Freitag, 28. März 2014

Elaiza: Is It Right


Dieses Trio wird Deutschland also beim Eurovision Song Contest 2014 in Kopenhagen repräsentieren.

Das war schon eine kleine Sensation, die sich da am 13. März zum nationalen Vorentscheid Unser Lied für Kopenhagen abspielte. Als Gewinner der Wild Card, ermittelt per Televoting nach einem Clubkonzert (und zuvor natürlich per viralem Youtube-Marketing), als absolute No Names traten sie an gegen deutsche Kommerzschlachtschiffe wie UNHEILIG oder auch Santiano – Bands, die nahezu alles veröffentlichen können was sie wollen und sofort einen neuen Bestseller haben. Gegen diese übermäßige Konkurrenz setzten sich die drei Musikerinnen (und ein Schlagzeuger) durch. Fast schon zart war ihr Auftritt gegen den Brachialpop und Schlachtgesang der anderen. Und das war wohl das Überzeugende. Das deutsche Publikum kehrt nach dem unsäglichen 2013er Ausflug in flachste Dancefloor-Gewässer zurück zum eher diskreten Charme junger Natürlichkeit.

In allerlei Veröffentlichungen und Plattformen ist zu lesen, dass es sich bei Is It Right um einen Folk-Song handelt. Nun, wenn Folk all das umfassen soll, was irgendwo auf der Welt als folkloristische Tradition gilt, dann ist das wohl so. Ansonsten hat der Titel mit dem, was uns bislang im Mainstream unter Folk begegnet nicht so viel zu tun. Das ist in der Instrumentierung wohl schon nahe am Volkstümlichen dran, im Sound platziert es sich allerdings eher mit einer leichten Tendenz zum Balkan-Pop. Und auch da ist es nicht wirklich zu Hause. Auf dem Folk-Festival in Rudolstadt, da würden Elaiza jedenfalls ganz gut ins Line Up passen.

So zwischen allen Schubladen und sich Einordnungen immer wieder auch entziehend ist der Titel vor allem eines: anständig gezähmt. Die wilde, überbordende Fröhlichkeit und Feierlust, die ich aus folkloristischen Zusammenhängen kenne, die erscheint hier doch arg gezügelt. Sie ist nicht völlig weg, aber reichlich gebändigt. Vielleicht zu sehr?

Laut Zuschauervoting und Verkaufserfolg nicht. Es gefällt der deutschen Mehrheit. Irgendwie ursprünglich daherkommend, aber auch nicht zu sehr. Schließlich sind wir ein zivilisiertes Land. Auch eines, in dem es schon eher ordentlich zugeht.

Und wie wird solch eine Mischung im europäischen Kulturraum zwischen Azerbaidjan und Island ankommen? – Den letztjährigen Erfolg von Emmeli de Forest betrachtend, könnten die drei Frauen aus Berlin durchaus ganz gute Chancen haben. Andererseits gab es in den letzten Jahren bei doch recht extrem ausgefallenen Siegen niemals die Situation, dass sich der Siegersound eines Jahres noch ein zweites Mal durchsetzen konnte. Also wieder mal alles offen, alles möglich.

Eines haben Elaiza allerdings bereits jetzt schon geschafft. Sie können die Eurovisions-Euphorie der letzten Jahre in Deutschland weiterführen. Immerhin ist es das fünfte Jahr in Folge, dass sich der deutsche Beitrag auch in den media control Charts ganz oben, nämlich unter den Top 10, behaupten kann. Das gab es vordem noch nicht. Und wenn man jetzt mal die eher peinlichen Beiträge von 2009 (Alex SwingsOscar Sings!) und 2005 (Gracia) außer Acht lässt, dann gehört der Eurovision Song Contest bzw. die deutschen Beiträge dazu seit nunmehr 10 Jahren fest ins Repertoire der Mainstream-Popkultur. Das ist tasächlich eine neue Qualität. Die übrigens genau mit dem Zeitpunkt zusammen fällt, ab dem sich Stefan Raab vehement in das Eurovisions-Geschehen eingemischt hat.

Und da sind wir bei dem eigentlichen Dilemma dieser ganzen Geschichte: Der Eurovisions-Contest mit seiner Chanson-Vergangenheit, mit seiner ursprünglichen Fokussierung auf das gut geschriebene Lied. Dieser Wettbewerb ist schon lange lange ganz woanders angekommen: Pop-Zirkus, Ethno-Party, hedonistische Selbstinszenierung. Das muss man nicht mögen, aber um da mitspielen zu können, muss man es eben doch akzeptieren. Und das kriegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk dann immer noch nicht hin. (Da muss man sich ja nur die Kommentare von Peter Urban / NDR anhören. Die erzählen alles über die Einstellung, mit der die ARD sich beteiligt.) Und so nimmt es mich auch überhaupt nicht wunder, dass die von den ARD-Spezialisten jeweils ins Rennen geworfenen Beiträge auch in diesem Jahr wieder einmal eher durchgefallen sind. Insofern: Elaiza als Gewinner der Wild-Cart aus dem Nowhere kommend – das kann nur gut werden.





Freitag, 21. März 2014

AVICII: Addicted To You

Streich Nummer Drei aus AVICIIs Album True. Und wieder ist es ein countryeskes Dance-Pop-Stückchen. Und wieder nistet sich der Track mit jedem Hören mehr ein. Und wieder bleibt die Stimme fast anonym – gut unterrichtete Nerds wissen natürlich, dass der Gesang von Audra Mae aus Oklahoma stammt.

Lohnt sich hier eigentlich noch ein genaueres Hinsehen oder Hinhören? Welche Variante des Traums von der großen, ungebändigten Freiheit wird hier durchgespielt?

Zunächst mal kommt Addicted To You nicht ganz so stadionmäßig-volkstümlich daher. Das ist schonmal schön. Keine Chöre zum Mitgrölen. Und Audra Mae bleibt insgesamt auch angenehm authentisch. Es ist diesmal also nicht die alkoholgeschwängerte Verbrüderungshymne mit Familienanschluss. Es ist dieses Mal die Gangstergeschichte mit lesbischer Untermalung. Das Ganze verlegt in eine Zeit, die mindestens 80 Jahre her ist – oder 100? Um zu zeigen, dass das Ganze heute kein Thema mehr ist? Oder nur eine schöne Erinnerung? Oder auch eine stylish inszenierte Phantasie? – Das lässt sich nicht genau herausfinden. Zumindest wird hier ein Abstand zum heutigen und echten Leben erzeugt. Vielleicht, damit man besser auf das schauen kann, was daran aktuell ist.

Spannend auf jeden Fall ist, dass das “normale” Leben und der Alltag in diesem Video gar nicht so gut bei weg kommen. Die alten Säcke in der Kneipe sind genau das: schmierige, geifernde Sabberhengste – die haben nichts anderes verdient als ausgenommen zu werden. Der seriöse Bankangestellte ist alles andere als ehrlich: im größten Durcheinander sieht er zu, dass er noch ein paar Scheine in die eigene Tasche wirtschaften kann. Und der Kommissar mit seinen Scharfschützen ist insgesamt ein wenig zu glatt rasiert, zu smart und windschnittig – denen gönne ich, dass sie am Ende in die Luft fliegen.



Dass die beiden Heldinnen, mit der großen Sucht nach dem unverfälschten Leben und dem Glück nicht in ein Happy End fahren dürfen, liegt auf der Hand. Irgendwie lässt das unser Wertegerüst nicht zu. Selbst bei Quentin Tarantino sind die Bösen am Ende dann doch diejenigen, die ins Gras beißen. Wild und ohne Kompromisse gelebt, aber eben auch mit der Gewissheit, dass alles ganz schnell zu Ende gehen kann.

Ist das die Geschichte, die uns Addicted To You erzählt? Könnte sein, denn auch textlich ist da eher vom völligen Loslassen die Rede, von Auf- und Hingabe als von Sicherheit und Gewissheiten. So kann also auch ein Liebeslied klingen. Nicht schlecht.



Freitag, 14. März 2014

Clean Bandit Featuring Jess Glyne: Rather Be

Die Pop-Sensation dieses Winters waren Clean Bandit. Zumindest in Großbritannien. Dort landete Rather Be recht überraschend und sehr direkt auf der Nummer 1. Vorbestellungsrekord für eine Single, meiste Tags und Streams … das waren die Schlagzeilen Anfang Februar. In Deutschland brauchte der Titel etwas länger, was auch der nach wie vor beknackten Videoveröffentlichungspolitik des Warner Music-Labels angelastet werden kann. So einfach kommt man an das Video nämlich nicht ran. Und wenn man es dann mal gefunden hat, dann ist es nicht unbedingt möglich, dieses auch problemlos irgendwo einzubinden.

Also ging’s erstmal eher verhalten los mit dem Erfolg. Dann fand der Song seinen Weg doch immer wieder mal ins Fernsehen, als hübscher Soundtrack zur Olympia-Berichterstattung zum Beispiel. Und wie so oft, wenn smarte TV-Redakteure etwas als gut auswählen und geschickt einsetzen, wurde Rather Be allmählich zum Ohrwurm. Sehr wahrscheinlich ist, dass der TV-Einsatz das Label auch ein bisschen was gekostet hat, alles in allem also ein zumindest in Deutschland professionell durchgesetzter Hit. Aber mal zur eigentlichen Musik.

Als ich den Song das erste Mal hörte, da fragte ich mich schon, was denn nun genau so sensationell an der Produktion sein sollte. Etwas sperrig fand ich das Ganze zudem: hübsche Melodie ja, Glöckchensound und Violinen – auch ok, aber irgendwie arg zusammengezimmert kam’s mir vor. Vielleicht liegt es daran, dass mit dem was Brandt Brauer Frick samt Ensemble machen, die Latte für die Verschmelzung von Klassik und Pop doch schon recht hoch liegt. Da werden elektronische Produktionsstrukturen analog nachgestellt, da wird der Drum-Computer in den Konzertsaal gestellt und nicht selten gibt es Ausflüge in den Jazz. Das Ganze ist derartig organisch und selbstverständlich, als hätte es nie die verschiedenen Musiktraditionen und –entwicklungen gegeben.

Clean Bandit sind da etwas weniger konsequent. Sie fügen klassische Elemente, wie Kompositionsausschnitte oder Violinen-/Cello-Besetzungen in Popsongs ein. Das hat durchaus noch innovatives Potenzial ist aber im Grundansatz auch schon 100 mal durchgespielt worden. Immerhin wagt sich die Band etwas Sperrigkeit. Dass ein Poptitel recht unverfälscht mit einem halbminütigen Violinenstück beginnt, ist nicht unbedingt förderlich für den durchschlagenden Massenerfolg. So ist es für mich auch nicht verwunderlich, dass es vor allem Rather Be an die Spitze der europäischen Verkaufshitparaden schafft. A&E oder auch Mozart’s House waren allerhöchstens Wegbereiter, obwohl sie im Grundansatz nichts anderes machten.


A&E – Mozart’s House


Rather Be

Wenn sich Clean Bandits jetzt noch trauen, etwas tiefer in die Songstrukturen einzugreifen, die heutige Popsongs in der Regel aufweisen, dann könnten sie tatsächlich zu so etwas wie den Erneuerern des Pop avancieren. Aber das wird sicher eine steiniger Weg.







Freitag, 7. März 2014

Nico & Vinz: Am I Wrong

Wenn in Deutschland die Sprache auf Afrika kommt, dann ist da in den letzten Monaten meist das Bild vom unterentwickelten, armen Kontinent zur Hand. Vorzivilisierte Stammesgesellschaften sind genauso als Vorstellung präsent wie Korruption, Gewalt und Krieg. Wo kommen sonst all die Flüchtlinge her, welche hierzulande eine hitzige Diskussion ausgelöst haben, die zwischen dem Ruf nach dichteren Grenzen bzw. kontrollierter Zuwanderung die und dem Einfordern des Menschenrechts auf Überleben und eines solidarischen Humanismus hin- und herpurzelt. Meist auf beiden Seiten ordentlich übertrieben und mit halbgegarten Klischees agierend.

In so einem Moment kommen zwei Norweger, deren Eltern in Ghana bzw. der Côte d’Ivoire geboren wurden, veröffentlichen Musik, die sich gut unter Afropop ablegen lässt (zumindest höre ich da Elemente, die mich an Musik aus Westafrika erinnert), die beiden drehen ein Video in Botswana, Zimbabwe und Zambia, haben damit Erfolg – und ich frage mich: Was macht das mit uns? Mit unseren Vorstellungen von diesem riesigen Kontinent? Vielleicht auch mit unseren Vorurteilen?

Das Cover zum Hit von Nico & Vinz präsentiert uns mit dem zum Elefantenkopf gestylten &-Zeichen eine Art Safari-Impression. Der Elefant, das ist das beeindruckende Tier aus dem Zoo, das ist die Verkörperung von Kraft und Macht der Natur. Wer sich noch ein bisschen mehr mit der Symbolik des Elefanten beschäftigt, der findet noch eine ganze Menge mehr Bedeutungen, meistens mit ähnlichen Assoziationen.

Der Elefant von Nico & Vinz trägt zudem einen Stern auf der Stirn. Man weiss nicht genau: ist es der Stern von der Heineken-Brauerei oder der revolutionäre Rote Stern. Geht’s hier also um Party und Unterhaltung (Zirkus oder Safari) oder um Weltveränderung?

Glücklicherweise gibt mir der Text des Liedes hier eindeutige Hilfe:

“Am I Wrong For Saying That I Choose Another Way?
...
I ain't trying to do what everybody else doing
Just cause everybody doing what they all do.“


Hier gehen also zwei ihre eigenen Wege. Hier geht es nicht um Anpassung, sondern um die Suche nach dem Selbst. Hier geht es um das eigene Glück und das Recht darauf. Warum soll ich eigentlich nicht in Europa leben dürfen? Warum ist der Geburtsort oder auch die familiäre Herkunft ausschlaggebend für das was mir zusteht und was nicht?

Vielleicht geht’s hier auch um Zweifeln: ist das der richtige Weg? Gibt es überhaupt einen richtigen Weg? Wie richtig ist ein Weg, nur weil alle ihn gehen? In die eine genauso wie in die andere Richtung.

Das klingt schon ganz ordentlich nach Aufbegehren, nach Revolte, auf alle Fälle aber nach Aufrichtigkeit. Und vor allem formuliert es nicht einfach nur Gewissheiten und Parolen sondern stellt Fragen. Ein sehr schöner Umgang mit der Vieldeutigkeit der Welt.

Allerdings macht diese Haltung auch viele Nebenwege und Ungenauigkeiten möglich. Es gibt auch bei Am I Wrong genügend Interpretationsebenen und Rückzugstürchen, um das Ganze auch als Beziehungsdrama zu lesen. Oder auch als Trotz. Die Hymne auf das Recht auf's Anderssein hat irgendwie auch einen Unterton.

Und so ist auch die musikalische Umsetzung mindestens unscharf. Da klingt Zweifel (Verzweiflung?) in den ersten gesungenen Passagen genauso mit wie später Zuversicht und Fröhlichkeit. Ich kann den Stolz auf die Herkunft aus den Backgroundchören ebenso heraushören wie es auch einfach nur folkloristische Dekoration und Jahrmarktsgesang sein könnte. Vielleicht sind Revolutionen heute tatsächlich vor allem Party? Die CSDs und Love Parades der 00er würden das untermauern. Die aktuellen Ereignisse aus Kiew oder Venezuela eher nicht.

Und was macht die Bilderwelt mit uns? Die liefert uns Ansichten und Geschichten, die schon zur WM in Südafrika permanent die Bildschirme überfluteten. Da sehe ich arme, aber glückliche Menschen und schöne, aber karge Landschaften. Da sehe ich nicht viel, was Mitteleuropäer als modern bezeichnen würden. Da gibt es ja nicht mal Fernseh-Empfang.



Erliegen Nico & Vinz hier ihrer eigenen Märchenerzählung? Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie sich zwar enorm verbunden fühlen mit dem ehemaligen Heimatland ihrer Eltern und vielleicht sogar mit ganz Afrika. Gleichzeitig ist es auch möglich, dass sie diese Länder, diesen Kontinent gar nicht wirklich kennen. Zwei-, drei-, fünf- oder zehnmal Besuche dort machen ist letztlich immer noch nichts anderes als eine touristische Begegnung.

Ich werd’ mich natürlich hüten, den beiden etwas erzählen zu wollen, über falsche und richtige Eindrücke. Das was sie da wiedergeben ist ihre Realität, ihre Erfahrung – auch wenn sie vielleicht vor allem geprägt ist durch Erzählungen in der Familie, die sich im kalten Norwegen zurückwünscht in die alte Heimat.

Hier zeigt sich die Leerstelle dieser Produktion. Am I Wrong spielt uns vermeintlich authentisch Afrika vor und verschweigt dabei (zumindest visuell) den europäischen Background, den die beiden Protagonisten auch mitbringen. Die beiden inszenieren sich in eine Welt hinein, die scheinbar ohne jeden Austausch existiert. Vielleicht drücken die beiden damit auch ihre Wünsche und Sehnsüchte aus. Eine Welt, in der sie nicht permanent mit der westlichen Wirtschaft und dem Konsumterror einer Gesellschaft konfrontiert sind, die sie gar nicht richtig will.

Dieser Wunsch ist sehr nachvollziehbar. Ich vermute nur, dass es nirgendwo eine reale Entsprechung dazu gibt. – Träumen und Wünschen ist auch überhaupt nicht schlecht. Nur die Chance wird dabei vergeben, Europa und Afrika, diese beiden Welten, miteinander auf Augenhöhe in Kontakt zu bringen. Dass das geht, beweisen solche Acts wie Die Antwoord aus Südafrika. Das gefällt vielleicht nicht allen – aber es benennt die Diskrepanzen eindeutig. So etwas machen Nico & Vinz eher gar nicht.