Ich gebe zu, ich habe große Schwierigkeiten mit Adel Tawil. Warum? – Weil er mir häufig was von seinem Glauben erzählen will, oft schön ummäntelt, damit ich es nicht gleich merke, aber ehrlich, auf solche Missionarsnummern steh ich gar nicht. Also hatte ich große Angst vor der neuen Single von Adel Tawil. Als ich dann das Cover der Promo-Kopie sah, da wurde meine Lust auf das Lied nicht größer. Dann hörte ich den Titel und – doch, es macht schon Spaß die Zitate zu errätseln, an große (oder auch kleine) Zeiten erinnert zu werden. Da zieht dann auf einmal ein Stück Popgeschichte vorbei – und vermutlich wird dieser Song ja auch zur Geschichte werden.
Und da sind wir dann auch schon bei dem Dilemma des aktuellen Pops. Er bezieht sich irgendwie nur noch auf sich selbst. Mit allem anderen hat er so gut wie gar nichts mehr zu tun. Die eine oder der andere behauptet das zwar immer noch, aber die Verbindungen zu Gesellschaft, zu Lebensrealität, zu technischen Entwicklungen werden immer sporadischer und zufälliger. Selbst der Draht zu den Medien (ich mein jetzt sowas wie Rundfunkanstalten und Verlage) funktioniert grad mal noch in Einzelfällen. Ja, es gibt noch den Hit, der durch die WM-Übertragung erst zu einem wird. Und wenn Wetten dass…? Miley Cyrus einlädt, dann wird ihre Single sicher in der darauffolgenden Woche gut über die digitalen und realen Ladentische gehen. Aber die komplette Breite dessen was sich in den Charts tummelt wird in keinem wirklichen Mainstreamradio abgebildet. Und im TV schon gar nicht.
Vielleicht gibt es an diesem Zustand nichts zu bejammern. Vielleicht war das ja bereits ab dem Punkt so, als junge Menschen keinen Bock mehr hatten, den Alten zu gefallen, und deshalb einfach die Musik machten, die ihnen entsprach – also im Grunde schon immer. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Hits in den 80ern irgendwie präsenter überall waren. Als Nena ihre 99 Luftballons auf die Reise schickte, da konnte den so gut wie jeder mitsingen. Egal ob ich das Lied nun toll fand oder nicht. Oder so ein Gassenhauer wie Maid Of Orleans von OMD, der war vielleicht als Name, als Titel kein großer Begriff, aber zwei Takte genügten und alle schunkelten mit. Frag heute mal jemand zufällig Ausgewählten auf der Straße nach – zum Beispiel Klingande. Oder auch nach Robin Thicke. Grad mal Lady Gaga schafft es noch, bei fast allen als Name etwas auszulösen.
Adel Tawil hat insgesamt ganz gute Karten zu denen zu gehören, die etwas breiter bekannt sind. Vielleicht ja auch nur als Gesicht von ich + ich. Aber mit seinen unglaublich radiokompatiblen Hits hat er es schon zu einigen Klassikern gebracht. Klassiker im Sinne: der Titel beginnt und die Hälfte der Leute im Raum kann irgendwie mitsummen. Insofern muss man ihn vermutlich doch auch als ernstzunehmenden Künstler einstufen. Das, was uns dieser Künstler aber mitgeben will, ist schnell erzählt: er will halt nur ein paar Lieder singen. Lieder, die zum Leben gehören, die Begleitung sind. Aber zu viel an Nachdenken oder Tiefe sollten sie wahrscheinlich nicht haben. Das stört dann eventuell recht schnell. Dass in Lieder die Band EMF auftaucht ist da schon ein kleines Wunder. Da hat sich Herr Tawil ordenltich was getraut.
Und schwups sind wir beim zweiten auffälligen Merkmal der neuen Single. Adel Tawil kramt in seinem Text nämlich eine ganze Menge 80er Jahre Hits aus. Warum eigentlich? Purple Rain war ein Hit, da war er gerade mal 6 Jahre alt. Eventuell hat Adel in diesem zarten Alter immer die Musik seiner Eltern hören müssen und deshalb ist dieser Titel verbunden mit warmen Kindheitserinnerungen. Eventuell war Purple Rain tatsächlich auch so omnipräsent, dass er schon als 6-jähriger nicht dran vorbei kam. Oder – und das find ich dann durchaus eine bedenkliche Geschichte – er hat den Titel später erst kennen gelernt. In den 90ern – als er ein Teen war. Das ist ja ein Alter, in dem es bei Musik um etwas ganz Existentielles geht. Nirvana dürfte er also bewusst als Lebensphilosophie aufgesogen haben. Allerdings hat dieser Einfluss nicht so wahnsinnig viele Spuren hinterlassen. Eher war dieser Soundbrei aus Nirvana, Whitney Houston, Prince und Michael Jackson Teil der immerwährenden Dauerbeschallung mit den größten Hits der 80er und 90er – das gab es ja damals leider auch schon. Ständig präsent und durch die ewige Widerholung leider auch zur Belanglosigkeit totgedudelt (wenn die jeweiligen Titel nicht vorher schon belanglos waren).
Das ist nun also die Geschichte, die uns Adel Tawil mitgibt: Popmusik ist immer präsent, ist immer dabei. Das, was diese Musik mit uns machen kann, das bleibt allerdings sein Geheimnis. Das Zitat um des Zitat willens und dann widerholt wie ein Mantra – das löst im besten Falle hübsche individuelle Erinnerungen bei den 40-jährigen aus. Die heute Jugendlichen, die stehen allerdings eher vor leeren Worthülsen. Das kann man natürlich auch als Stärke sehen: eine Folie, die frei ist für jegliche Interpretationen. Ein Song, der also erstmal jeden erreichen kann. Allerdings ist es damit fast nicht viel mehr als ein weißes Blatt. Wenn ich also diesen Song nicht zufällig in einer Situation höre, die für mich bedeutend ist, dann ist eben dieses Lied auch nichts, was in mir etwas auslöst. Wenn ich alle meine, dann meine ich eigentlich auch keinen. – Das muss man als Künstler ja auch erstmal wollen.
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