Was ist denn das? - Popsongs, die durch Filme berühmt werden sind nicht so selten. Für den Abspann wird ganz gern ein eingängiges Stück gesucht, dass dann auf dem Nachhauseweg noch im Ohr rumhängt und dazu verführt, sich die entsprechende Scheibe auch in echt zu holen. Bei The Hanging Tree liegt der Fall ein bisschen anders.
Der Song ist so dicht dran am pathetischen Originalsoundtrack - eigentlich funktioniert so etwas nur im Kino. Offenbar ist 2014 heroisch genug, um nun auch solche Tracks zu wahren Hits zu machen. Klar, patriotische Europäer gehen massenweise auf die Straße um ihre Angst vor dem wenig Bekannten und Fremden auszudrücken, manchmal zünden sie auch Unterkünfte an, in denen Menschen leben, die wesentlich ärmer dran sind als sie selbst. Macht nichts - es herrscht Krieg auf der Welt. Nicht nur in arabischen Ländern, in Israel oder der Ukraine. Auch hier ist es offenbar nicht mehr aushaltbar, müssen sich die Menschen bis zur Unkenntlichkeit verbiegen und auf alles verzichten, was das Leben wertvoll macht.
In solch eine empfundene Ungerechtigkeit (nicht unbedingt reale Situation) prescht nun das Science-Fiction-Kriegs-Epos The Hunger Games/Die Tribute von Panem. Und bedient einmal mehr das Gefühl von: Zeit, dass wir uns zur Wehr setzen und für unsere Freiheit kämpfen.
In der Filmhandlung besitzt diese Entscheidung durchaus eine gewisse Logik und Zwangsläufigkeit. Katniss wird durch ein böses System (böse Menschen) in eine unhaltbare Existenz gezwungen, muss beständig um ihr Leben kämpfen ohne sich dafür entschieden zu haben. Diesen Zwang umzukehren, gegen seine Verursacher zu richten, ist ein folgerichtiger Trick.
Aber gerade der Einsatz, die Inszenierung von The Hanging Tree erzählt, welche Kehrseite der Entschluss zum kriegerischen Kampf auch hat. Aus dem Lied der Kindheitserinnerung wird ein Propaganda-Schlachtsong. Mittelalter pur, Weltkriegspropaganda in Bestform. Gleichzeitig und logischerweise wird hier ausgeblendet, dass eine Schlacht, ein Krieg immer auch Verlust an Menschlichkeit bedeutet. Und in den schlimmsten und häufigsten Fällen weiteren Hass und Gewalt nach sich zieht.
Die Komponisten des Songs, Jeremiah Fraites und Wesley Schultz von den Lumineers, lassen sich durch solche Gedanken natürlich nicht beeinflussen. In ihrer kindlich naiven Art bedienen sie fleißig die guten, alten Werte und Einstellungen. Märchen brauchen ein Gut und ein Böse. Märchen brauchen auch Helden, die um ihr Leben kämpfen und dafür eine Menge anderer Wesen töten. Helden können nur dann wahrhaft groß sein, wenn sie zuvor leiden, sich selbst überwinden und dadurch unverletzbar werden. Ein beliebtes Sujet im derzeitigen Mainstream-Pop. Nichts gelernt aus der Geschichte. Geschichte - was ist das überhaupt?
So schwebt also The Hanging Tree wunderbar im zeitlosen Raum. Die orchestrale Pathos-Sauce von James Newton Howard drübergegossen, wälzt schließlich alles platt, was da noch an Emotion, Zartheit und irgendwie individueller Verortung vorhanden sein könnte. Im Science-Fiction-trifft-Mittelalter-Drama herrscht am Ende nur noch der Kampf. Kein Vorher, kein Nachher - kein Zweifeln, kein tragisches persönliches Schicksal. Es gibt immer die Anderen, immer die tödliche Gefahr. Jegliche Alternative ist undenkbar. Der patriotische Krieg hat seine eigenen Gesetze. Ich hätte nicht gedacht, dass sich eine große Masse dessen nicht mehr bewusst ist.
auch eine schöne Deutung des Songs: http://www.sueddeutsche.de/kultur/die-cds-der-woche-popkolumne-nostalgischer-wind-1.2364962
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