verstehe es nicht. Da gab es doch in den 2000ern die wunderbar schnoddrige Dancehall-Variante, die sich zum Ende der 00er in den ordentlich überdrehten Raggaton hochpeitschte. Produzenten wie DIPLO aka Major Lazer haben hier ihre Heimat und die Stilrichtung permanent fortgeschrieben, neu definiert, umgekrempelt... Warum greift dann ein Duo so altbacken und verstaubt auf eine Version zurück, die mit dem Jahr 2015 am liebsten gar nichts zu tun haben will? Ein bisschen Rock / Pop reingemischt und das war's dann schon? Das ist alles andere als aufregend. Da hat Produzent Dr. Luke aber auch ordentlich wenig an Ideen hineininvestiert.
Klar kenn' auch ich all die Retro-Teens, die wieder auf 60er machen und Doo-Woop oder Funk ausgraben. Die sind mit ihren Entdeckungen in alten Kellergewölben oder Omas Plattenschrank allerdings wirklich auf der Suche und graben vergessene Schätze aus. Bei Rock City ist es ja eher so, dass dieser Sound von Pop-RnB-Reggae in den Mainstream-Bedudelungs-Medien immer noch der Standard ist. Von Neuentdeckung oder Wiederbelebung kann hier also nicht die Rede sein. Eher ist es so eine lebensverlängernde Maßnahme mit künstlicher Ernährung und Tropf.
OK – in Locked Away geht es ja irgendwie auch um eine alte Frage. Nämlich um die, ob ich wirklich geliebt werde. Mit all meinen Fehlern und Schwächen. Es geht um Sicherheit. Und das ist ja ein Konzept, dass bei all den Umwälzungen und Unverbindlichkeiten der modernen Welt für viele äußerst verlockend und erstrebenswert scheint. Wenn's also richtig kracht und ich lebenslänglich in den Knast muss, dann würde mir eine Person, die trotzdem zu mir hält helfen, den Rest des Daseins zu meistern. Hat auch ein bisschen was von: Wenn ich mein eigenes Leben schon nicht in den Griff kriege, dann sollst du wenigstens mit mir leiden und auch nicht ganz glücklich sein. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Ist ja irgendwie auch schön. – Nur so als direkte Frage, fast schon Forderung oder Versprechen find ich es einigermaßen krass. Zumal die meisten im Video gezeigten Situationen direkte Folgen von ganz persönlichen Entscheidungen sind. Ob ich nun zu den Marines gehe und mich für einen Auslandseinsatz melde, ist wesentlich von mir abhängig. Ob ich klaue oder Drogen nehme ist in den meisten Fällen auch etwas, was ich bewusst angefangen habe. Schön, wenn mir Menschen in solchen Situationen trotzdem verzeihen und zu mir halten. Aber auch ganz schön einfach, wenn man immer weiß, dass man alles machen kann was man will. Mit Verantwortung ist da nicht viel.
So schliddert Locked Away also schön am massenkompatiblen Soap-Drama entlang. Die eigentlich einsam machenden Dinge wie unverschuldete Krankheit, Behinderung, Unfall, Verleumdung, die kommen weder im Song noch im Video vor. Und das ist das eigentlich öde an dieser Produktion. Da kann man nämlich nicht einfach sagen: Ich verzeih dir, und alles ist vergessen. Da geht es schon eher ans Eingemachte. So jemand wie Hoozier traut sich was zu riskieren, wenn er fragt: Wirst Du noch zu mir halten, wenn mich die Nazis verprügeln und demütigen? – Über so etwas wollen Rock City aber lieber nicht nachdenken.
Und das hat vermutlich einen ganz guten Grund. Denn Reggae hat ja durchaus auch eine unrühmliche Tradition. Es gab und gibt da immer wieder eine recht starke und präsente Homophobie, auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist eher etwas, das gern nicht so ernst genommen wird. Und wenn man ein bisschen sucht, wird man auch bei allerlei anderen Diskriminierungsarten fündig. So schlimm ist es bei Locked Away jetzt nicht, aber ein eher konservatives Weltbild wird da schon zelebriert. Schwarzer Mann ist natürlich mit einer schwarzen Frau zusammen, der brave US-Marine hat natürlich eine Sternenbanner-Flagge im Haus hängen und für's Geld Heranschaffen ist immer noch der Kerl verantwortlich. Immerhin darf der starke Krieger ein paar Tränen zum Abschied in den Augen haben. Das ist so ziemlich der einzige Moment, in dem ein winziger Bruch zum traditionellen Macho-Weltbild deutlich wird.
Tja, warum soll ich mir also diesen Titel reinziehen? Nur weil Adam Levine mitmischt? Hmm – also auch wenn ich unbedingt gewillt bin, ihm derzeit alles Mögliche zu vergeben, erträglich macht es den Titel nicht wirklich.
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