Freitag, 26. Dezember 2014

Hozier: Take Me To Church

Interessant, wie sich so die Wahrnehmung und Bewertung eines Liedes ändert durch die Umgebungsvariablen. Ich meine damit nicht nur den überbreiten kommerziellen Erfolg, den Take Me To Church von Hozier erfahren hat, nachdem es in der Casting-Show The Voice of Germany durch die spätere Gewinnerin Charley Ann Schmutzler und Hozier himself performt wurde. Das ist ein bekannter Effekt: Medienpräsenz, emotional aufgeladen und inszeniert produziert Hits.

Interessant ist, wie dieser Effekt auch im Kleinen wirkt: Da wo nicht der Einschaltquoten-Vorschlaghammer eingesetzt wird. Bei Take Me To Church war das ungefähr so: Irgendwann im Sommer erschien das Lied. Und es hinterließ recht schnell einen Eindruck. Das war nicht einfach nur "noch so ein Singer-Songwriter/Folksong", der die Popularitätswelle von James Blunt, Passenger und Co nutzte um Aufmerksamkeit zu generieren. Das war ein Titel, der auch eine gewisse Sperrigkeit hatte, der nicht ganz so einfachgestrickt selbstbemitleidend daherkam und die Welt altrosa färbt.

Es war vielleicht auch diese Mischung aus melancholieschwangerer, sehr reduziert instrumentierter Strophe und fast schon euphorisch soulgetränktem Refrain, der aber dann doch nicht im Freudentaumel mündet, sondern irgendwie einen dunklen Beigeschmack behält. So als wären all die Versprechen schon längst wieder aufgehoben und gebrochen – zumindest nicht mehr gültig. Ein Liebeslied, das nur bedingt so klingt wie die uneingeschränkte Liebe.
Mindestens unterbrochen durch dazwischengestreute "Amen"-Gesänge im jahrtausendealten Kirchenstil. Eine Ewigkeit, die auch erdrücken kann.

Ich hab mich damit erstmal auch ordentlich schwer getan. Warum dieser Bezug auf die Religion und Kirchenrituale? Warum dieses Bild, das ja irgendwie auch Hochzeit für die Ewigkeit und Unveränderbarkeit assoziieren lässt. – Für Hozier, der aus dem streng katholischen Irland stammt, lässt sich der Bezug wahrscheinlich noch recht gut rekonstruieren. Auf der grünen Insel funktionieren einige Dinge noch anders. Auch traditionelle Musik oder eben Folk sind in Irland nicht das, was wir aus Nordamerika so kennen. Da sind einige Traditionen durchaus mit Leben gefüllt und nicht bloß starre Form – auch wenn sie schon Tausend Jahre lang gelten. Ein Musiker wie Andrew Hozier-Byrne ist deshalb im Bezug auf solche Formen mindestens so zeitgemäß wie ein Produzent in der Art von Diplo.

Dass diese Auseinandersetzung mit der regionalen Umgebung dann doch in so ziemlich der kompletten westlichen Welt verstanden und geschätzt wurde, das blieb mir dennoch etwas schleierhaft. Die englischsprachigen Gebiete hatten da sicher noch klar den Vorteil, die Anspielungen und verbalen Umdrehungen direkt zu verstehen, die Abgründe der bedingungslosen Anbetung direkt serviert zu bekommen und den Bruch mit Traditionalismus auch verbal zu verstehen. Da lassen sich dann doch schnell Anküpfungspunkte finden zum eigenen Leben - so aufgeklärt und abseits von jahrhundertealtem Zeug sind all unsere Gesellschaften ja bei weitem nicht.

Aber was assozieren Menschen in Schweden oder Belgien mit dem Titel? Oder in der Schweiz und Österreich?

Sicher hat die vielschichtige Vertonung ihren Teil dazu beigetragen. Die Geschichte wird nicht einfach in einem schönen Mitsinglied dargeboten, sondern konfrontiert uns mit Brüchen und Fragezeichen. Ohne zu spröde zu werden - es bleibt eine bekannte Situation und Atmosphäre. Wohl aber mit einigen Untiefen.
Aber, die kompositorische und lyrische Qualität ist hier nur eine Hälfte des Erfolges. Mindestens gleich viel dürfte das Video zum Song beigetragen haben. Und damit wäre ich wieder bei meiner Anfangsgeschichte: Die mediale Inszenierung macht aus einem Song, den ich vielleicht ganz hübsch finde plötzlich etwas, das noch viel viel mehr transportiert und beinhaltet.



Brendan Canty benutzt im Video sehr deutliche Bilder und eine eindeutige Story, um damit die Geschichte zu erzählen von der Liebe, die so überzeugend und selbsterklärend ist, dass sie erst einmal nicht darüber nachdenkt, was Konventionen bedeuten. Und die genau deshalb plötzlich außerhalb von Normen steht.

Auch das Video hinterlässt Fragen: Was treibt die Meute eigentlich zu so viel Hass? Wodurch fühlen Sie sich bedroht? Ist die russische Gesellschaft tatsächlich auf dem Weg solche Bilder zur Normalität werden zu lassen? Und sind solche Geschichten in Mittel-/Westeuropa wirklich undenkbar?

Nun hat sich Andrew Hozier selbst ausreichend dazu geäußert, dass sein Song keineswegs (nur) als Hymne der Homosexuellen-Bewegung gemeint ist. Es geht ihm um Setzungen und Normen jedweder Art und wie diese durch das Gefühl der Zuneigung außer Kraft gesetzt werden können. Diese Wendung, diese Tiefe beeindruckt mich am meisten. Ein einfaches Liebeslied, das eine politische Botschaft in sich trägt – das ist im aktuellen Pop doch eher selten. - Schön, dass es in den letzten Monaten doch einzelne Protagonisten versuchen, sich gesellschaftskritisch zu positionieren. Auch und gerade in einem Umfeld, dass ja eher von Oberflächlichkeit geprägt ist. Manches mal sind diese Versuche eher zaghaft. Manchmal gehen sie auch ordentlich daneben. Dennoch: Vielleicht befinden wir uns gerade wieder in einer Zeit, in der gesellschaftliche Auseinandersetzung wichtig und essentiell wird. Das würde allerdings auch bedeuten, dass schon einiges in unserem Zusammenleben ordentlich schief läuft.

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