Wenn in Deutschland die Sprache auf Afrika kommt, dann ist da in den letzten Monaten meist das Bild vom unterentwickelten, armen Kontinent zur Hand. Vorzivilisierte Stammesgesellschaften sind genauso als Vorstellung präsent wie Korruption, Gewalt und Krieg. Wo kommen sonst all die Flüchtlinge her, welche hierzulande eine hitzige Diskussion ausgelöst haben, die zwischen dem Ruf nach dichteren Grenzen bzw. kontrollierter Zuwanderung die und dem Einfordern des Menschenrechts auf Überleben und eines solidarischen Humanismus hin- und herpurzelt. Meist auf beiden Seiten ordentlich übertrieben und mit halbgegarten Klischees agierend.
In so einem Moment kommen zwei Norweger, deren Eltern in Ghana bzw. der Côte d’Ivoire geboren wurden, veröffentlichen Musik, die sich gut unter Afropop ablegen lässt (zumindest höre ich da Elemente, die mich an Musik aus Westafrika erinnert), die beiden drehen ein Video in Botswana, Zimbabwe und Zambia, haben damit Erfolg – und ich frage mich: Was macht das mit uns? Mit unseren Vorstellungen von diesem riesigen Kontinent? Vielleicht auch mit unseren Vorurteilen?
Das Cover zum Hit von Nico & Vinz präsentiert uns mit dem zum Elefantenkopf gestylten &-Zeichen eine Art Safari-Impression. Der Elefant, das ist das beeindruckende Tier aus dem Zoo, das ist die Verkörperung von Kraft und Macht der Natur. Wer sich noch ein bisschen mehr mit der Symbolik des Elefanten beschäftigt, der findet noch eine ganze Menge mehr Bedeutungen, meistens mit ähnlichen Assoziationen.
Der Elefant von Nico & Vinz trägt zudem einen Stern auf der Stirn. Man weiss nicht genau: ist es der Stern von der Heineken-Brauerei oder der revolutionäre Rote Stern. Geht’s hier also um Party und Unterhaltung (Zirkus oder Safari) oder um Weltveränderung?
Glücklicherweise gibt mir der Text des Liedes hier eindeutige Hilfe:
“Am I Wrong For Saying That I Choose Another Way?
...
I ain't trying to do what everybody else doing
Just cause everybody doing what they all do.“
Hier gehen also zwei ihre eigenen Wege. Hier geht es nicht um Anpassung, sondern um die Suche nach dem Selbst. Hier geht es um das eigene Glück und das Recht darauf. Warum soll ich eigentlich nicht in Europa leben dürfen? Warum ist der Geburtsort oder auch die familiäre Herkunft ausschlaggebend für das was mir zusteht und was nicht?
Vielleicht geht’s hier auch um Zweifeln: ist das der richtige Weg? Gibt es überhaupt einen richtigen Weg? Wie richtig ist ein Weg, nur weil alle ihn gehen? In die eine genauso wie in die andere Richtung.
Das klingt schon ganz ordentlich nach Aufbegehren, nach Revolte, auf alle Fälle aber nach Aufrichtigkeit. Und vor allem formuliert es nicht einfach nur Gewissheiten und Parolen sondern stellt Fragen. Ein sehr schöner Umgang mit der Vieldeutigkeit der Welt.
Allerdings macht diese Haltung auch viele Nebenwege und Ungenauigkeiten möglich. Es gibt auch bei Am I Wrong genügend Interpretationsebenen und Rückzugstürchen, um das Ganze auch als Beziehungsdrama zu lesen. Oder auch als Trotz. Die Hymne auf das Recht auf's Anderssein hat irgendwie auch einen Unterton.
Und so ist auch die musikalische Umsetzung mindestens unscharf. Da klingt Zweifel (Verzweiflung?) in den ersten gesungenen Passagen genauso mit wie später Zuversicht und Fröhlichkeit. Ich kann den Stolz auf die Herkunft aus den Backgroundchören ebenso heraushören wie es auch einfach nur folkloristische Dekoration und Jahrmarktsgesang sein könnte. Vielleicht sind Revolutionen heute tatsächlich vor allem Party? Die CSDs und Love Parades der 00er würden das untermauern. Die aktuellen Ereignisse aus Kiew oder Venezuela eher nicht.
Und was macht die Bilderwelt mit uns? Die liefert uns Ansichten und Geschichten, die schon zur WM in Südafrika permanent die Bildschirme überfluteten. Da sehe ich arme, aber glückliche Menschen und schöne, aber karge Landschaften. Da sehe ich nicht viel, was Mitteleuropäer als modern bezeichnen würden. Da gibt es ja nicht mal Fernseh-Empfang.
Erliegen Nico & Vinz hier ihrer eigenen Märchenerzählung? Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie sich zwar enorm verbunden fühlen mit dem ehemaligen Heimatland ihrer Eltern und vielleicht sogar mit ganz Afrika. Gleichzeitig ist es auch möglich, dass sie diese Länder, diesen Kontinent gar nicht wirklich kennen. Zwei-, drei-, fünf- oder zehnmal Besuche dort machen ist letztlich immer noch nichts anderes als eine touristische Begegnung.
Ich werd’ mich natürlich hüten, den beiden etwas erzählen zu wollen, über falsche und richtige Eindrücke. Das was sie da wiedergeben ist ihre Realität, ihre Erfahrung – auch wenn sie vielleicht vor allem geprägt ist durch Erzählungen in der Familie, die sich im kalten Norwegen zurückwünscht in die alte Heimat.
Hier zeigt sich die Leerstelle dieser Produktion. Am I Wrong spielt uns vermeintlich authentisch Afrika vor und verschweigt dabei (zumindest visuell) den europäischen Background, den die beiden Protagonisten auch mitbringen. Die beiden inszenieren sich in eine Welt hinein, die scheinbar ohne jeden Austausch existiert. Vielleicht drücken die beiden damit auch ihre Wünsche und Sehnsüchte aus. Eine Welt, in der sie nicht permanent mit der westlichen Wirtschaft und dem Konsumterror einer Gesellschaft konfrontiert sind, die sie gar nicht richtig will.
Dieser Wunsch ist sehr nachvollziehbar. Ich vermute nur, dass es nirgendwo eine reale Entsprechung dazu gibt. – Träumen und Wünschen ist auch überhaupt nicht schlecht. Nur die Chance wird dabei vergeben, Europa und Afrika, diese beiden Welten, miteinander auf Augenhöhe in Kontakt zu bringen. Dass das geht, beweisen solche Acts wie Die Antwoord aus Südafrika. Das gefällt vielleicht nicht allen – aber es benennt die Diskrepanzen eindeutig. So etwas machen Nico & Vinz eher gar nicht.
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