Freitag, 10. Oktober 2014

Meghan Trainor: All About That Bass

Es ist nicht schlimm, wenn die Körpermaße nicht dem Hungermodell-Index entsprechen. Das ist die Botschaft, welche über All About That Bass steht. Und damit kann sich Meghan Trainor positiver Reaktionen sicher sein. Denn die überbordende Präsenz von dünnsten Frauen (und gern auch Männern) als Schönheitsideal ist nach wie vor erschreckend. Da hat auch der Hype um Beth Ditto – sogar mit der kraftvollen Unterstützung von Karl Lagerfeld – nichts ändern können.

Und schon bin ich drauf und dran mich zu einer Äußerung empor zu schwingen wie: Die Pop-Welt ist offenbar um einiges weiter als die Modewelt, denn Sängerinnen, die ein paar mehr Pfunde auf den Rippen haben sind tatsächlich nicht mehr mit der Lupe zu suchen. Allerdings ist es auch reichlich erschreckend, wie lange solch ein Thema braucht um im Mainstream anzukommen. Ich erinnere mich an das Auftreten von Missy Elliott Ende der 1990er Jahre, die bereits sehr vehement auch ihr Gewicht thematisierte.

Auch Pop ist also sehr sehr langsam und ich wage zu bezweifeln, dass mit Meghan Trainor nun das klapperdürre Schönheitsideal ausgedient hat. Germany's next Top Model dürfte weiterhin wesentlich erfolgreicher laufen als das fast schon emanzipatorisch zu nennende GLEE. Und was bei Heidi Klum propagiert wird, wissen wir ja.

Immerhin, ein 20jähriges Pop-Sternchen, dass sich so explizit positiv zu etwas mehr Gewicht bekennt und damit weltweit den Gassenhauer der Saison liefert, gab es bislang noch nicht. Selbst Lily Allen blieb da vor der ganz großen Medienpräsenz verschont – und damit ihre Botschaften auch immer ein klein wenig Understatement. Da schafft Meghan Trainor tatsächlich schon eine neue Qualität.

Trotzdem hinkt die Pop- und Medienwelt der Realität auf den Straßen ordentlich hinterher. Weshalb auch die Hymne auf "Mehr Gewicht ist auch schön!" irgendwie nicht ganz ohne Beigeschmack davon kommt. Gerade reiche Länder wie die USA oder Deutschland (aber auch die Niederlande oder Schweden) kennen das Problem Übergewichtigkeit zur Genüge. Wohlstand verbunden mit sozialer Verwahrlosung und billigem Essen ist ein handfestes Problem. Gerade auch unter heranwachsenden und jungen Menschen.

Der fröhlich tanzende, junge Mann in Meghan Trainors Video steht also einerseits für ein emanzipiertes Körperbild, auf der anderen Seite ist es aber Fakt, dass seine Lebenserwartung statistisch geringer ist als die der Damen im Video (die allesamt nicht klapperdürr sind, aber bei weitem eine gesundere Figur haben als ihr männlicher Partner).

Nun bin ich definitiv nicht angetreten, dem Mann seine Freude am Leben zu nehmen. Es ist toll, dass er ein positives Körpergefühl hat und dass er sich ungeniert bei seinem Spaß filmen lässt. Sogar das Hochrutschen seines Shirts macht ihm nichts aus. Die Zeile "My mama she told me don't worry about your size" ist dennoch nur bedingt ein guter Rat. Die überfütterten Kinder gutmeinender Mütter sind nicht unbedingt glücklicher.

Dass Meghan Trainor diese Kehrseite ungehemmter Esslust nicht beachtet ist verständlich. Das Thema ist im Pop- und Mainstream-TV-Kontext so gut wie gar nicht vorhanden. Wie schon erwähnt: Entgegen der Realität wird im Medien-Kosmos ja immer noch ein anderes Schönheitsideal propagiert.

Und deshalb ist All About That Bass wahrscheinlich doch ein ziemlich großartiger Wurf. Sich im Jahr 2014 am Doo-Wop-Stil der 50er zu bedienen ist vielleicht ein bisschen fragwürdig – aber gut, das verbuche ich einfach unter Atemporalität. Jeglicher Sound ist heute möglich und zeitgemäß. Und ehrlicherweise ist All About That Bass auch ordentlich infektiös, mitsingbar, ein Pop-Stückchen wie es besser nicht sein könnte. Dass es bei übermäßiger Präsenz auch ordentlich nervt, teilt der Song mit einer Menge anderer Tageshits.

Immerhin passt der Sound hervorragend zur Lollypop-Kitsch-Welt des Videos. Das Barbie-Girl in ihrem Puppenstuben-Outfit ist die ideale Märchenumgebung für die Träume kleiner Mädchen. Dass dort Figuren vorkommen, die nicht dem Ballerina-Ideal entsprechen und trotzdem ernst zu nehmende Akteure sind ist wirklich ein Fortschritt. Die kann man genauso hübsch herausputzen und zurechtmachen wie das staksige Original. Und akrobatische Körperverrenkungen kriegen die offenbar auch hin. Mal schauen, ob es wirklich demnächst die Meghan-Trainor-Variante bei Mattel zu erwerben gibt.




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