Freitag, 27. Januar 2012

Christina Perri: Jar Of Hearts

Dass eine Künstlerin – vornehmlich sind’s irgendwie Frauen – durch ihren Erfolg im Internet zu einem Vertrag und zu mehr oder weniger einer Karriere gelangen, das ist im Jahr 2012 schon fast eine Normalität. Vortrefflich ließe sich an dieser Stelle darüber nachdenken, welche Aufgaben eigentlich Musiklabel noch haben. Talente und Musik, die ohnehin existieren abfischen und vermarkten – sprich einem größeren Publikum nahe bringen. Wobei selbst das mehr und mehr auch ohne Vertrag passiert.

Siehe Christina Perri. Auf ihrem youtube-Channel hatte sie bereits eine Menge Fans, bevor ihr Titel Jar Of Hearts den Weg in eine Fernsehshow schaffte und dann zu einem Vertrag führte.

Die Geschichte von Jar Of Hearts ist schnell erzählt. Christina Perri singt über eine gescheiterte, unerfüllte Beziehung, die auch nach dem Ende noch schmerzt, zumal die andere Person eine Wiederaufnahme derselben wünscht. Nun sinniert also Christina Perri, ob es sinnvoll ist seinem Herzen und seinen Gefühlen nachzugeben – eigentlich war es doch schön. Aber nein, der Kopf erinnert sich, das hat damals schon nicht funktioniert. Und sie weiß auch noch sehr genau, warum es damals so weh tat. Weil eine Seite – und es war nicht sie – dominant war. Auch das nennt man Gefühlskälte.

Die Legende besagt, dass Christina Perri hier ganz autobiographisch eigene Erlebnisse verarbeitet hat. Und allein die Stärke, sich erinnern zu können und tatsächlich den Kopf entscheiden zu lassen, zeugt von einer ordentlichen Portion Erwachsenheit – hier im besten Sinne gemeint. Angenehm hebt sich dieser Titel ab von dem romantischen Schlager-Allerlei, in dem unreflektiert eine Märchenversion von Liebe und Beziehung gefeiert wird und wo sie ewig den DJ liebt und auch nach 20 Jahren noch jeden Abend anhimmelnd am Pult steht. Diese Figur hat ja ihr Leben wohl eher völlig verpasst. Danke, Christina Perri, dass du an dieser Stelle mal eine selbstbewusste Gegengeschichte erzählst, auch wenn (oder gerade weil) es immer noch weh tut und schwer fällt.

Dass die schwere Entscheidung nicht einfach so weggewischt wird, macht den Titel so intensiv. Hier braucht es kein breites Orchester, keinen Kitsch. So wie Christina Perri in ihrer Geschichte ganz genau hinschaut, so hat sie eben auch bei der Komposition sich darauf konzentriert was ihr und dem Song gut tut. Und plötzlich ist auch ihr Auftritt im zerrupften Brautkleid mit Springerstiefeln zwar immer noch ein wenig pathetisch, aber auch völlig logisch.



Bleibt Christina Perri nur zu wünschen, dass sie wie im Video so auch in der Realität weiterhin Stärke beweisen kann und am Ende als Siegerin dasteht, statt sich von PR Managern und großen Musikfirmen vorschreiben zu lassen, wie ihre Musik zu funktionieren habe. Dass sie nach ihrem großen Deal dann ziemlich schnell für den Soundtrack zu Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht engagiert wurde, zeigt, wo es nach Willen der großen Firma mit ihr hingehen soll. Insofern ist es ein Glücksumstand, dass A Thousand Years nicht zum großen Hit wurde. Das ist dann nämlich schon ganz schön weichgespült und weg vom Leben – und (ja, ich sag’s) von authentischem Gefühl, auf alle Fälle weg von Christina Perri selbst.






Freitag, 20. Januar 2012

Philipp Poisel: Eiserner Steg

Wie werden eigentlich heutzutage Stars gemacht? Da würde einem doch zuerst so etwas einfallen wie: cleveres virales Marketing, spektakuläres Video, Tabubruch … Alles falsch. Stars – oder eher: Hits – werden immer noch per TV gemacht. Das ist nun nicht die allerneueste Einsicht. Und zum Glück gibt es ja daneben auch noch all die anderen Gründe, manchmal ist es auch einfach nur ein guter, eingängiger oder cleverer Song selbst, der Interpreten bekannt macht. Aber wie gesagt: das Fernsehen ist nach wie vor die große Hitmaschine. Auch für Titel, die eigentlich aufgrund ihrer Qualität allein schon viel Interesse finden sollten.

Deutlich zu verfolgen ist die Macht des Fernsehens an den gerade im halben Dutzend auf uns niederprasselnden Casting-Formaten. Nicht, dass am Ende jeweils wirklich Stars herauskommen würden. Geschweige denn gute Songs. Aber durch Interpretationen von mehr oder weniger bekannten Titeln in Casting Shows werden diese mal schnell zum Verkaufshit – und manchmal gelingt so auch den ursprünglichen Interpreten der Durchbruch. Eines der deutlichen Beispiele der jüngeren Vergangenheit ist Leona Lewis, deren Titel Run immer und immer wieder präsent war, gesungen wurde – bis ihre Aufnahme sich in Massen verkaufte, obere Positionen in den Charts erreichte und dann mehr als ein Jahr ununterbrochen in den Auswertungen der meistverkauften Songs gelistet war. Leona Lewis selbst ist dadurch zu so etwas wie einem Superstar geworden – auch wenn die Bilanz ihrer großen Hits noch gar nicht so lang und überbordend ist.

Jüngstes „Opfer“ der TV-Propaganda ist Philipp Poisel. Der Singer Songwriter gab sein Debüt um 2006 herum auf seinem eigenen Label. Irgendwie lernte er Herbert Grönemeyer kennen, der ihn gut fand und dann auf seinem Label Grönland records promotete. Und damit war dann auch Philipp Poisel mehr oder weniger präsent. Entsprechend der Musik die er macht, nicht der große Hitlieferant, sondern eher was für die Nische. Sein zweites Album verkaufte sich dann aber schon ganz passabel und der Name war damit gesetzt – auch wenn die ganz breite und junge Masse der Musikkonsumenten mit ihme wohl weiterhin noch nicht viel verband. Erwachsenenmusik war wohl das Label – nicht unbedingt das schlechteste.

Für das richtig große Startum und das große Geld braucht es allerdings Hits. Und damit dann auch eine Fanschar, deren Altersdurchschnitt so um die 20 Jahre pendelt. Für ernsthafte Sänger und Sängerinnen ein schwieriges Unterfangen – erst recht in einem Land wie Deutschland. Für Philipp Poisel bot sich die Chance mit dem Film What a Man von Deutschlands Schauspiel-Liebling Matthias Schweighöfer. Der Titel Eiserner Steg gelangte auf den Soundtrack und erlangte daraufhin tatsächlich so etwas wie Hit-Status. In Chartplatzierungen ausgedrückt reichte es für Rang 21 und eine 13 Wochen dauernde Präsenz. Nicht schlecht.

Die wirklich große Aufmerksamkeit erhielt der Titel allerdings erst jetzt durch die Castingshow The Voice of Germany. In der Live-Phase sang Benny Fiedler Eiserner Steg und mit einem Mal wird der Titel heruntergeladen was das Zeug hält. Zunächst mal war es natürlich überaus mutig, auf einen Titel zu setzen, der eben nicht der Überflieger-Hit ist – offensichtlich eine weise Entscheidung. Denn auch Benny’s Interpretation konnte sich ganz gut verkaufen (ein Novum: die Aufnahmen der Teilnehmer sind als mp3 erwerbbar ... für die Single-Charts eine Frischzellenkur und Beschleunigung ohnegleichen). Und mit dem Auftritt ist auch Philipp Poisel plötzlich kein Unbekannter mehr in der jungen Zielgruppe.



All das Drumrum lenkt eventuell ein bisschen ab vom eigentlichen Song. Ich hab hier schon eher das Gefühl, dass es sich bei Eiserner Steg um einen intelligenteren Titel handelt. Klar ist das Ganze ordentlich romantisch verklärt, schließlich geht es auch hier wieder mal um das beliebte Sujet der Trennung und des Verlusts. Da dürfte also das verklärte Herz ordentlich mitleiden und so mancher Seufzer ausgestoßen werden. Und da beginnt das Problem – die Einzelerfahrung, die tatsächlich gefühlvoll, tiefgehend und durchaus auch schmerzhaft ist, wird durch den Hitstatus kollektiviert. Die Echtheit des Gefühls, der Erinnerung wird mehr und mehr ersetzt durch die Gewissheit: es geht ja vielen, vielleicht sogar allen so. Gemeinsam lässt sich gut trauern und leiden. Das endet dann im gemeinsam mitgegrölten Textzeilen wie „Ich will dir einmal noch nah sein, bevor ich dich für immer verlier“. Oder aber im locker mitschwingbaren Dance-Remix.





Spätestens hier ist dann wirklich nichts mehr übrig vom eigentlichen Gefühl. Ob das der Herr Poisel so gut findet? Es bleibt schwierig mit den großen Massenhits.






Freitag, 13. Januar 2012

Michel Teló: Nooossaa! Ai Se Eu Te Pego!

Ein seltsamer, südamerikanischer Hit stürmt gerade Kontinentaleuropa. Und er ist vor allem deshalb populär, weil er eine direkte Verbindung zum Fußball hat. Die Rede ist von Nooosssaa! Ai Se Eu Te Pego!, das zunächst als relativ gewöhnlicher Latino-Track seine Runde machte. Eine erste Version stammt wohl aus dem Jahr 2008 – die Mischung aus Raggaton und Akkordeon machte die Melodie populär. Der sehr reduzierte Text, der sich auf wenige Zeilen beschränkt tat sein übriges.

Im Frühsommer 2011 veröffentlichte dann der brasilianische Sänger Michel Teló seine Version und landete mehr oder weniger einen Hit. Zumindest reichte es dazu, den brasilianischen Fußballspieler Neymar zu einem Tanz zu inspirieren, den er in der Umkleidekabine aufführte und der als Video seinen Weg auf youtube fand. Das dieser „Tanz“ dann Millionen von Zuschauerinnen fand, ist vermutlich eher der Popularität Neymars und der halböffentlichen Umkleidekabinensituation zuzuschreiben als den unglaublichen Tanztalenten des Fußballers. Sehr viel mehr als relativ eindeutige Hüftbewegungen beinhaltet die Choreographie nämlich nicht – genaugenommen eine sehr getreue Umsetzung des textlichen Inhaltes.

Neymar also – offensichtlich ein Frauenschwarm – bringt den Titel in einen komplett anderen Kontext und animiert andere Fußballstars, es ihm gleich zu tun. Zunächst fängt Spanien Feuer nachdem Marcelo Vieira und Cristiano Ronaldo ein Tor mit eben jenem Tanz feiern. Es dauert nicht lange und der Titel steht auf Platz 1 der spanischen Hitliste. Es folgt Italien, die Niederlande, Frankreich, die Schweiz und Deutschland. Überall gibt es den Link zum Fußballplatz.



Nun scheint auch in Deutschland die Hysterie ausgebrochen zu sein. Wäre wohl nicht verwunderlich wenn schon bald die Meldung käme, dass Ai Se Eu Te Pego die Spitze als meistverkaufter Song knackt. Was den eigentlichen Titel tatsächlich dazu befähigt , so erfolgreich zu sein,ist vermutlich die komplette Durchschnittlichkeit. Da ist der nette Junge, der ihn singt und den sich vermutlich jede Mama als Schwiegersohn wünschen würde. Die Mädels im Video jedenfalls können sich das offensichtlich sehr gut vorstellen ... naja, vielleicht reicht ihnen ja auch eine kurze Affäre. Immerhin bedient Michel Teló mit dem Titel sehr das Klischee vom übersexualisierten Südamerikaner, der auch gern mal ein Macho ist. Und ich behaupte an dieser Stelle, dass die Frauen, die diesen Song kaufen, damit erstmal kein Problem haben, bzw. sich genauso einen Kerl wünschen – zumindest für einen Augenblick.



Die Rollenbilder sind also klar und fest zementiert … aber das war von einem Fußballhit ja auch nicht anders zu erwarten.





Freitag, 6. Januar 2012

LMFAO: Sexy And I Know It

Vielleicht sind es LMFAO genau deshalb wert als erste im Neuen Jahr hier auseinandergenommen zu werden, weil sie so etwas sind wie der Mainstream-Act mit dem meisten Witz und der konsequentesten Art des Party-Rocking. Nicht umsonst trug ihr erster globaler Hit auch genau diesen Titel Party Rock Anthem. Mit Sexy And I Know It gehen sie definitiv noch einen Schritt weiter. Denn natürlich sind LMFAO in ihrem Auftritt alles andere als sexy – eher machen sie sich in ihrer Durchgeknalltheit zu Witzfiguren. Weil sie das wissen und es trotzdem durchziehen mit einer Überheblichkeit und Arroganz, die selbst die coolsten Rapper übertrifft, sind sie dann plötzlich eben doch heiß umworbene Stars.

Was das genau bedeutet, lässt sich schön ansehen an ihrem Video zu Sexy And I Know It. Redfoo in Silberprint-Speedo ist das zentrale Motiv des Clips. Logisch stammt das Teil aus der Party Rock Life Kollektion – und wer das tragen will, der braucht schon eine gehörige Portion Mut. Zumal wenn er nicht den ganzen Tag im Fitness-Studio steht, eine TV-fähige Werbefigur hat und vielleicht auf Ganzkörperrasur verzichtet. Redfoo traut sich das – und dekonstruiert damit nicht nur sich selbst sondern die gesamte Schönheits- und Fernsehindustrie gleich mit. Denn neben ihm schneiden die gut proportionierten, übersexualisierten und harten Jungs erstmal ganz schlecht ab. Bis sie den Quatsch mitmachen und sich ihrer Hüllen entledigen – sozusagen das komplette Macho-Gehabe reduziert auf den Kern, wer kann am besten sein Becken im Mode-Fummel schwingen. Schließlich endet der 3 Minuten-Schwanzvergleich darin, dass die toughen Macker von der Streetgang genauso wie die Bodybuilder und die ziemlich viel zu viel Beleibten in ihren Unterhosen den Laufsteg entlangwedeln. Jeder gute deutsche Rapper à la Bushido findet das mit Sicherheit voll schwul – und hier ist es vielleicht das allererste Mal, dass dieses Prädikat tatsächlich umgedreht wird und als Teil von Supermännlichkeit gilt: Ja, wir sind kinky und trash, wir sind die neuen Girlies – und wir finden’s einfach nur geil. Trau dich das erstmal!



Musikalisch geht es im Grunde genauso zu. LMFAO stehen für einen Sound, der eigentlich schon seit 10 Jahren verbraucht und peinlich ist. Die Landkreisbevölkerung pilgert zu Elektro-Parties und feiert ihre Spießigkeit – Feiern ist gleichzusetzen mit Abschießen und Kapitulation vor dem eigenen Leben. Kreativität wurde schon längst ersetzt durch Spießigkeit und Konsum. Und aus diesem muffigen und peinlichen Sound holen LMFAO nochmal alles das an Potenzial raus, was zu finden ist. Plötzlich ist relativ harter Clubsound in nahezu unveränderter Form mainstreamtauglich und liefert Riesenhits. In seinen allerbesten Zeiten hat das ein David Guetta vielleicht auch mal geschafft, allerdings ist der ja schon längst im Weichspülerfolgsmodus ertrunken. Wahrscheinlich können auch die beiden Jungs von LMFAO nicht endlos so weiter machen. Sehr sehr wahrscheinlich sollten sie sich einfach schon sehr bald auflösen, umbenennen oder in total zugeknöpften Anzügen erscheinen (neue Frisur inklusive). Einfach irgendwas unternehmen, um nicht so zu enden wie die beiden Blödelbarden von Right Said Fred, die wahrscheinlich ohnehin nie soviel Ironie und Spaß mit sich rumgetragen haben.

Bis LMFAO aber den kompletten Bruch hinlegen, so lange macht’s durchaus Spaß und – ja – es macht sexy. Denn am Ende lässt sich mit einer Style-Ikone nicht viel anfangen – der echte Sex beginnt eher da, wo der komplette Körper dazugehört und die verschiedenen Hüllen abgelegt sind.



PS: Und auch wenn der Vergleich nicht völlig aufgeht und mich etliche jetzt dafür lynchen wollen, aber die Erkenntnis, dass Selbstbewusstsein sexy macht ist alles andere als neu und funktioniert in allen möglichen Richtungen und Nischen. Letztes Beispiel aus dem Mainstream war Adam Levine, der nun auch nicht gerade dem entspricht, was wir täglich in der Werbung oder Mukkibude ansehen müssen.