Freitag, 23. November 2012

Emeli Sandé: Read All About It Pt. III



Emeli Sandé, vor gut einem Jahr allerhöchstens ein Geheimtipp, ist plötzlich zum Star geworden. Das ist in diesem Jahr auch schon anderen passiert. Lykke Li zum Beispiel, um mal das jüngste und wohl auch populärste Beispiel des Jahres 2012 zu nennen. Anders als bei Lykke Li aber, hat der Erfolg von Emeli Sandé jedoch auch Auswirkungen darauf, wie sie wahrgenommen wird.

Ich kann mich noch ganz gut erinnern. Zunächst tauchte Emeli Sandé als Gastsängerin auf den Veröffentlichungen von Rap- und Grime-Stars auf wie Chipmunk, Wiley oder auch Professor Green. Das waren 2008 bis 2010 die heißen Acts in Britannien und allesamt auch kommerziell erfolgreich. In Deutschland hat sich Grime sonderbarerweise nie auch nur ansatzweise durchgesetzt. Demzufolge blieb auch so eine Stimme wie die von Emeli Sandé nahezu ungehört. Ihr Solo-Debüt Heaven war dann in ihrer Heimat so etwas wie ein verspäteter Sommerhit und für allerlei Marktbeobachter der absolute Geheimtipp. Der Song war cool – verband er doch Retro-Drum’n’Bass-Elemente mit funky Bläsern und soul-geschwängerten Gesängen. Diese Fusion ließ sich ganz gut als Fortsetzung der 90er im Jetzt beschreiben.



In Deutschland war diese Mixtur vor einem Jahr eindeutig zu weit weg, zu unattraktiv. Emeli Sandé brauchte erst das sehr auf Mainstream gebürstete Next To Me, um sich hierzulande zumindest mal vorzustellen.

Und dann kamen die Olympischen Spiele 2012 in London. Emeli Sandé war – als die britische Newcomerin des Moments – eine der Main-Acts während der Eröffnungs- und Abschlussshow. Und damit wurde sie von einem Millionenpublikum wahrgenommen. Ihr Auftritt zur Eröffnung mit Abide With Me war vielleicht einer der ergreifendsten Momente des Spektakels. Vermarktet wurde dann jedoch ihre Version von Read All About It, das während der Übertragung mit sehr emotionalen Szenen der Spiele bebildert wurde und so offenbar eine Menge Menschen anrührte. hier gehts zum offiziellen Mitschnitt

In einer Reihe von Ländern wurde der Titel daraufhin als Single vermarktet, in Deutschland gibt es meines Wissens bis heute das Ganze nur als Albumtrack in digitaler Form. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, wie sich der Titel mehr und mehr durchsetzt. Beständig steigt die Nachfrage, so dass media control den Titel mittlerweile sogar in den deutschen Top 10 meldet. Nochmal: als offizielle Single hab ich ihn hierzulande noch nicht gefunden. Und die Radiostationen halten sich insgesamt auch eher bedeckt. Das entspricht ziemlich genau dem Verfahren wie es beim erstmaligen Erscheinen des Titels vor etwa einem Jahr zu erleben war. Damals diente die Aufnahme als Background für Professor Greens Rap.



Was die Industrie so schön verschläft, das ist beim Publikum schon lange ein Standard. Mittlerweile gehören Songs von Emeli Sandé zum Repertoire bei Castingshow-Kandidaten. Und damit beginnt das eigentliche Dilemma der Künstlerin. Ohne jemals wirklich eine Chance gehabt zu haben, sich als ernstzunehmende Interpretin zu etablieren, landet sie jetzt in der Wühl- und Grabbelkiste des Teenie-Mainstreams. Und plötzlich klingt ihr Heaven gar nicht mehr faszinierend oder spannend. Plötzlich höre ich einen auf Eingängigkeit getrimmten Refrain, ich höre wohlgefälligen Gesang und emotional-duselige Streicher.

Kann es sein, dass wir viel weniger die wirklichen Töne hören, sondern immer schon mit einer vorgeprägten Meinung an Musik herangehen? Im Fall von Emeli Sandé kann ich mir den zu beobachtenden Effekt nicht anders erklären. So schnell kann sich Musikerfahrung doch nicht ändern.

Read All About It (Pt. III) hat vielleicht ein wenig mehr Glück, denn die pure Akustik-Version, in der es gerade kursiert, schaltet den Verdacht auf marktkonformes Anbiedern nahezu automatisch aus. Wenn da nicht gerade eine auffällige, allgemeine Lust an reduzierten Songinterpretationen zu beobachten wäre …








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