Was ist da eigentlich passiert? Eine Schlagertussi gewinnt das Deutschland sucht den Superstar-Casting. Wie kann das sein? Wo ist sie hin, die unangepasste und rebellierende Jugend?
Vor den deutschen Fernsehgeräten sitzt sie offenbar nicht. Und das ist genau genommen eine richtig gute Nachricht. Denn das was da tagtäglich in die Wohnzimmer dieses Landes flimmert ist an oberflächlicher Dummheit und Belanglosigkeit kaum zu überbieten. In diesem Brei von unkreativer Ewig-Wiederholung ist Deutschland sucht den Superstar wirklich schon so etwas wie ein Höhepunkt. Und dass dieses Format nun auch vom Musikantenstadl- und Volksmusik-Umfeld beeinflusst wird, nun ja, das ist wahrscheinlich nur konsequent. Die Einschaltquoten befinden sich im Sinkflug, also muss auch mal mit etwas härteren Bandagen gekämpft werden. Mit der Entscheidung, Schlager als Genre stärker zu präsentieren, es wirklich ernst zu nehmen, dürfte die Show eine komplett neue Generation vor die Schirme (oder zumindest zum CD-Kauf) bewegt haben. – Also alles keine Überraschung. Alles kein bisschen skandalös.
Seltsam vielleicht ist lediglich, dass all die Kids zwischen 10 und 15, die ja bislang die Hauptzielgruppe waren, sich von dem Schubidu-Quatsch so sehr einnebeln lassen und tatsächlich für einen Song wie Mein Herz abstimmen. Da hat die jahrelange Dauerbeschallung durch die ARD nun also doch noch etwas bewegt: eingängiges und hirnloses Gedudel gehört so sehr zum Allgemeinsound, dass es völlig unproblematisch ist, sich mit so etwas zu identifizieren. Oder es zumindest so gut zu finden, dass man beim Telefonvoting mitmacht. Eine Petition für mehr Umweltbewusstsein zu unterschreiben würde genauso viel Aktivität erfordern – findet aber nicht statt. Ungestörte Unterhaltung ist offenbar ein höherer Wert als die Sorge um bessere Zukunftschancen.
Und Dieter Bohlen, der hat nun endlich mal mit Mein Herz zeigen können, was er eigentlich tatsächlich will: Volksmusik machen. Im Sinne von: Gehirn aus, Mitschunkeln und Mitsingen, kleinbürgerliche Provinzsentimentalität bedienen und damit Tausende bedudeln. Und damit schafft er den größten Schlagerhit seit Ein Stern (der deinen Namen trägt). Solch einen Verdienst muss man auch erstmal anstreben.
Allerdings waren seine vorangegangenen Kompositionen wie Don’t Think About Me auch nicht unbedingt der Gegenentwurf zum eingängigen Schlager. Durch englische Texte hatte es dennoch einen Hauch von Pop-Flair. Aber was bedeutet das schon? Pop als Ableitung von populär will natürlich auch nur Massen erreichen. In seinem Ursprung ist es allerdings schon eine Reaktion auf die glatte Massenkultur der biederen Erwachsenenwelt. Es ist bunt, grell, wild, mitunter auch unüberlegt und will vor allem eines: ungebändigte Lebenslust.
Bei Beatrice Egli scheint es im ersten Moment auch um Lebenslust zu gehen. Immerhin geht sie tanzen. Aber aber – die Veranstaltung ist voller Tücken. Da sind Männer, die ihr den Kopf verdrehen wollen, die sie nur für den Moment begehren. Wo doch Beatrice – ganz das anständige Mädchen – einen soliden Mann für’s Leben sucht. Jemand, der ihr ein Haus baut und dieses dann auch immer wieder repariert und beschützt. Naja liebe Beatrice, eigentlich solltest du mit 25 schon wissen, dass man solche Männer eher nicht auf Tanzveranstaltungen trifft. Jedenfalls nicht auf solchen, auf denen du hemmungslos dich gehen lassen kannst. Aber das willst du ja auch nicht: du gehst ja eher zum Dorfdisco-Heiratsmarkt-Tanz. Da werden die Bünde für's Leben geschmiedet. Nur zu schade, dass auch die heile Dorfwelt ordentlich bröckelt. Und mit der Auswahl in solch kleinen Nestern ist es ja auch nicht so weit her. Vielleicht solltest du. wenn es der perfekte Mann für’s Häuserbauen sein soll, ein Casting veranstalten? ... Aber ach, das bedeutet ja heute auch nichts mehr. “Superstar” zu sein heißt in Deutschland, dass nach vier Wochen Ruhm nichts mehr kommt. Wirst du sicher gleich an deiner eigenen Karriere beobachten können. Hmmm – da verstehe ich jetzt natürlich schon deinen ganzen Schmerz, den du in dieses fröhliche Liedchen verpackst …
So ist sie also hin- und hergerissen, die arme deutsche Seele. Eigentlich will sie ja nur Beständigkeit und Zuverlässigkeit – aber dann kommt immer wieder dieser Lebensdrang, die Lust nach Unterhaltung und Ablenkung auf. Böse böse. Der kleine Teufel sitzt auf der Schulter und lockt. Und das kleine Engelchen auf der anderen Seite schreit sich die Kehle aus dem Hals mit seinen Warnungen. Wer wird wohl gewinnen?
Der olle Goethe hat’s mal ganz schön auf den Punkt gebracht mit seinem "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust…". Der Herr Bohlen und die Frau Egli, die finden das auch 200 Jahre danach noch top aktuell. Und eine ganze Menge halb gebildeter Fernsehzuschauer und Musikkäufer auch. Naja, es ist halt schon schwer sich von übermächtigen Traditionen zu befreien. Oder diese mal zu hinterfragen. Lassen wir die Armen in ihrer Welt leben. Wenn es sie glücklich macht. Und ganz ehrlich, auch wenn Frau Egli 10x Superstar und Nr.1 in Deutschland ist, welche Relevanz hat das eigentlich für unser Leben? Allein das klägliche Scheitern der Gegenaktion von Fresh Torge zeigt, dass kaum jemand sich darum kümmert ob jetzt Superstar stattfindet oder nicht. Schade ist nur, dass dieser doch recht aufgeblähte Medienbetrieb so viel Geld und Ressourcen verbraucht.
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