Natürlich werden mit Fernsehshows Hits gemacht. Diese Weisheit ist so alt wie ... vielleicht das Fernsehen selbst. In den vergangenen Jahren (oder mittlerweile Jahrzehnten?) waren es vor allem die Casting-Formate, die uns Hits bescherten. Zunehmend wurde vor etwa fünf bis sieben Jahren dann bemerkbar, wie der Erfolg von den eigentlichen Casting-Stars wegschwappte zu den Songs, die während der Shows interpretiert wurden. Das hatte viel zu tun mit der digitalen Verfügbarkeit der teilweise älteren Singles und Hits.
Mit Philipp Poisel wurde dann vor zwei Jahren sogar ein Sänger durch ein interpretiertes Lied während einer Casting-Show so richtig zum Medien-Hype und damit wesentlich erfolgreicher als bis dato. Natürlich war er zuvor nicht komplett unbekannt. Und natürlich war es nicht nur DER EINE Auftritt, aber so etwas wie der letzte Funken oder Tropfen, der dann alles nochmal ordentlich vervielfachte.
Und diese Geschichte scheint sich gerade mit Gregor Meyle zu wiederholen. Dieser wurde 2007 durch Stefan Raab dem Fernsehpublikum bekannt, wurde dort in einem der Nebenbei-Casting-Shows des Entertainers Zweiter – immerhin. Das brachte ihm ein paar erste Achtungserfolge ein. Und dann verschwand er mehr oder weniger wieder von der Bildfläche.
Das ist für Casting-Teilnehmer zunächst eine recht gewöhnliche Biographie. Egal in welcher Variante sie auftreten. Gregor Meyle entschied sich dann – auch das nicht total ungewöhnlich – von der großen Musikindustrie unabhängig weiter zu machen und gründete ein eigenes Label. Spätestens hier ist dann wirklich für die allermeisten Schluss. Denn wer hat schon genug lang die finanzielle und emotionale Kraft, Songs zu schreiben, aufzunehmen, zu veröffentlichen ... und dann doch kaum wahrgenommen zu werden?
Immerhin, Gregor Meyle blieb fünf Jahre dabei und wurde offenbar doch wahrgenommen. Zumindest folgte im Frühjahr 2014 die Einladung von Xavier Naidoo ins Sing meinen Song-Ferienlager, wo er ein bisschen die Rolle des kleinen Newcomers hatte. Zumindest waren die anderen Lagerteilnehmer ander – sichtbarer – im Business verankert.
Und dann wählte sich Sarah Connor Keine ist wie du als Song aus, den sie zum Besten gab. Was ihr nach Jahren der Chart-Abstinenz ein Comeback im Medienrummel verschaffte. Und auch der Originalaufnahme eine gewisse Aufmerksamkeit brachte. Immerhin konnte sich der Titel, der nie als Single ausgekoppelt war, ebenfalls für kurze Zeit in den Charts platzieren.
Damit war das Eis gebrochen ... und nun taucht der Titel wieder auf, in einer Casting-Show und ... ja, jetzt wird er vollends geliebt, geladen, gekauft. Kurz – er wird zum Hit.
Wie gesagt, eine Geschichte, die wir durchaus schon kennen. Anders ist in diesem Fall höchstens, dass es sich bei Keine ist wie du eben nicht um einen von klugen Managern oder den Schöpfern selbst ausgewählten Titel handelt, der in deren Augen das Potenzial zu einem Song für viele zu haben. Hier hat die Qualität der Komposition ganz wesentlich ihren eigenen Anteil gehabt. Und das ist dann eine Geschichte, die nicht allzu oft im Pop-Business vorkommt.
Keine ist wie du ist wie du, ist eine großartige Ballade. Eine der wenigen, die es schafft Gefühle zu transportieren ohne zu sehr ins schwiemelige Pathos abzugleiten oder einen Haufen Romantik-Geigen-Soße drüber zu schütten. Gregor Meyle beschränkt sich auf eine ganz sparsame Instrumentierung (ja, ein paar Violinen tauchen da auch auf, aber nur ganz ganz vorsichtig) und vertraut auf seine Stimme. Die – und auch das ist für deutsche Künstler nicht so gewöhnlich – eben nicht permanent beweisen muss, wie gut ausgebildet und schön sie sein kann. Gregor Meyle traut sich, hier auch zu zeigen, dass es für ihn Grenzen des Gesangs gibt. In einzelnen Momenten hab ich das Gefühl, das ist doch jetzt nur so dahin gesagt. Und genau das ist das Schöne. Weil es eben nicht in eine kunstvolle Form gegossen wurde, sondern so da steht, wie ich es auch formulieren würde. Der schöne Begriff Authentizität kommt hier wieder mal ins Spiel. Offenbar immer noch etwas, an dem sich der deutsche Pop abarbeiten kann.
Und so authentisch (oder ehrlich) sind auch die von ihm gewählten Worte. Da kommen auch solche großen Versprechungen und Wünsche wie "immer", "nie wieder", "keine" vor – Verheißungen, die im Moment wirklich so scheinen, trotzdem ja aber auch ganz schön übergroß und unglaubwürdig sind. Und genau das teilt Gregor Meyle ebenfalls mit. Er benutzt sogar solch ein Wort wie "irgendwie": Du bist immer noch irgendwie da. – Nicht gerade das, was uns der Gute-Manieren-Index als Kompliment definieren würde. Deshalb aber nicht weniger überzeugend.
Es sei denn, die Frau ist eine völlig eitle Ziege, die immer nur beschenkt und angebetet und rumgezeigt werden will. (Soll es ja geben!) Dann wäre sie aber niemals mit so einem wie Gregor Meyle zusammen.
Nun kommt in unserer überinszenierten Welt Ehrlichkeit und Authentizität immer ganz gut an. Muss deshalb aber nicht dauernd gut gehen. Zum einen ist das ja nicht so einfach, sich selbst erstmal so weit zu haben, dass man rauskriegt, was einen wirklich umtreibt. Gregor Meyle brauchte da offenbar auch eine Weile ehe er sagen kann "Ich geb's jetzt endlich zu."
Zum anderen haben wir so viel Quatsch-Bilder und -Vorlagen um uns rum, dass es eben auch ganz schnell geht und ich denke, das muss alles so sein. Auch hier hält sich Gregor Meyle an sein Gefühl: er redet nicht von Hochzeit, Kinder, Haus, Familie ... obwohl sein Liebeslied ganz konventionell gedacht darauf hinzielen würde. Ist für ihn aber alles nicht der Sinn der Beziehung und der Liebe. Es geht um die Person, es geht um das Gemeinsame, egal unter welchen Umständen.
Da bin ich ordentlich beeindruckt. So viele Möglichkeiten und Varianten muss man erstmal zulassen.
Vielleicht ist es genau das, diese Offenheit, die den Song so überzeugend macht. Und vielschichtig. Eine Zeile wie "Ich will nie wieder so einsam sein ... wegen dir" kann eine ganze Menge bedeuten. Je nachdem wie man es betont oder wo man das Komma setzt. Oder auch nicht. – So transportieren wenige Worte ein ganzes Universum, ein ganzen Stapel an Lebensmöglichkeiten. Das schaffen auch nicht viele Textzeilen.
Kurzum: Im Februar hatte ich Revolverheld für Ich lass für dich das Licht an schon die Trophäe "Schönstes und überzeugendstes Liebeslied" überreicht. Ich glaube, die Jungs müssen jetzt ein bisschen Platz machen für Gregor Meyle und ihm mindestens die Hälfte Ihres Ruhmes abgeben.
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