Deutsche Acts haben es tatsächlich schwer. Vielleicht nicht die, denen es reicht für ein paar Tage Superstar zu spielen. Aber die, welche Musik als Beruf betrachten und ernsthaft an einer längeren Karriere bauen, die müssen schon ziemlich hart im nehmen sein. Jahrelang touren sie umher von Kleinstadt zu Kleinsadt, veröffentlichen CDs im Eigenvertrieb, schreiben Songs – und doch will es mit dem richtig großen Hit nicht klappen. Vielleicht auch, weil es irgendwie anbiedernd aussieht, wenn man plötzlich in aller Ohren ist. In Deutschland ist es irgendwie nicht erstrebenswert oder künstlerisch wertvoll, einen Titel zu schreiben/singen, der alle mitreißt und dann womöglich auf Platz 1 der Charts landet.
Von diesem langen Weg, der zur würdevollen Nr.1 führt, können einige der ganz Großen ein Lied singen. Udo Lindenberg zum Beispiel begann schon 1969 mit dem Musikmachen. 1971 erschien seine erste LP. Wenig später kam dann der Erfolg, allerdings nur auf dem Markt für Langspielplatten. Zwar waren seine Titel bekannt und wurden allerorten gespielt, nur verkauft wurden sie nicht. In den 70ern waren Singles irgendwie nicht sexy genug, um sie massenhaft auf den Markt zu werfen. Oder zu teuer in der Produktion. Bei Udo Lindenberg dauerte es tatsächlich bis 1981 ehe es ein einzelner Titel als Single in die offiziellen Charts schaffte.
Oder auch Herbert Grönemeyer. Der wurde zwar ziemlich schnell hofiert und hatte seine Auftritte in Fernsehshows und im Kino – sogar ein wirklich durchschlagender Hit war mit Männer ziemlich bald am Start, aber dann war auch irgendwie wieder Ruhe – zumindest was den Verkauf von Singles, also Tageshits anging. Und auch hier: Titel, die im Radio liefen oder von Kassettengeräten, die gab es von ihm zur Genüge. Erst 18 Jahre, nachdem er das erste Mal in den Charts aufgetaucht war, erreichte er in Deutschland tatsächlich auch die Nummer 1. Heute gehört er zu den ganz großen des Musikgeschäftes und sowohl seine Alben wie Einzeltitel platzieren sich regelmäßig ganz oben in den Listen.
Auch über das Berliner Duo Rosenstolz lässt sich eine ähnliche Geschichte erzählen. 1991 tauchten sie erstmals auf. In Subszenen sofort geliebt und vergöttert. Mit einem breiten Erfolg dauerte es jedoch bis 1998. Da waren dann schon etliche Alben und Singles auf dem Markt.Und dann dauerte es weitere 10 Jahre, bis sie wirklich einmal den Thron der SinglesCharts einnehmen durften. Das war im Jahr 2008. Gib mir Sonne war die Signet-Single aus dem letzten Album, welches wie seine beiden Vorgänger Platz 1 der Albumcharts belegen konnte. Und es war tatsächlich auch ein Hit – also ein Lied, das in den Köpfen der Menschen ankam und sie begleitete. Im Radio, Fernsehen, zu Hause …
Die folgenden als Single ausgekoppelten Titel schafften jeweils zwar auch noch den Einzug in die Top 10, aber sie verschwanden von dort auch genuaso schnell wieder. Insofern kann man hier zu Recht fragen: was bedeuten schon diese Single-Charts? Was sind Platzierungen? – Zumal 2008/09 in Deutschland immer noch eine Zeit war, in welcher der Digitalmarkt eher unterbelichtet funktionierte.
Heute ist das vielleicht schon ein wenig anders. Klar gibt es immer noch kurzlebige Hits: schnell auf den Markt gebracht, am besten zu einem bestimmten Anlass, massiv im Fernsehen präsentiert, und dann klapptes auch mit einer guten Platzierung. Aber schnell sind diese Eintagsfliegen auch wieder weg. Oder wer kennt heute noch den Superstar von 2008? 2009? – vielleicht letztes Jahr?
Mittlerweile ist der Markt langsamer geworden. Selbst ein Pietro Lombardi schafft es seinen Siegertitel über 12 Wochen zu verkaufen. Was auch bedeutet, dass es eben doch über längere Zeit eine Nachfrage gibt, dass es so etwas wie eine Begleitung unseres Lebens wird, ob wir es wollen oder nicht.
Dagegen haben es CDs im Langformat mittlerweile schwerer. Sie werden natürlich nach wie vor produziert, promotet und verkauft – bringen ja auch mehr Geld ein als Singles, aber die Halbwertszeit ist in den meisten Fällen enorm kurz geworden. Und ich hab das Gefühl, dass weniger und weniger Menschen tatsächlich die 12 bis 18 Titel einer Zusammenstellung durchhören. Vielmehr ist ein „Cherry picking“ zu beobachten. Lieblingstracks werden ausgewählt und in einer eigenen Playlist zusammengestellt, per Download-Link geteilt oder mit einem Fan-Video versehen (sehr häufig auch in der nachgesungenen Variante – denn das mit dem Original-Verteilen ist ja nach wie vor noch illegal). Bestes Beispiel für solch ein Verhalten ist die jüngste David Guetta CD. Acht Tracks des Albums schafften es zeitgleich in die Charts – egal ob als offizielle Single mit einem Video versehen oder nicht. Damit haben die Singles-Charts eben doch eine Relevanz. Allerdings ist es enorm schwierig genau zu filtern, welcher Titel sich warum platziert. Aber eventuell ist das auch völlig unnötig.
Zurück zu den deutschen Acts – zurück zu Rosenstolz. Sie haben nun das goldene Zeitalter der CD in den 90ern genauso mitgemacht wie den Niedergang des physikalischen Handels. Jetzt befinden sie sich im Digitalzeitalter und scheinen sich auch hier wohl zu fühlen. Allerdings ist ihre Vorabsingle Wir sind am Leben zum gleichnamigen Album tatsächlich auch Anfang September auf CD erschienen und spricht damit auch die Zielgruppe der etwas älteren Musikkäufer ab Mitte 30 an. CDs brauchen wegen der etwas seltsamen deutschen Regelung der Umsatzcharts etwa ein Drittel bzw viertel weniger abzusetzen um auf gleicher Position wie die Digitalkäufe gewertet zu werden. Der große Erfolg de Titels gleich nach Veröffentlichung muss also noch nichts über seine tatsächliche Beliebtheit aussagen. Wir werden es in den kommenden Wochen erleben, spätestens nach Veröffentlichung des Albums.
Der Titel selber – Wir sind am Leben – ist ein Hymne auf den Mut zum Leben, auf die Lust am Leben, auf das Verwirklichen von Träumen und Wünschen. Ich würde sagen, der Text darf als autobiographisch angesehen werden, denn 2009 gab es für das Duo eine jähe Unterbrechung nachdem Sänger Peter Plate an einem Burnout erkrankte und für eine längere Zeit aussteigen musste. Diese Erfahrung muss einschneidend gewesen sein, so wie Anna R ihre Botschaft in die Welt singt. Lebt heute – wer weiß was morgen ist. Und ein kleines Stück geht sie noch weiter wenn sie fragt: wofür hast du gelebt? Was wolltest du eigentlich mit deinem Leben?
Vermutlich ist das eine Boptschaft die dann doch sowohl bei den etwas älteren Albumkäufern wie bei den ganz jungen Digital Natives ankommt.
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