Freitag, 29. August 2014
Ella Henderson: Ghost
Angesichts von Ella Hendersons Single Ghost lässt sich wunderbar über den Unterschied von Casting-Produkten in Großbritannien und Deutschland nachdenken. Oder vielleicht sogar über den Stellenwert von Pop in diesen beiden Ländern generell.
Ja, Ella Henderson wurde bekannt durch ihre Teilnahme bei The X Factor. Allerdings flog sie 2012 dann doch recht schnell raus – immerhin unter den besten sechs war sie vertreten. Zwei Jahre später kann sie dennoch einen passablen Hit vorweisen.
Nun gibt es ja immer Ausnahmen: Im TV gescheitert und dann durch Zufall oder arge Aufdringlichkeit doch noch zu Chartehren gekommen. Im britischen Pop-Business kommen solche "Zufälle" allerdings doch reichlich häufig vor. Gucken wir mal in die letzten Jahre der X-Factor-Serie. Da stehen solche Namen wie Olly Murs (Zweiter 2009), Jedward (Sechste 2009), Rebecca Ferguson (Zweite 2010), One Direction (Dritte 2010), Cher Lloyd (Vierte 2010) ... Da kommt schon ganz schön was zusammen. Auch wenn da natürlich nicht alles Gold ist, was glänzt. Auffällig ist dennoch, dass diese Acts in vielen Fällen ernsthaft längerfristige Karrieren begonnen haben. So etwas ist ja in Deutschland eher seltenst der Fall. Oder wer ist jetzt nochmal Andreas Kümmert (Gewinner bei The Voice of Germany 2013), Beatrice Egli (Gewinnerin DSDS 2013), Luca Hänni (DSDS 2012), Roman Lob (Unser Star für Baku 2012), Ivy Quainoo (The Voice of Germany 2012)...???
Das kann damit zusammen hängen, dass Popkultur in Deutschland immer ein bisschen Bäh ist. ZDFneo versucht sich zwar an einer Chartshow, die Moderatorin bzw. auch der Kommentator macht sich aber nahezu über jeden Titel in der Top 10 lustig. Frag ich mich: Na warum präsentiert ihr dann das Zeug, wenn ihr es so dämlich findet?
Kann natürlich auch sein, dass die Qualität deutscher Popmusik dann doch eher ... nunja, unberechenbar ist. Andreas Kümmert, Roman Lob, Ivy Quainoo haben wahrscheinlich Talent und sind eventuell sogar gute Komponisten oder Textschreiber, über die Qualität von Aneta Sablik, Beatrice Egli und Luca Hänni sag' ich hier mal lieber nichts weiter.
Die DSDS-Soap konzentriert sich dann doch eher auf das Theater drumrum. Dass da auch noch gesungen wird, nunja, schönes Beiwerk. Macht das Dschungelcamp ja auch hin und wieder. Und mit so einer Vorgabe haben dann eben auch die Varianten an Shows zu kämpfen, die sich wirklich um musikalische Qualität bemühen. Irgendwie ist es dann doch interessanter und medial präsenter, wer da mit wem und was hinter der Bühne passierte.
Im britischen Fernsehen passiert all das natürlich auch. Trotzdem bleibt fast immer der Blick auf die Musik bestehen. Und dazu gehört eben nicht nur ein möglichst massenkompatibel geschriebenes Liedchen, sondern es gibt auch stimmliche Emotionen und Eigenheiten, es gibt Menschen, die Songs interpretieren (statt nachsingen), es gibt Soul.
Und das kann dann eben auch so ein Stück wie Ghost zum schönen und eingängigen Hit machen. Selbst im 80er Jahre-Allerwelts-Remix. Da könnte jetzt sofort Whitney Houston einsetzen mit ihrem Gesang. Im Original verrät mir die Produktion schon mit den ersten Takten, dass es hier auch um Funk geht ... und schwups bin ich mittendrin in der Gefühlswelt dieser Frau. Dann wenn Ella Hendersons Stimme statt wunderschön und geübt zu singen plötzlich in ein stimmloses Hauchen verfällt, kriegt das Ganze nochmal einen extra Groove, eine eigene Note und Emotionalität, die ich im glattproduzierten Dance-Pop zu oft vermisse. Schön gesungen (diese Variante findet sich hundertfach auf solchen Plattformen wie soundcloud) klingt der Titel enorm langweilig. Gut, dass die Produzenten hinter Ella Henderson wissen, dass Musik immer etwas mit Gefühl zu tun hat.
Kann natürlich sein, dass Ella Henderson nach dieser einen Nummer gleich wieder verschwindet und nie wieder auftaucht am Pop-Himmel. Wer allerdings zwei Jahre nach der großen TV-Präsenz erst mit einer Single kommt (und auch das ist in Großbritannien eher Normalität als die Aufnahme), hat sich vermutlich ordentlich mit dem Material beschäftigt, welches da aufgenommen wurde. Da spielt der TV-Hype eher eine untergeordnete Rolle. Diese Beschäftigung, oder nenn ich es mal anders, diese Haltung auch Massen-Pop ernst zu nehmen und genau das zu meinen was man da tut, das macht den Unterschied aus zur schnellen und beliebigen, deutschen Casting-Produktion. Und es macht die Qualität der Veröffentlichungen aus. Genau deshalb ist Großbritannien das Pop-Land Nummer 1. Und nicht Deutschland.
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