Oh Mann, was ist bloß mit dem deutschen Gangsta-Rap los. Kein Ghetto mehr, kein Drogen-Nutten-Koks-Hype mehr, nich mal mehr richtig Bling Bling macht es. Da müssen sich doch die ganzen harten Jungs jetzt echt ziemlich Scheiße fühlen, dass einer ihrer großen Helden so einen Weichei-Song veröffentlicht. Ist das nicht Verrat?
Wahrscheinlich nicht. Die coolen Kerle vom Block haben ja immer irgendeine Erklärung parat. Muss auch nicht logisch oder stimmig sein: Sido, der nutzt jetzt das System aus. Der ist gut im Geschäft und warum soll er sich auch die Kohle durch die Lappen gehen lassen, wenn sie ihm quasi mit der goldenen Schippe ins Haus getragen wird? - Trotzdem würde mich irgendwie schon interessieren, was Sidos Freund Bushido zu dem echt romantischen Liebessong sagt, den sein Kumpel in Vorbereitung auf sein Album 30-11-80 auf die Menschheit losgelassen hat.
Mein erster Reflex war (da hatte ich noch keinen Ton gehört): Der macht’s jetzt auch mit jedem! Stephan Remmler - das ist Trash, 77 x ironisch gebrochen und völliger Scheiß, is also halbwegs OK. Mario Barth - mindestens das gleiche, dazu aber noch 10 Portionen dümmer. Adel Tawil – da wurde es schon kritisch. Immerhin gibt der sich als Person mit Migrationshintergrund ganz gern auch als einer aus, der es aus eigener Kraft von ganz unten aus den miesen Verhältnissen bis zum Pophimmel gebracht hat. Da sind schon noch Parallelen vorhanden. Aber was verbindet Sido eigentlich mit so einem Hipster-Liedermacher wie Mark Forster? – Kann eigentlich nur die naiv-kindliche Weigerung sein, erwachsen zu werden. Das soll ja ein Merkmal der Hipster sein – hab’ ich in einem leider gar nicht so schlauen Magazin gelesen.
Nun versteh’ ich nicht viel von Hipstern. Und wahrscheinlich lehnt Mark Forster diese Einordnung auch zurecht ab. Bedeutet ja weiter nichts, als dass man eher altmodisch-hässliche Klamotten und große Hornbrillen trägt. Das allerdings mit Stolz bis Arroganz. – Will Sido jetzt eigentlich als so einer angesehen werden? Immerhin, noch läuft Hipstertum unter Subkultur-Phänomen. Könnte ja sein, dass Sido mit seinem UNIVERSAL-Deal doch ein bisschen kalte Füße gekriegt hat und damit zeigen will: Hey, ich hab mich nicht kaufen lassen, ich bin immer noch ich selbst. Könnte sein, oder?
Vielleicht ist es aber einfach nur die Lust am Quatsch machen. Sido meint eigentlich gar nichts ernst. Er ist gleichzeitig harter Rapper, der gern in Talkshows rumpöbelt, und liebevoller Papa. Er steht zu seiner schweren Kindheit und Jugend im Neubauviertel, aber gleichzeitig erzählt er auch gern mal, dass er das eine oder andere mal schon ziemlichen Mist gebaut hat. Alles würde er so wahrscheinlich nicht noch mal amchen. Er ist immer noch angesehen in der Szene und treibt sich mit GENETIKK und B-Tight und wie sie alle heißen rum, aber er unterstützt auch junge Singer Songwriter indem er mit ihnen zusammenarbeitet. Äußerlich sieht er durchaus aus wie ein biederer Deutschlehrer. Aber wenn er die Ärmel hochkrempelt, dann kommen seine Tattoos zum Vorschein. Sido spielt einfach gern. Mit Identitäten. Mit uns. Was mich zu der Behauptung bringt, Sido ist mindestens das, was Lady Gaga permanent versucht zu sein: Einer, der wirklich begriffen hat wie Pop und Massenhype funktioniert. Und das gnadenlos einsetzt. Immer ganz viele Interpretationsfolien schön mitgeliefert. Und wahrscheinlich sitzt er zu Hause vor seiner Flasche Bier und lacht sich halb tot über all die Idioten, die sich den Kopf über ihn zerbrechen.
Nun, dann hat er mit diesem Textgewurschtel auch etwas, das ihn vermutlich eher zum Lachen bringt. Is ja auch schön. Im Grunde ist er ein lustiger Bursche, dieser Sido. Schade finde ich nur, dass er nicht einfach bei seinem Spaß bleiben kann, sondern manchmal – oder doch auch eher häufiger – wirklich ganz schön verquere Sachen von sich gibt. Da fällt’s mir eher schwer, so eine Liebesballade mit Ewigkeitsschwüren überhaupt irgendwie anzunehmen. Das funktioniert nicht mal als romantisches Märchen für mich.
Die meisten Fans stört das alles weniger. In den youtube-Kommentaren wird jedenfalls fleißig diskutiert, ob Sido nun der beste deutschsprachige Rapper aller Zeiten ist oder nicht. Sogar das hat er geschafft. Isser wahrscheinlich doch der geniale Master des Pop. – Irgendwie auch schade.
Freitag, 29. November 2013
Freitag, 22. November 2013
Miley Cyrus: Wrecking Ball
Ist Miley Cyrus tatsächlich ein Star? Glaubt man dem Mediendschungel: Ja. Schaut man sich die Verkaufszahlen an, dann eher: Nein. Denn so einen richtigen durchschlagenden Hit gab es von ihr noch gar nicht. Und bis vor zwei Wochen, als sie bei Herrn Lanz in Wetten dass…!? auftreten durfte, zuckten vermutlich alle unter 18-jährigen eher mit den Schultern, wenn sie den Namen hörten. Und dabei gehört Miley Cyrus in Nordamerika zu den Ultra-Top-Verdienerinnen des Show-Biz. Sogar schon seit Jahren.
2007 startete ihr Ruhm mit der Fernsehserie Hannah Montana in der sie die Titelfigur verkörperte. Laut wikipedia war diese Serie auch die mit den höchsten Einschaltquoten des Disney Chanels überhaupt. Auch in Deutschland waren die 11- bis 14-jährigen Mädchen gern von Hannah Montana angetan. Alle anderen ließ die Serie und die Figur eher kalt.
Dank doch recht kalter Vermarktung durch ihren Vater Billy Ray Cyrus (immerhin auch selbst mal als Chart-Act mit Achy Breaky Heart unterwegs gewesen) und die Maschinerie des Disney-Konzerns wurde aus Miley Cyrus tatsächlich ein überaus erfolgreiches Produkt gemacht. Freilich vor allem in der für sie vorgesehenen Nische der Teenie-Mädels. Umsatz hat das dennoch ordentlich gebracht.
Um 2010, die letzte Staffel zu Hannah Montana war gerade abgedreht, begann Miley Cyrus unter ihrem eigenen Namen Musik zu veröffentlichen. Der Stil war tatsächlich sehr anders im Vergleich zum Hannah-Montana-Highschool-Rock. Pop war nunmehr angesagt. Mit klarem Fokus auf die Tanzflächen. Denn klar war, mit nunmehr 18 Jahren würde die Teen-Star-Nummer nicht mehr lange laufen können.
Der Image-Wechsel war nicht einfach. Einige der Kiddies blieben ihr wohl weiterhin treu, ein paar neue Freunde und Fans dürfte sie gefunden haben. Besonders ihre doch tendenziell eher aufreizend, laszive Inszenierung dürfte ihr auch ein paar männliche Käufer gebracht haben. Aber ganz so durchschlagend war es dann doch nicht mit dem Erfolg.
Miley und ihr Papa fielen jedoch nicht in Panik sondern arbeiteten einfach beharrlich weiter. The Yellow-Press hatte sie ohnehin schon als einen ihrer Lieblinge ausgemacht: Miley hier, Miley da. Mal etwas mehr, wal etwas weniger – immer aber gern genommen für einen (an den Haaren herbeigezogenen) Skandal. Irgendwann hatte also jeder und jede mal den Namen gelesen und wusste ungefähr, wohin dieser zu stecken war.
Und dann kam also in diesem Jahr im Oktober das Album Bangerz. Und mit diesem auch der wirklich große Erfolg als Solo-Künstlerin unter eigenem Namen. Nr.1 in den USA, in Großbritannien, Irland und in Norwegen, im Rest von Europa Top 5 mindestens - (fast) nur in Deutschland blieb mit Nr.9 der wirklich große Durchbruch irgendwie verwehrt.
Dann kam Markus Lanz. Und dann war auch plötzlich die Presse voll mit Miley hier und da. Durchgängige Meinung: Miley Cyrus - das ist der Popstar für die 2010er. Die Musik ... nunja, wohl doch eher durchschnittlich, aber was interessiert bei einem Star schon die Musik? (Ähem - der Hype um Lady Gaga lässt grüßen.)
Nach dem Auftritt dann aber doch: Wrecking Ball mutiert zum Verkaufshit. Erstmals findet man den Namen Miley Cyrus wirklich in den Listen der angesagtesten Schlager ganz oben. Na, da hat sich doch der Aufwand gelohnt.
Ganz ohne ätzenden Hohn: Wrecking Ball ist tatsächlich bei aller Durchschnittlichkeit, die man wohl nicht abstreiten kann, ein ordentliches Pop-Stück. Kraftvoll, mit einer ins Ohr gehenden Melodie, emotionsgeschwängert, plus einem Text, der auch was mit meinen Erfahrungen und Gefühlen zu tun haben könnte – und dazu Miley's Interpretation, die tatsächlich Platz für Gefühl lässt und deutlich authentischer daherkommt als die Dauerüberanstrengung einer Rihanna oder Überinszenierung der La Gaga. Ich würde sagen, die 21-jährige hat ihre Hausaufgaben gemacht und schafft den Sprung vom Teenie-Niedlich-Girl zum Pop-Act. Eventuell sogar zu einem, der selbst ein bisschen mitbestimmt, was da mit ihr passiert. Die Skandale, die gern um sie herum aufgebauscht werden, die hat sie nämlich fast immer selber forciert. Das ist nicht so schlecht. Vor allem, weil es sogar funktioniert, wenn sie sich einfach mal nicht in den Vordergrund drängt wie bei der Bambi-Verleihung. Würden sich das andere Medienhysterische trauen?
Wenn Miley Cyrus zukünftig ernsthaft die bestimmende Figur im Business werden könnte, dann wäre es um den Pop gar nicht so schlecht bestellt. Ich hab aber immer noch das Gefühl, dass die eher blutleeren, dafür aber umso lauteren Synthetik-Stars, erfolgreicher um Aufmerksamkeit buhlen und bei der willfährigen Masse mehr Anklang finden. Schade.
2007 startete ihr Ruhm mit der Fernsehserie Hannah Montana in der sie die Titelfigur verkörperte. Laut wikipedia war diese Serie auch die mit den höchsten Einschaltquoten des Disney Chanels überhaupt. Auch in Deutschland waren die 11- bis 14-jährigen Mädchen gern von Hannah Montana angetan. Alle anderen ließ die Serie und die Figur eher kalt.
Dank doch recht kalter Vermarktung durch ihren Vater Billy Ray Cyrus (immerhin auch selbst mal als Chart-Act mit Achy Breaky Heart unterwegs gewesen) und die Maschinerie des Disney-Konzerns wurde aus Miley Cyrus tatsächlich ein überaus erfolgreiches Produkt gemacht. Freilich vor allem in der für sie vorgesehenen Nische der Teenie-Mädels. Umsatz hat das dennoch ordentlich gebracht.
Um 2010, die letzte Staffel zu Hannah Montana war gerade abgedreht, begann Miley Cyrus unter ihrem eigenen Namen Musik zu veröffentlichen. Der Stil war tatsächlich sehr anders im Vergleich zum Hannah-Montana-Highschool-Rock. Pop war nunmehr angesagt. Mit klarem Fokus auf die Tanzflächen. Denn klar war, mit nunmehr 18 Jahren würde die Teen-Star-Nummer nicht mehr lange laufen können.
Der Image-Wechsel war nicht einfach. Einige der Kiddies blieben ihr wohl weiterhin treu, ein paar neue Freunde und Fans dürfte sie gefunden haben. Besonders ihre doch tendenziell eher aufreizend, laszive Inszenierung dürfte ihr auch ein paar männliche Käufer gebracht haben. Aber ganz so durchschlagend war es dann doch nicht mit dem Erfolg.
Miley und ihr Papa fielen jedoch nicht in Panik sondern arbeiteten einfach beharrlich weiter. The Yellow-Press hatte sie ohnehin schon als einen ihrer Lieblinge ausgemacht: Miley hier, Miley da. Mal etwas mehr, wal etwas weniger – immer aber gern genommen für einen (an den Haaren herbeigezogenen) Skandal. Irgendwann hatte also jeder und jede mal den Namen gelesen und wusste ungefähr, wohin dieser zu stecken war.
Und dann kam also in diesem Jahr im Oktober das Album Bangerz. Und mit diesem auch der wirklich große Erfolg als Solo-Künstlerin unter eigenem Namen. Nr.1 in den USA, in Großbritannien, Irland und in Norwegen, im Rest von Europa Top 5 mindestens - (fast) nur in Deutschland blieb mit Nr.9 der wirklich große Durchbruch irgendwie verwehrt.
Dann kam Markus Lanz. Und dann war auch plötzlich die Presse voll mit Miley hier und da. Durchgängige Meinung: Miley Cyrus - das ist der Popstar für die 2010er. Die Musik ... nunja, wohl doch eher durchschnittlich, aber was interessiert bei einem Star schon die Musik? (Ähem - der Hype um Lady Gaga lässt grüßen.)
Nach dem Auftritt dann aber doch: Wrecking Ball mutiert zum Verkaufshit. Erstmals findet man den Namen Miley Cyrus wirklich in den Listen der angesagtesten Schlager ganz oben. Na, da hat sich doch der Aufwand gelohnt.
Ganz ohne ätzenden Hohn: Wrecking Ball ist tatsächlich bei aller Durchschnittlichkeit, die man wohl nicht abstreiten kann, ein ordentliches Pop-Stück. Kraftvoll, mit einer ins Ohr gehenden Melodie, emotionsgeschwängert, plus einem Text, der auch was mit meinen Erfahrungen und Gefühlen zu tun haben könnte – und dazu Miley's Interpretation, die tatsächlich Platz für Gefühl lässt und deutlich authentischer daherkommt als die Dauerüberanstrengung einer Rihanna oder Überinszenierung der La Gaga. Ich würde sagen, die 21-jährige hat ihre Hausaufgaben gemacht und schafft den Sprung vom Teenie-Niedlich-Girl zum Pop-Act. Eventuell sogar zu einem, der selbst ein bisschen mitbestimmt, was da mit ihr passiert. Die Skandale, die gern um sie herum aufgebauscht werden, die hat sie nämlich fast immer selber forciert. Das ist nicht so schlecht. Vor allem, weil es sogar funktioniert, wenn sie sich einfach mal nicht in den Vordergrund drängt wie bei der Bambi-Verleihung. Würden sich das andere Medienhysterische trauen?
Wenn Miley Cyrus zukünftig ernsthaft die bestimmende Figur im Business werden könnte, dann wäre es um den Pop gar nicht so schlecht bestellt. Ich hab aber immer noch das Gefühl, dass die eher blutleeren, dafür aber umso lauteren Synthetik-Stars, erfolgreicher um Aufmerksamkeit buhlen und bei der willfährigen Masse mehr Anklang finden. Schade.
Freitag, 15. November 2013
EMINEM FT. Rihanna The Monster
Es gab eine Zeit, da schien der klassische HipHop sich gnadenlos selbst überholt zu haben, quasi tot gelaufen in immer den selben Ausdrucksformen. Das ist noch gar nicht so lang her – sechs oder sieben Jahre vielleicht. Dann gab es sehr spannende Weiterentwicklungen und Fusionen: von Grime bis hin zu Rap über Electro-Tracks oder gar reingemogelt in niedliche Popsongs. Und dann kehrte der Master zurück. 2010 katapultierte sich EMINEM zurück ins Bewusstsein der Menschen. An der Seite hatte er Rihanna und mit ihr zusammen landete er einen Klassiker: Love The Way You Lie. - Das Unglaubliche an diesem Hit war, dass er so unfassbar zeitlos daher kam. Er klang genau so als wäre er zehn Jahre zuvor schon aufgenommen worden und jetzt in einer verstaubten Schublade wiederentdeckt worden. Ein Beispiel der mittlerweile massiv grassierenden Atemporalität war das bereits.
Heute, drei Jahre später, ist dieser Begriff, diese Haltung noch viel ausgeprägter. Und deshalb kann EMINEM tatsächlich The Marshall Mathers LP II auf den Markt bringen, 13 Jahre nachdem Version 1 zum globalen Millionenseller geworden war. Warum er so lange damit gewartet hat, ist gar nicht richtig klar. Denn die Fortsetzung ist genau das: eine Fortsetzung. Keine Weiterentwicklung, kein überraschendes Update. Vielleicht eine Rückschau der Art: Was ich damals vergaß zu sagen.
Und so ist auch die vierte Single des Albums, The Monster, kein wahnsinnig aufregendes Stück mit den allerletzten Produktionstricks oder Soundexperimenten – es ist das komplette Gegenteil: erwartbarer Sound, klassische Rhymes, Rihanna wie wir sie von gefühlten 1000 anderen Stücken kennen - im besten Falle nenne ich so etwas OldSchool.
Warum dieser Sound dann immer noch so erfolgreich ist, liegt vielleicht auch daran, dass die vor 15 Jahren jungen Menschen zwar älter geworden sind, sich aber nicht so fühlen und auch nicht so benehmen. Sie kaufen immer noch Musik – jetzt haben sie ja sogar richtig Geld um sich auch wirklich eine physische CD zuzulegen. Das mit dem illegalen Download und den mp3s, das ist was für die Kids. Und klar stehen sie immer noch auf den Sound von früher. Je originaler umso besser. Denn die Zeit der Jugend, das war doch die beste Zeit ...
Mit dieser Einstellung sind die Konsumenten recht nah an ihrem Idol dran. Denn mit The Monster schaut EMINEM ein bisschen auf seine Karriere und resümiert, was da so in den letzten 15 Jahren passiert ist. Allerdings fällt diese Zusammenfassung eher ernüchternd aus. Der Ruhm und das Geld haben ihm nicht unbedingt Glück und Zufriedenheit gebracht. Stattdessen durfte er auch die negativen Seiten des Startums kosten: Kein Privatleben mehr, ständiger Erfolgsdruck und keine Chance auf ein Zurück. Das kann schon ordentlich verrückt machen.
Vielleicht ist das die Geschichte, in der sich die etwas älteren Musikkäufer wiederfinden. Auch sie haben mittlerweile ein geregeltes Leben, in dem sie funktionieren müssen. Auch sie fühlen sich zerrissen zwischen dem was sie gern wären und dem was sie doch täglich erfüllen müssen. Und der Luxus, den sie als Ausgleich konsumieren können, der ist dann doch nicht alles.
So ist sie also, die Welt. Ungerecht und böse wie eh und je. Und man kann nichts dagegen tun – Selbstmitleid ist das Gefühl, das dieser Haltung entspricht. Und das ist nicht weit von dem entfernt, was auch vor 15 Jahren schon Grundkonsens war. Ich komme aus harten Verhältnissen, niemand hat mir etwas geschenkt, ich musste immer für alles kämpfen, ich musste mich durchsetzen. Damals, da war die Haltung noch sehr viel kämpferischer, da hieß es eben auch: Stellt Euch mir nicht in den Weg, ich haue drauf, denn ich will raus aus diesem Dreck hier. - 2013, da herrscht dann eher Resignation vor. Vielleicht gibt es noch einen Funken Hoffnung. Vielleicht werde ich doch eines Tages ein Leben führen, das mich glücklich macht. Aber diese Hoffnung ist nicht sehr groß.
Hat sich also doch was getan in 13 Jahren. Wenn auch nichts, was ich eine positive Entwicklung nennen würde. Was mich irgendwie auch zu dem Verdacht bringt, dass EMINEM und seine Fans auch in weiteren 15 Jahren nicht wirklich weiter gekommen sein werden. Auch dann wird es vor allem darum gehen, was die Verhältnisse mit einem anstellen. Auch dann wird es heißen: Ich bin schon ein ziemlich armes Schwein. Glück haben eher die anderen. Zumindest aber wird wohl auch dann noch ordentlich Aufmerksamkeit und Erfolg fließen bei diesen Ergüssen.
Sonntag, 10. November 2013
Adel Tawil: Lieder
Ich gebe zu, ich habe große Schwierigkeiten mit Adel Tawil. Warum? – Weil er mir häufig was von seinem Glauben erzählen will, oft schön ummäntelt, damit ich es nicht gleich merke, aber ehrlich, auf solche Missionarsnummern steh ich gar nicht. Also hatte ich große Angst vor der neuen Single von Adel Tawil. Als ich dann das Cover der Promo-Kopie sah, da wurde meine Lust auf das Lied nicht größer. Dann hörte ich den Titel und – doch, es macht schon Spaß die Zitate zu errätseln, an große (oder auch kleine) Zeiten erinnert zu werden. Da zieht dann auf einmal ein Stück Popgeschichte vorbei – und vermutlich wird dieser Song ja auch zur Geschichte werden.
Und da sind wir dann auch schon bei dem Dilemma des aktuellen Pops. Er bezieht sich irgendwie nur noch auf sich selbst. Mit allem anderen hat er so gut wie gar nichts mehr zu tun. Die eine oder der andere behauptet das zwar immer noch, aber die Verbindungen zu Gesellschaft, zu Lebensrealität, zu technischen Entwicklungen werden immer sporadischer und zufälliger. Selbst der Draht zu den Medien (ich mein jetzt sowas wie Rundfunkanstalten und Verlage) funktioniert grad mal noch in Einzelfällen. Ja, es gibt noch den Hit, der durch die WM-Übertragung erst zu einem wird. Und wenn Wetten dass…? Miley Cyrus einlädt, dann wird ihre Single sicher in der darauffolgenden Woche gut über die digitalen und realen Ladentische gehen. Aber die komplette Breite dessen was sich in den Charts tummelt wird in keinem wirklichen Mainstreamradio abgebildet. Und im TV schon gar nicht.
Vielleicht gibt es an diesem Zustand nichts zu bejammern. Vielleicht war das ja bereits ab dem Punkt so, als junge Menschen keinen Bock mehr hatten, den Alten zu gefallen, und deshalb einfach die Musik machten, die ihnen entsprach – also im Grunde schon immer. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Hits in den 80ern irgendwie präsenter überall waren. Als Nena ihre 99 Luftballons auf die Reise schickte, da konnte den so gut wie jeder mitsingen. Egal ob ich das Lied nun toll fand oder nicht. Oder so ein Gassenhauer wie Maid Of Orleans von OMD, der war vielleicht als Name, als Titel kein großer Begriff, aber zwei Takte genügten und alle schunkelten mit. Frag heute mal jemand zufällig Ausgewählten auf der Straße nach – zum Beispiel Klingande. Oder auch nach Robin Thicke. Grad mal Lady Gaga schafft es noch, bei fast allen als Name etwas auszulösen.
Adel Tawil hat insgesamt ganz gute Karten zu denen zu gehören, die etwas breiter bekannt sind. Vielleicht ja auch nur als Gesicht von ich + ich. Aber mit seinen unglaublich radiokompatiblen Hits hat er es schon zu einigen Klassikern gebracht. Klassiker im Sinne: der Titel beginnt und die Hälfte der Leute im Raum kann irgendwie mitsummen. Insofern muss man ihn vermutlich doch auch als ernstzunehmenden Künstler einstufen. Das, was uns dieser Künstler aber mitgeben will, ist schnell erzählt: er will halt nur ein paar Lieder singen. Lieder, die zum Leben gehören, die Begleitung sind. Aber zu viel an Nachdenken oder Tiefe sollten sie wahrscheinlich nicht haben. Das stört dann eventuell recht schnell. Dass in Lieder die Band EMF auftaucht ist da schon ein kleines Wunder. Da hat sich Herr Tawil ordenltich was getraut.
Und schwups sind wir beim zweiten auffälligen Merkmal der neuen Single. Adel Tawil kramt in seinem Text nämlich eine ganze Menge 80er Jahre Hits aus. Warum eigentlich? Purple Rain war ein Hit, da war er gerade mal 6 Jahre alt. Eventuell hat Adel in diesem zarten Alter immer die Musik seiner Eltern hören müssen und deshalb ist dieser Titel verbunden mit warmen Kindheitserinnerungen. Eventuell war Purple Rain tatsächlich auch so omnipräsent, dass er schon als 6-jähriger nicht dran vorbei kam. Oder – und das find ich dann durchaus eine bedenkliche Geschichte – er hat den Titel später erst kennen gelernt. In den 90ern – als er ein Teen war. Das ist ja ein Alter, in dem es bei Musik um etwas ganz Existentielles geht. Nirvana dürfte er also bewusst als Lebensphilosophie aufgesogen haben. Allerdings hat dieser Einfluss nicht so wahnsinnig viele Spuren hinterlassen. Eher war dieser Soundbrei aus Nirvana, Whitney Houston, Prince und Michael Jackson Teil der immerwährenden Dauerbeschallung mit den größten Hits der 80er und 90er – das gab es ja damals leider auch schon. Ständig präsent und durch die ewige Widerholung leider auch zur Belanglosigkeit totgedudelt (wenn die jeweiligen Titel nicht vorher schon belanglos waren).
Das ist nun also die Geschichte, die uns Adel Tawil mitgibt: Popmusik ist immer präsent, ist immer dabei. Das, was diese Musik mit uns machen kann, das bleibt allerdings sein Geheimnis. Das Zitat um des Zitat willens und dann widerholt wie ein Mantra – das löst im besten Falle hübsche individuelle Erinnerungen bei den 40-jährigen aus. Die heute Jugendlichen, die stehen allerdings eher vor leeren Worthülsen. Das kann man natürlich auch als Stärke sehen: eine Folie, die frei ist für jegliche Interpretationen. Ein Song, der also erstmal jeden erreichen kann. Allerdings ist es damit fast nicht viel mehr als ein weißes Blatt. Wenn ich also diesen Song nicht zufällig in einer Situation höre, die für mich bedeutend ist, dann ist eben dieses Lied auch nichts, was in mir etwas auslöst. Wenn ich alle meine, dann meine ich eigentlich auch keinen. – Das muss man als Künstler ja auch erstmal wollen.
Und da sind wir dann auch schon bei dem Dilemma des aktuellen Pops. Er bezieht sich irgendwie nur noch auf sich selbst. Mit allem anderen hat er so gut wie gar nichts mehr zu tun. Die eine oder der andere behauptet das zwar immer noch, aber die Verbindungen zu Gesellschaft, zu Lebensrealität, zu technischen Entwicklungen werden immer sporadischer und zufälliger. Selbst der Draht zu den Medien (ich mein jetzt sowas wie Rundfunkanstalten und Verlage) funktioniert grad mal noch in Einzelfällen. Ja, es gibt noch den Hit, der durch die WM-Übertragung erst zu einem wird. Und wenn Wetten dass…? Miley Cyrus einlädt, dann wird ihre Single sicher in der darauffolgenden Woche gut über die digitalen und realen Ladentische gehen. Aber die komplette Breite dessen was sich in den Charts tummelt wird in keinem wirklichen Mainstreamradio abgebildet. Und im TV schon gar nicht.
Vielleicht gibt es an diesem Zustand nichts zu bejammern. Vielleicht war das ja bereits ab dem Punkt so, als junge Menschen keinen Bock mehr hatten, den Alten zu gefallen, und deshalb einfach die Musik machten, die ihnen entsprach – also im Grunde schon immer. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Hits in den 80ern irgendwie präsenter überall waren. Als Nena ihre 99 Luftballons auf die Reise schickte, da konnte den so gut wie jeder mitsingen. Egal ob ich das Lied nun toll fand oder nicht. Oder so ein Gassenhauer wie Maid Of Orleans von OMD, der war vielleicht als Name, als Titel kein großer Begriff, aber zwei Takte genügten und alle schunkelten mit. Frag heute mal jemand zufällig Ausgewählten auf der Straße nach – zum Beispiel Klingande. Oder auch nach Robin Thicke. Grad mal Lady Gaga schafft es noch, bei fast allen als Name etwas auszulösen.
Adel Tawil hat insgesamt ganz gute Karten zu denen zu gehören, die etwas breiter bekannt sind. Vielleicht ja auch nur als Gesicht von ich + ich. Aber mit seinen unglaublich radiokompatiblen Hits hat er es schon zu einigen Klassikern gebracht. Klassiker im Sinne: der Titel beginnt und die Hälfte der Leute im Raum kann irgendwie mitsummen. Insofern muss man ihn vermutlich doch auch als ernstzunehmenden Künstler einstufen. Das, was uns dieser Künstler aber mitgeben will, ist schnell erzählt: er will halt nur ein paar Lieder singen. Lieder, die zum Leben gehören, die Begleitung sind. Aber zu viel an Nachdenken oder Tiefe sollten sie wahrscheinlich nicht haben. Das stört dann eventuell recht schnell. Dass in Lieder die Band EMF auftaucht ist da schon ein kleines Wunder. Da hat sich Herr Tawil ordenltich was getraut.
Und schwups sind wir beim zweiten auffälligen Merkmal der neuen Single. Adel Tawil kramt in seinem Text nämlich eine ganze Menge 80er Jahre Hits aus. Warum eigentlich? Purple Rain war ein Hit, da war er gerade mal 6 Jahre alt. Eventuell hat Adel in diesem zarten Alter immer die Musik seiner Eltern hören müssen und deshalb ist dieser Titel verbunden mit warmen Kindheitserinnerungen. Eventuell war Purple Rain tatsächlich auch so omnipräsent, dass er schon als 6-jähriger nicht dran vorbei kam. Oder – und das find ich dann durchaus eine bedenkliche Geschichte – er hat den Titel später erst kennen gelernt. In den 90ern – als er ein Teen war. Das ist ja ein Alter, in dem es bei Musik um etwas ganz Existentielles geht. Nirvana dürfte er also bewusst als Lebensphilosophie aufgesogen haben. Allerdings hat dieser Einfluss nicht so wahnsinnig viele Spuren hinterlassen. Eher war dieser Soundbrei aus Nirvana, Whitney Houston, Prince und Michael Jackson Teil der immerwährenden Dauerbeschallung mit den größten Hits der 80er und 90er – das gab es ja damals leider auch schon. Ständig präsent und durch die ewige Widerholung leider auch zur Belanglosigkeit totgedudelt (wenn die jeweiligen Titel nicht vorher schon belanglos waren).
Das ist nun also die Geschichte, die uns Adel Tawil mitgibt: Popmusik ist immer präsent, ist immer dabei. Das, was diese Musik mit uns machen kann, das bleibt allerdings sein Geheimnis. Das Zitat um des Zitat willens und dann widerholt wie ein Mantra – das löst im besten Falle hübsche individuelle Erinnerungen bei den 40-jährigen aus. Die heute Jugendlichen, die stehen allerdings eher vor leeren Worthülsen. Das kann man natürlich auch als Stärke sehen: eine Folie, die frei ist für jegliche Interpretationen. Ein Song, der also erstmal jeden erreichen kann. Allerdings ist es damit fast nicht viel mehr als ein weißes Blatt. Wenn ich also diesen Song nicht zufällig in einer Situation höre, die für mich bedeutend ist, dann ist eben dieses Lied auch nichts, was in mir etwas auslöst. Wenn ich alle meine, dann meine ich eigentlich auch keinen. – Das muss man als Künstler ja auch erstmal wollen.
Freitag, 1. November 2013
Milky Chance: Stolen Dance
Nachdem ich in den vergangenen Wochen hier ordentlich abgemeckert habe (aber dazu bin ich ja auch angetreten), muss ich mir heute vielleicht mal ein wenig Mühe geben und auch ein paar positive Dinge von mir geben. Das ist nicht ganz einfach, aber doch, bei Milky Chance geht das schon. Obwohl ich ganz ganz ehrlich zuallererst mal gedacht habe: ach Mensch, warum machen es sich diese jungen Menschen heutzutage nur so schwer? Was ist passiert, dass sie alle so weltfremd melancholisch umher rennen, sich irgendwie fremd fühlen und gar nicht recht das Leben genießen können? - Und dann versuche ich mich zu erinnern, wie das damals war, als ich so gerade mal 17 oder 18 war und .... huch, ich war ja genauso: verträumt, irgendwie desillusioniert und immer in dem Gefühl, ganz allein zu sein, niemand versteht mich - naja vielleicht eine einzige Person, aber die zu finden wird richtig richtig schwierig. Romantiker pur!
Und dieses Lebensgefühl beherrscht also eine ganze Menge junger Menschen auch im Jahr 2013. Und noch mehr Menschen (auch ältere) finden das, was daraus entsteht schön. Leben wir also in einer neuen Romantik-Hochsaison?
Wenn wir uns mal die erfolgreichen Hits der letzten Monate anschauen, dann fällt schon ein ordentlicher Hang zu romantischen Weltsichten auf: Klingande, James Blunt, Passenger, Lana del Rey die Country- und Folk-Welle. Romantik hier vor allem begriffen als der Gegenentwurf zur Realität. Der Wunschtraum, der Glücksmoment, das schöne Gefühl, es soll festgehalten und konserviert werden. Hier soll sich nichts ändern, denn jede Veränderung bedroht nur den IST-Zustand oder eben den Traum.
Im 19. Jahrhundert, da war die Romantik zu verstehen als eine Reaktion auf das immer schneller werdende Leben, auf die Industrialisierung und Mechanisierung des Lebens. Die deutlichen Veränderungen brachten einen Verlust des Bekannten und Vertrauten. Das Zuhause, die Heimat schienen gefährdet oder gar verloren. Diese Erfahrung und die starren herrschenden Formen ließen eine Reihe von Künstlern nach einem Ausweg suchen: in der ungebändigten Natur, der einmaligen, unverfälschten Liebe, dem Gefühl als einzigem Barometer für Echtheit und Wahrheit. Es war auch die Zeit der sich beginnenden Individualisierung der Gesellschaft. Goethe's Werther als der an der Wirklichkeit Zerbrechende, denn für seine unkonventionelle, individuelle Zuneigung gibt es keine Chance.
Auch heute wird die Welt immer schneller, immer technisierter, immer unübersichtlicher. Im Grunde ist es also kein Wunder, dass die Menschen auf dieser Welt mit einer romantischen Sicht darauf reagieren. Anders aber als vor 200 Jahren sind die Stilmittel heute alles andere als neu oder besonders individuell. Damals erfanden die Überforderten eine neue Sprache, sie warfen Konventionen der Komposition und des Textens über Bord. Sie verunsicherten auch ganz gehörig die Gesellschaft. Selbst die New Romantics in den frühen 80ern zelebrierten mit ihrem eiskalten Synthie-Pop eine neue Ästhetik. Heute ist das, was Klingande oder James Morrison oder Passenger in Reaktion auf den sie überfordernden Alltag anbieten eher altbekannte Antworte und Verweise. Sie kuscheln sich ein in Erinnerungen an eine Welt wie sie mal war. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht wirklich zu neuen Ergebnissen führt oder besonders viel bewirkt. Die Entwicklung lässt sich vermutlich nicht mehr zurück drehen.
Und nun komme ich doch dazu, die beiden Jungs von Milky Chance zu kritisieren. Denn auch ihr Sound ist wirklich seit gut anderthalb Jahren gehörig massenkonform: Wankelmut, andhim, in gewisser Weise auch Klingande oder Klangkarussell machen genau dasselbe. Und klingen auch noch ganz ganz ähnlich. Das ist natürlich alles nicht schlimm. Wenn dieser soft tuckernde, elektronische Wohlfühlsound gerade das Lebensgefühl vieler Menschen repräsentiert, nun, dann soll er auch benutzt und eingesetzt werden. Ich kann glaub' ich noch ganz gut drauf. Aber sicher nicht mehr lange.
Also genießen wir so lang es noch geht diesen Song. Denn das was er uns anbietet ist nicht nur schön und romantisch in Höchstform. Es ist im Gegensatz zumindest zu Klingande und Sonnentanz auch wesentlich zeitgemäßer und moderner. Sicher, Video-Überblendungen sind seit Lana del Rey auch ein ganz ordentlich akzeptiertes Stilmittel, aber immerhin visualisieren sie damit auch die Flüchtigkeit und Vielschichtigkeit von Erinnerungen. Den peinlichen Affenbrotbaum im Video - den muss man ja nicht unbedingt anschauen. Vielleicht ist ja auch genau das das Neue an Milky Chance: sie haben nicht mal Angst vor biederer Sentimentalität.
Und dieses Lebensgefühl beherrscht also eine ganze Menge junger Menschen auch im Jahr 2013. Und noch mehr Menschen (auch ältere) finden das, was daraus entsteht schön. Leben wir also in einer neuen Romantik-Hochsaison?
Wenn wir uns mal die erfolgreichen Hits der letzten Monate anschauen, dann fällt schon ein ordentlicher Hang zu romantischen Weltsichten auf: Klingande, James Blunt, Passenger, Lana del Rey die Country- und Folk-Welle. Romantik hier vor allem begriffen als der Gegenentwurf zur Realität. Der Wunschtraum, der Glücksmoment, das schöne Gefühl, es soll festgehalten und konserviert werden. Hier soll sich nichts ändern, denn jede Veränderung bedroht nur den IST-Zustand oder eben den Traum.
Im 19. Jahrhundert, da war die Romantik zu verstehen als eine Reaktion auf das immer schneller werdende Leben, auf die Industrialisierung und Mechanisierung des Lebens. Die deutlichen Veränderungen brachten einen Verlust des Bekannten und Vertrauten. Das Zuhause, die Heimat schienen gefährdet oder gar verloren. Diese Erfahrung und die starren herrschenden Formen ließen eine Reihe von Künstlern nach einem Ausweg suchen: in der ungebändigten Natur, der einmaligen, unverfälschten Liebe, dem Gefühl als einzigem Barometer für Echtheit und Wahrheit. Es war auch die Zeit der sich beginnenden Individualisierung der Gesellschaft. Goethe's Werther als der an der Wirklichkeit Zerbrechende, denn für seine unkonventionelle, individuelle Zuneigung gibt es keine Chance.
Auch heute wird die Welt immer schneller, immer technisierter, immer unübersichtlicher. Im Grunde ist es also kein Wunder, dass die Menschen auf dieser Welt mit einer romantischen Sicht darauf reagieren. Anders aber als vor 200 Jahren sind die Stilmittel heute alles andere als neu oder besonders individuell. Damals erfanden die Überforderten eine neue Sprache, sie warfen Konventionen der Komposition und des Textens über Bord. Sie verunsicherten auch ganz gehörig die Gesellschaft. Selbst die New Romantics in den frühen 80ern zelebrierten mit ihrem eiskalten Synthie-Pop eine neue Ästhetik. Heute ist das, was Klingande oder James Morrison oder Passenger in Reaktion auf den sie überfordernden Alltag anbieten eher altbekannte Antworte und Verweise. Sie kuscheln sich ein in Erinnerungen an eine Welt wie sie mal war. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht wirklich zu neuen Ergebnissen führt oder besonders viel bewirkt. Die Entwicklung lässt sich vermutlich nicht mehr zurück drehen.
Und nun komme ich doch dazu, die beiden Jungs von Milky Chance zu kritisieren. Denn auch ihr Sound ist wirklich seit gut anderthalb Jahren gehörig massenkonform: Wankelmut, andhim, in gewisser Weise auch Klingande oder Klangkarussell machen genau dasselbe. Und klingen auch noch ganz ganz ähnlich. Das ist natürlich alles nicht schlimm. Wenn dieser soft tuckernde, elektronische Wohlfühlsound gerade das Lebensgefühl vieler Menschen repräsentiert, nun, dann soll er auch benutzt und eingesetzt werden. Ich kann glaub' ich noch ganz gut drauf. Aber sicher nicht mehr lange.
Also genießen wir so lang es noch geht diesen Song. Denn das was er uns anbietet ist nicht nur schön und romantisch in Höchstform. Es ist im Gegensatz zumindest zu Klingande und Sonnentanz auch wesentlich zeitgemäßer und moderner. Sicher, Video-Überblendungen sind seit Lana del Rey auch ein ganz ordentlich akzeptiertes Stilmittel, aber immerhin visualisieren sie damit auch die Flüchtigkeit und Vielschichtigkeit von Erinnerungen. Den peinlichen Affenbrotbaum im Video - den muss man ja nicht unbedingt anschauen. Vielleicht ist ja auch genau das das Neue an Milky Chance: sie haben nicht mal Angst vor biederer Sentimentalität.
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