Sonntag, 14. Februar 2016

AW: Faded



Und noch ein Norweger, der die Welt erobert. Da läuft offenbar einiges ganz gut in der Clublandschaft und elektronischen Musikszene das skandinavischen Landes. Und so beginnt es sich mehr und mehr auch im Bereich kommerzieller Dancemusic neben Nachbarland Schweden international zu etablieren. Das Schöne dabei ist, dass die markanten oder erfolgreicheren Vertreter tatsächlich mit eigenen Klangfarben aufwarten.

Das war ja schon im Clubkontext ab den frühen 2000ern mit Röyksopp so. Und nun setzt sich das offenbar auch bei Mainstream-Produktion durch. Ob KYGO mit seiner Neuinterpretation von Tropic House im vergangenen Jahr oder jetzt bei Alan Walker.

Letzterer hatte bereits mit 17 Jahren einen Plattenvertrag und seinen ersten viralen Clubhit. Und das ein wenig anders als die gängigen youtube- und soundcloud-Stars. Denn erstmal entschied sich Alan Walker ganz konsequent beim Label NoCopyrightSounds zu unterschreiben, also die kostenlose Verwendung seiner Produktionen explizit zu gestatten. In der Folge verbreitete sich sein Track Fade rasant. Wo keine Limitierung und Begrenzung herrscht, da kommt es eben auch zu einem schnelleren Austausch und damit zu größerer Bekanntheit. Rihanna kann davon wahrscheinlich gerade ganz gut ein Lied singen – nur eben im umgekehrten Sinne: Viel Kontrolle, viel Copyright, weniger Zugriffe.

Natürlich war es nicht der freie Zugang allein, der Fade zum Hit machte. Vielmehr war und ist der Track auffällig besonders durch sein gedrosseltes Tempo. Dem bekannten Quietsch-Sound, der durchaus auch von AVICII hätte stammen können und für gewöhnlich mit einem ordentlichen Stampfbeat einhergeht, wird hier die Handbremse aufgedrückt – und tatsächlich horcht man auf. Sollte es nicht gleich richtig losgehen? Das Gaspedal runtergedrückt und ab die Post? – Passiert aber nicht. Fade bleibt im Tempo verhalten und genau dadurch ein Sonderling auf dem Dancefloor.



Mit einigen seiner Nachfolger auf NCS wie etwa Spectre wird Alan Walker dann auch etwas temporeicher und damit durchschnittlicher. Reicht immer noch für ordentliche Zugriffszahlen, Fade bleibt aber der beliebteste Track. Und ich würde sagen, das hat auch damit zu tun, dass er hier einfach mal ausprobiert, was möglich ist. Alle folgenden Tracks (wie zum Beispiel Force) nutzen nur das einmal gefundene Konzept nach – da fehlt es dann doch an Frische und Originalität und spätestens bei der dritten Produktion mit einer kreischenden Hookline hab' ich erstmal auch genug von dem Sound.

Die anhaltende Nachfrage nach Fade führt Ende letzten Jahres dazu, dass sich Alan Walker entscheidet das Ganze noch einmal etwas kommerzieller aufzupeppen. Er besorgt sich eine romantisch-klagende Frauenstimme, lässt die Melodie nochmal auf dem Piano einspielen und veröffentlicht das Ganze als Faded nochmal. Resultat: Nummer 1 in nahezu ganz Skandinavien und den deutschsprachigen Ländern sowie derzeit erste Erfolgsanzeichen in Südeuropa und auf den britischen Inseln. Da könnte noch einiges mehr kommen.

Der Titel, der nun natürlich wesentlich weichgespülter und radiotauglicher daher kommt, wird zusätzlich versehen mit einem melodramatischen Video – ein junger Mensch auf der Suche nach seinen Wurzeln, durch verlassene Architektur stolpernd, nichts ist mehr mit Leben gefüllt, alles scheint dahin ... oh weh. Jugendlicher Weltschmerz 2016.



Dieses Grundgefühl von Verlorensein, Verlassenheit und Verlust der funktionierenden Welt ist derzeit ordentlich präsent in der Jugendkultur. Ein Großteil der Deep House-Produktionen spielt genau damit, bedient das romantische Selbstmidleid oder entwirft eine albern-naive Gegenwelt dazu. Alan Walker dreht das Ganze nun eher in die offensichtliche Trauer, wenn nicht gar Depression. Da hilft auch kein wilder, hedonistischer Tanz des Vergessens mehr. Die Verluste und Brüche sind so präsent und spürbar, die lassen sich nicht mehr ignorieren und erst recht nicht mehr so einfach kitten.

Und so singt Iselin Solheim immer und immer wieder ihr Where Are Yoiu Now? in die leere Welt hinaus. Es kommt keine Antwort und sie geht dahin in grenzenloser Trauer. Zelebriertes, langsames Vergehen – das ist Faded. Durchaus ein Gefühl, in dem man baden kann.

Ich bin gespannt, welche Antwort es darauf geben wird. Denn irgendwann sind alle Tränen geweint und das Leben geht seltsamerweise doch weiter.

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