Samstag, 12. Juli 2014

The Common Linnets: Calm After The Storm


Und nun schreibe ich an dieser Stelle doch noch über den Eurovision Song Contest. Oder wahrscheinlich eher nicht, dann das Ereignis liegt ja mittlerweile zwei Monate zurück, da ist alles gesagt und analysiert und ausgetauscht was nur geht.

Ungewöhnlich ist es dennoch, wenn sich nach acht Wochen ein Titel immer noch ordentlicher Beliebtheit erfreut. Das kommt dann eher selten vor. Manchmal ist es wie im Fall der Spanierin Ruth Lorenzo so, dass irgendein Sender einen beliebigen Titel nochmal ausgräbt und zum Beispiel in einer Tanzwettbewerbs-Show präsentiert. Dann gibt es nochmal kurz eine Nachfrage nach diesem Song und er hat einen erneuten Aufmerksamkeitsblitz. Aber dass sich so ein Wettbewerber tatsächlich zu einem Radio- und Verkaufshit entwickelt, wie oft haben wir das schon gesehen?

The Common Linnets machen es im Jahr 2014 vor, wie es geht. Zum Contest selber waren sie die heimlichen Gewinner, dann aber doch vom Glamourtrash der Conchita Wurst in den Schatten gestellt worden. Eine Menge schlauer Leute deuteten das Ereignis auch als politische Äußerung – nun ja, das halte ich für etwas überinterpretiert, aber hier bewegen wir uns allesamt auf spekulativem Terrain.
Der zweite Platz brachte der Band nicht nur den euphorischen Superlativ "Bestes Abschneiden eines Niederländischen Beitrags seit 1974" ein, sondern auch im direkt anschließenden Verkauf und Download die erfolgreichste Performance eines zweitplatzierten Titels seit 1969.

Liest sich alles unglaublich gut , ist aber Schnee von gestern (zumindest jedenfalls Schnee vom Mai). Und wie bei allen diesen großereignisgepushten Hits ließ das Interesse auch an Calm After The Storm wenige Tage nach dem ganzen Theater schnell nach. Bis vor wenigen Wochen erneut eine ansteigende Präsenz des Titel zu merken war, welche mittlerweile kulminiert in einer Notierung unter den zehn besteverkauften Titeln in Deutschland.

Und das alles ohne fette Promotion, Fernsehshowunterstützung oder besonders massentauglich produzierte Remixe. Immer noch läuft der rein akustische Countrysong in den Radios hoch und runter und verleiht der allgemein aktuellen Faszination für Country sehr konkret, quasi anfassbar, Ausdruck. Erstaunlich finde ich dabei, dass der Song es wirklich in dieser Reinheit zu solch einer Beliebtheit schafft. Bisher waren die Folk- und Country-Ausflüge zwar deutlich, aber doch immer irgendwie in ein Pop- oder Dance-Gewand gekleidet worden. Die Common Linnets bleiben dagegen ganz sie selbst: Gitarre und Stimme und die Sehnsucht nach der richtigen Entscheidung.

Calm After The Storm ist dabei ganz klassisch auf der Straße angesiedelt, auf dem Weg durch die Einöde und das ungewisse Leben. Die Geschichte ist stark auf die eigene Gefühlswelt beschränkt und erzählt vor allem von der Unsicherheit. Der Rückgriff auf traditionelle Ausdrucksformen und handfeste Musik ist hier eine Reaktion auf zu viele unbeantwortete Fragen. Das ist durchaus ein Unterschied zu der doch ganz gern auch sehr selbstbewusst und meinungsvorgebend auftretenden Country-Szene, die vor allem das ungezügelte Freiheitsideal der Straße abfeiert. Und damit natürlich alles was männlich, naturbeherrschend und gern auch heimatverbunden geprägt ist. Dass sich ein Country-Act selbst befragt und nicht genau weiß, ob diese Reise hier richtig ist, das kommt nicht so oft vor.



Eine Generation auf der ungerichteten Suche also. Wo führt mich mein Weg hin? Ist es der richtige? Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben?

Dass in dieser Orientierungslosigkeit der Rückgriff auf traditionelle Werte zumindest scheinbar Sicherheit verspricht, liegt auf der Hand. Ist auch nicht unbedingt verkehrt, so lange ich weiß, was mir eigentlich fehlt. Gefährlich wird es, wenn Werte aus einer mulmigen Angst vor Kontrollverlust so stark übernommen werden, dass sie zur Norm werden und nichts anderes mehr zulassen. Dann führt die Straße Country nämlich eher zurück in Verhältnisse, die keineswegs besser waren, sondern lediglich brutaler und rücksichtsloser. Kann man nur hoffen, dass die Schrecken dieser Zeit nicht komplett vergessen sind und die Menschen genug Mut haben, sich das Traditionelle für Ihre Verhältnisse und Bedürfnisse anzupassen. Die Common Linnets machen schonmal vor, dass so etwas möglich ist.




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