Freitag, 6. Dezember 2019

Capital Bra: Der Bratan bleibt der Gleiche



Als J.Lo 2002 schwörte "I'm still Jenny from the block", da war sie schon meilenweit entfernt von ihrem Street Life. Ihr Herz, sicher, das schlug noch für die Ghetto Kids und die alten Hoods - trotzdem lebte sie ein Leben in Prunk und Braus und ohne die ganzen Sorgen und Probleme, die man so als Looser einer Gesellschaft halt hat. Gekauft haben ihre Hits Leute, die es sich leisten konnten, die sich mit ihren Geschichten ein bisschen Social Flavour ins Leben holen wollten: "Du, ich höre auch R'n'b. Ich weiß, wie hart das Leben ist..." - Blablabla...

Der Bratan scheint 2019 also an einem ähnlichen Punkt angekommen zu sein - so habe ich den Titel zuerst gelesen. Und dann stellt sich heraus, dass es doch um andere Dinge geht. Mit Der Bratan bleibt der Gleiche wird Bra nämlich ordentlich persönlich. Er erzählt seine Geschichte - also die der letzten Wochen. Der RapSong als Nachrichtenmedium.

Da wird viel gedisst und geschimpft. Auf arabische Clans. Auf Erpressungsversuche. - Zurecht. "Der Bratan bleibt der Gleiche" zielt vor allem darauf ab, dass sich Vladislav Balovatsky nicht erpressen lässt. Das, was bei der Geschichte dann doch irgendwie auch seltsam ist, der Rapper, der ja sonst sehr stark darauf pocht, dass er sich aus allem Mist selbst rausholt, soll sich wohl selbst an die Polizei gewandt haben. Legt zumindest raptastisch.net nahe.

Weiß man natürlich nicht was dran ist. Die mediale Maschine ist da nicht immer so genau mit den Tatsachen. Zumindest stünde so ein Verhalten im krassen Gegensatz zu dem, was Bra noch Anfang des Jahres von sich gegeben hat. Erinnert sich noch jemand an seine Trennung von Bushido?

Bratan bleibt der Gleiche ist auch die bockige Verlautbarung, dass Bra trotz aller Verleumdungen und Neidern weiter ein Garant für die Nr.1 der Charts ist. Der Track beweist es. - Da ist der Bra dann doch um ein paar Schritte weiter als J.Lo. Er behauptet gar nicht erst, dass er noch zu den Plattenbauloosern gehört. Sein Leben spielt sich in anderen Sphären ab. Demut ist so 2000er - heute wird geprotzt ohne Scheu.



Musikalisch bietet der Bra mit diesem Song nichts Neues. Klassischer Style, klassisches Storytelling ... kann man machen, seine Ausflüge in den Pop oder andere Gebiete finde ich allemal spannender. Oder wenigstens lustiger, weil so schön doof-albern.

Richtig schlimm ist an dem Track vor allem die Schlussfolgerung fast zum Ende seiner Geschichte:
Ich bin kein Lehrer, ich bin kein Politiker. Ich hab nix studiert oder so'n Scheiß, aber ich weiß was vom Leben.
Da geh'ich mit. Nur weil jemand studiert oder in dem System eine große Nummer ist, heißt das noch lange nicht, dass diese*r was vom Leben weiß. Auswendig gelernte Knochennamen oder Paragraphen erzeugen 0 Erfahrung.

Und ich weiß, Gott ist auf unsrer Seite, bei den Menschen die ein reines Herz haben.
Wie jetzt? Bei meinem ganzen Leben geht's um Gott? - Ich hoffe schwer, dass dieses vermaledeite Gott-Ding nur so ein Bild ist für Glück haben/sich wohl fühlen/keinen Neid in sich tragen ...
Allerdings macht mir das mit dem reinen Herz echte Sorgen. Das klingt nach Beichte und Aberglaube und Sündenablass ... Ausgerechnet Capital Bra, der ja nun auch nicht gerade der Freund der totalen Einhaltung der 10 Gebote ist, erzählt uns was von reinem Herzen für Gott. Was soll das eigentlich sein? Reines Herz - einfach nur sich selber treu bleiben oder was?

Habt ein reines Herz und ihr kommt weiter!
Genau, das muss dann als Schlussfolgerung kommen. Lebt so wie der Bra und ihr kommt weiter. Wobei ich "reines Herz" und "weiterkommen" einfach mal als "halbwegs aufrecht durchs Leben gehen" deute. Zu seinen Werten stehen. Sich nicht korrumpieren lassen. - Diese Haltung auch bei Bra zu entdecken krieg ich vielleicht noch hin. Das er ein komplett "reines Herz" hat, das trau ich ihm echt zu. Ob das am Ende dann reicht für ein gutes Miteinander, das ist hier mal die Frage. Ich fürchte, dass die völlige Konzentration auf das Ich allein noch nichts reißt. Könnte ja auch sein, dass man selbst einfach nicht alle Informationen hat und genau deshalb Mist baut. Beispiele dafür gibts in der Geschichte genug. Sogar im noch kurzen Leben des Bratan.

Oberlehrer Bra, der uns was vom Leben beibringen will - das ist irgendwie nicht die coolste Rolle für einen noch ziemlich jungen Erfolgsrapper. Da hab ich Angst, dass gleich Xavier Naidoo aus der Kiste gesprungen kommt, der mir auch immerzu erzählen will, was ich zu denken habe. Danke, kein Bedarf!

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