Freitag, 27. Dezember 2013

Andreas Kümmert: Simple Man

Eigentlich ist dieser Mann ein wenig zu bedauern. Auch wenn The Voice of Germany tausendmal als die bessere und die andere Casting-Show beschrieben wird, als Gewinner der Ausgabe 2013 muss er nun erstmal gegen diesen Sieg ankämpfen. Ivy Quainoo, die Siegerin der ersten Ausgabe im Jahr 2012, ist – gemessen an ihren Mainstream-Verkaufshits – auch nur ein Casting-Show-Produkt mit mäßigem Erfolg. Und immer wenn ihre Name auftaucht, dann ist auch sofort der Link da: Siegerin bei ... welchem Casting doch gleich? Nicht unbedingt in jedem Fall vorteilhaft.

Vom Sieger 2012 Nick Howard spricht heute gar keiner mehr – Popularität während der Show heißt also nichts. Und nun tritt Andreas Kümmert an. Gern wird er als der komplett andere Sieger bezeichnet. Er kommt zu den Shows und selbst zum Finale kein bisschen herausgeputzt – eher noch alltäglicher, noch abgerissener. So wie sein Leben bisher verlief. Er kann auch bereits nach dem Halbfinalauftritt einen veritablen Top 5-Hit vorweisen. Und selbst meine Mutter, die Pop höchst ätzend findet, murmelt anerkennend: “Aber eine gute Stimme hat er...” Sind das die richtigen Vorzeichen für einen Ausnahme-Sieg?

Was wird da also kommen? Wird nun ernsthaft ein Casting-Sieger eine länger anhaltende Karriere haben? Bisher gab es lediglich Lena, die dieses Kunststück hinlegen konnte (von den No Angels jetzt mal abgesehen – das war dann doch eine andere Liga).

Seine Single Simple Man, die kommt erstmal ordentlich bodenständig daher. Ein soulgefüllter Titel den auch Joe Cocker vor 30 Jahren schon hätte zum Hit machen können. Mit seiner Präsenz in der Show erreichte er ein Riesenpublikum. Vor allem eines, dass sich an Einzeltiteln erfreuen kann.



Nun bleibt abzuwarten was passiert, wenn die Medienaufmerksamkeit nicht mehr auf ihn gerichtet ist. Wie überzeugend ist dann sein Sound, seine Handschrift? Oder ist er eventuell sogar glücklich, wenn es danach erstmal wieder etwas ruhiger zugeht? Als Popstar hat er sich zumindest bisher noch nicht inszeniert.

Vielleicht ist genau das auch das Überzeugende. Denn auch wenn an The Voice of Germany immer wieder dran steht: hier geht’s um die Stimme, nicht um die Inszenierung – am Ende wählen Fernsehschauende immer auch das was an Geschichte um einen Song oder eine Kandidatin herum aufgebaut wird. Und hier ist es eben auch der Musiker, der nichts anderes ist und sein will. Und der nicht mal die Bohne versucht auf Pop zu machen. Was ihn nicht davon abhält Popularität zu erlangen. Schön, dass so etwas passieren kann.

Wenn ein bisschen von dieser Bodenständigkeit erhalten bleibt, ohne dass es in den absoluten Folksong-Kitsch abgleitet, dann wär’s noch schöner. Gefühlvoller Soul, gern etwas größer instrumentiert und trotzdem nicht übertrieben hochpoliert – das ist durchaus eine Nische, die hierzulande noch nicht so oft bedient wird. Es gibt also noch einiges zu tun. Und für Andreas Kümmert ein ordentliches Betätigungsfeld.





Freitag, 20. Dezember 2013

MARTERIA: Kids (2 Finger an den Kopf)

Es gibt also Pop-Acts die kann man einfach nur vergessen: vorausberechnend, auf Masse gebürstet, inhaltsleer, Hauptsache Skandal und ein paar chice Kostüme. Die sind strunzlangweilig und nur in den allerseltensten Fällen auch nur einen Hauch Aufregung wert.

Dann gibt es die Guten: diejenigen, die sich ein bisschen mehr den Kopf machen, die ziemlich genau reflektieren was für ein Scheißverein dieser Pop-Zirkus eigentlich ist und die trotzdem coole Musik machen. Oder auch saulustig sind: Brezel Göring ist so einer.

Und dann gibt es welche, bei denen weiß man nicht so genau. MARTERIA zum Beispiel. Der schliddert ordentlich hin und her zwischen schweinecool und peinlich bieder.

Da er außerdem der Generation Ironie angehört weiß niemand so recht, was nun genau Sache ist. Er entzieht sich einfach einer Festlegung durch gnadenlose Brechung aller Ebenen. Selbst sein jüngster Streich Kids (2 Finger an den Kopf), der ja geradezu direkt ausspricht was er meint, lässt noch genügend Interpretationsnischen offen. Ich kann mich am schönen Styling der Mädels im Video genauso freuen wie ich den Text unglaublich kritisch und auf den Punkt getroffen finden kann. Ich kann auch genauso gut die Ironiefolie drüber legen und das Ganze ist mindestens entgegengesetzt gemeint. Oder das Gegenteil vom Gegenteil. Oder was auch immer.



Am Ende haben sich alle im Deutungschaos verloren und es bleibt lediglich die Entscheidung des Bauches: Mag ich den Beat? Mag ich die Art des Rhymes? Find' ich Kinderchöre cool? - Das kann alles ordentlich nach hinten losgehen. Kinderchöre sind ja eigentlich schon ganz schön verbraucht. Und die Sinnlos-Ich-mein-gar-nix-mehr-Partynummer ist auch nicht grad der Bringer für 'ne längere Zeit. Schön, dass sich MARTERIA dann trotzdem noch traut Geschichten zu erzählen, über das Leben nachzudenken und das sogar in Musik zu verpacken. Mit diesem Mut, auch mit dem Ergebnis, nie eine Lösung anbieten zu können, sondern sich einzugestehen, dass es eben doch immer nur so weiter geht – mit dieser Haltung bringt er unsere Realität, unsere Gesellschaft schön auf den Punkt: Zu kompliziert um begreifbar zu sein, zu komplex um irgendwie beeinflusst werden zu können. Und trotzdem auch schön, geil, lustig. Das hat er hier gut hingekriegt. Es muss also nicht zwangsläufig peinlich sein, wenn man Rapper und Papa gleichzeitig ist.

Danke für diese Lehre.

Freitag, 13. Dezember 2013

Faul & Wad Ad Vs. Pnau: Changes

Hit Nummer 3 im identischen Gewand! Nach Sonnentanz und Jubel ist es nun also Changes. Und es lässt sich an dieser Stelle wunderbar alles das wiederholen was schon gesagt wurde. Einlullender, flauschiger Schubidu-Lounge-Sound – das Ding der Stunde. Und ganz frech steht da immer noch Deep House dran.

Nun ja, wahrscheinlich war dieser Stil tatsächlich noch nie etwas anderes. Auch wenn in den 90ern gern das innovative Potenzial unterstrichen wurde. Aber ich will an dieser Stelle gar nicht die Vergangenheit verunglimpfen, zumal diese sich ja dann doch recht schwer rekonstruieren lässt. Im Jetzt und Heute dürfte Deep House mit den banalen Superhits der letzten Monate seinen Todesstoß erhalten. Eventuell war die hippieske Verklärung des Sounds noch irgendwie verständlich als Fluchtbewegung – wenigstens was für eine Nischenszene, die nach dem Radio-Tod-Gedudel weiter inbrünstig und unbeobachtet ihrem Sound frönen könnte. Mit dem neuesten Kapitel in Form von Changes dürfte auch das unmöglich geworden sein.

Deep House ist nun nämlich Kindersound. Aber nicht, weil dort ein Kinderchor-Sample verramscht wird. Wesentlich schädigender ist das mitgelieferte Video. Wie wir ja doch immer wieder feststellen ist die Visualisierung von Musik ein expliziter Erfolgsfaktor und die mitgelieferte Bildwelt wesentlich für das, was mit dem einen oder anderen Titel verbunden wird.

Faul & Wad Ad haben sich als Großstadt-DJ-Duo aus Paris eine debile, amerikanische Vorort-Kinder-Geschichte zu ihrer Produktion drehen lassen. Da rennen also kriegsbemalte Kinderkrieger mit Klopapiergewehren durch die Stadt um ihre von einer anderen Kindergang entführte Freundin zu befreien. Mama im Retro-50ies-Look guckt aus dem Fenster und freut sich an den Lieben. Pippi Langstrumpf lässt grüßen.



Jetzt bin ich also mal ganz ganz doll positiv und deute den Quatsch als Kinder-an-die-Macht-Wunsch, als Plädoyer für mehr Verspieltheit, weniger Bürokratie und Steifheit – macht euch mal locker und genießt euer Leben!

Warum funktioniert das aber trotzdem nicht? - Weil der Deep House-Saxophon-Soundtrack viel zu wenig von dieser ungestümen und unberechenbaren Freiheit transportiert. Das ist alles ordentlich vorhersehbar und stört eben kein bisschen. Da ist das Original zum verramschten Kinderchor-Sample um Lichtjahre spannender. Knarzig, trötig, ein bisschen schief und dazu mit einem völlig absurden Video sind Pnau in ihrer Haltung wesentlich mehr kindlich unverbraucht als ihre französischen Kollegen.



Und auch wenn man Pnau für alles mögliche ebenfalls kritisieren könnte und ihre große Zeit wohl auch schon 3 ... 4 ... 5 Jahre her ist – dass sie jetzt so gnadenlos weichgespült werden, haben sie ernsthaft nicht verdient.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Pitbull Feat. KE$HA: Timber

Wer hätte das gedacht: eine absolut knallhart berechnete Kombination von Proleten-Stars schafft es doch wirklich sich breit durchzusetzen. Dabei sah es mit Mr. Worldwide Pitbull beinahe schon nach einem Schwächeanfall aus. Genug hoch und runter gedudelt schien sein Rotzfrech-Party-Rapstyle. Wiederholung des Immergleichen. – Und Madame White Trash KE$HA? Was bitte hatte die denn jetzt noch genau zu melden? TiK ToK – ok, das war anständig auf die Glocke gehau’n und für 2010 auch eine Art ,sich dümmlich-frech in Szene zu setzen, die in ihrer Dreistigkeit ungewohnt war. Aber danach war das Luder-Ding aus dem Vorort irgendwie durch. Wer will schon immer mit zerrissenen Strumpfhosen Whiskey schlürfen und auf Schlampe machen?

Jetzt haben sich also beide zusammen geschmissen – oder schmeissen lassen. Das passt erstmal ganz gut: betonte und zur Schau gestellte Gripslosigkeit in Potenz – Party bis zum Abwinken ist angesagt. Die Atzen haben’s schön vorgemacht und lassen grüßen.

Neu ist, dass beide zusammen jetzt auch noch das verbraten, was einem als Sound bei dem Begriff “Provinzeinöde” so einfällt: Mundharmonikasound. Dank AVICII und dem Country-Folk-Hype im Mainstream-Pop finden das natürlich eine Menge Leute großartig. Ich hab’ mich an dieser Stelle schon über die Parallelen zu den Rednex ausgelassen. Würde mich nicht wundern, wenn die jetzt auch gleich noch ein Comeback feiern. Nichts Neues also an der Partyfront.

Zu dem Ganzen gehört natürlich auch eine visuelle Umsetzung, die genauso gnadenlos alle Scheiß-Klischees aus der Vorort-Langeweile bedienen die nur so existieren: wackelnde Frauenärsche in Hot Pants, die Music Box aus den 50ern, eine Farm mit Ziegen und ein Rodeo-Ritt. Mister Worldwide bevorzugt es dagegen weißsträndig-karibisch, wie immer im Drogendealer-Anzug und auch hier umgarnt von einer Inselschönheit.

Dass genau diese Bilderwelt dem Song nochmal einen Popularitätsschub verleiht (bislang war Timber zwar ein Top 10-Hit in den deutschen Singlecharts, jetzt mausert er sich gar zur Nr.4) verweist auf die Vorlieben des deutschen Publikums: Südsee, Jungs-Träume und Macho-Scheiße. Wo richtig starke Männer ungebändigte Tiere zurechtreiten, da darf auch gefeiert werden. Und die blöden Frauen, die sich potthässlich zurechtmachen, sind ordentlich geil und lassen sich gern zum Nachtisch vernaschen. Früher lief so was als enorm langweile Nachtschleife bei RTL und Sat.1. Und war da schon an grenzenloser Debilität nicht zu überbieten.

Gibt es in dieser enorm satten und oberflächlichen Gesellschaft eigentlich überhaupt noch ein anderes Thema als die hirntote Dauerparty?

Die Konsequenz, mit der hier diese ganze Stupidität und Doofheit umgesetzt wird, die ist wirklich verblüffend. Das ist fast schon ein Grund, Timber einen Platz in den Pop-Geschichtsbüchern einzuräumen. – Wenn da nicht schon vor fast 20 Jahren die Rednex gewesen wären.