Alle Jahre wieder...
Zu den saisonalen Klassikern gehört auch Do They Know It's Christmas?. Anders als der Rest der Weisen ist aber dieser Song – zumindest ein wenig – mit einem Blick auf den Rest der Welt und die Orte verbunden, an denen es vielleicht grad nicht so friedlich und feierlich zugeht.
1984 wurde der Titel erstmals aufgenommen vom Pop-Who is Who der frühen 80er Jahre. Die Idee der Initiatoren Bob Geldof (Ex-Boomtown Rats) und Midge Ure (Ex-Visage und Ultravox) war, mit dem Verkauf der Single Geld einzusammeln und dieses einzusetzen gegen die damalige Hungerkatastrophe in Äthiopien. 1984 war diese Idee ziemlich neu – ich weiß nicht ob es die erste derartige Kampagne war. Wahrscheinlich nicht. In ihrer Größe aber setzte sie neue Maßstäbe.
Nachdem 1989 un 2004 bereits Neuauflagen folgten, ist nun 30 Jahre danach wieder die Zeit reif für ein Charity-Projekt. 2014 geht es um die Ebola-Epidemie in Westafrika. Die politische Weltgemeinschaft hat recht lang gezögert, bevor im Sommer klar wurde, dass die Krankheit eben nicht nur ein begrenztes Phänomen ist, sondern sehr schnell Grenzen überspringt und ein globales Problem darstellt.
Weil der Kampf gegen Ebola, sei es nun die akute und direkte Versorgung der Menschen oder die Entwicklung von Medikamenten bzw. Impfstoffen, enormes Geld kostet, rief also Bob Geldof erneut sein Projekt zusammen. Besetzt mit Stars aus dem aktuellen Musikbusiness. Natürlich musste er nicht lang bitten, Namen wie One Direction, Ed Sheeran, Ellie Goulding, Bastille, Rita Ora, Clean Bandit, Emily Sandé und Sam Smith stehen genauso auf der Liste wie ein paar überraschende Gäste, die eigentlich schon eine ganze Weile nicht mehr in den bunten Pop-Nachrichten aufgetaucht sind. Angelique Kidjo beispielsweise dürfte den heute Jugendlichen nicht viel sagen. Und ob Sinéad O'Connor tatsächlich noch als Popstar taugt würde ich ebenfalls bezweifeln. Aber mit so einer generationenübergreifenden Besetzung lässt sich natürlich auch ein breiteres Publikum ansprechen. Die heute 40jährigen können vielleicht mit One Direction nicht so viel anfangen, aber Seal oder Roger Taylor sind denen schon ein Begriff. Und um die Sache auch richtig rund zu machen ist auch Bono fleißig mit dabei.
Nun ist bei einem derartigen Aufgebot an Stars und Sternchen und bei dem deutlich vermittelten Ziel der Aktion der eigentliche Song fast schon nebensächlich. Dass der Titel dann trotzdem immer wieder im Dezember in den Playlists auftaucht heißt auch noch nicht so viel. Beim Vergleich der Versionen fällt dann aber doch auf, dass der Song seine Qualitäten hat.
Der eher reduzierte Beginn der Aufnahme von 2014 bringt die Stimmen in den Vordergrund und damit die Botschaft. Nicht umsonst wurden die Textzeilen "Where a Kiss of Love can kill you" und "And there is Death in every Tear" neu eingefügt. – 1984 da war das Ganze noch sehr viel aufgebrezelter: Mit Glöckchen für die Weihnachtsstimmung und breit eingesetzten Synthesizer-Soundflächen. Das Ganze hatte dann auch noch einen anständig treibenden Beat... Die 80er haben schon anders funktioniert – Emotionalität war immer auch ordentlich dick inszeniert.
Die Jetzt-Zeit sieht dagegen schon fast spartanisch aus. Bis die erste wirklich inbrünstige Stimme zu hören ist, vergeht mehr als eine Minute. Und selbst danach bleiben Chor und Violinen-Begleitung recht lang noch gezügelt und zurückgenommen. Erst zum Refrain "Feed the World, Let them know it's Christmas Time" wird es fulminant ... und leider auch ein wenig hymnenhaft schlageresk. Nunja – Pop-Spektakel braucht eben auch etwas allgemein Vereinnahmendes, ein bisschen Heroismus. Sei es dem Projekt gegönnt.
Alles in allem ist Do They Know It's Christmas einmal mehr davor bewahrt worden zum betulichen Schunkelliedchen zu werden. Ohne die aktuellen Zahlen der Spenden zu kennen scheint mir die Kampagne 2014 noch einmal mehr Wirkung zu entwickeln. Eine Epidemie macht Menschen derzeit offenbar mehr betroffen als die 100. Kampagne gegen eine Hungersnot.
Auch in Deutschland regen sich die Wohlwollenden und gerade ist erstmals eine deutsche Variante von Do They Know It's Christmas? aufgenommen worden. Ob das wirklich so eine großartige Idee war... dazu werd' ich mich vermutlich in wenigen Tagen ebenfalls hier äußern können.
Freitag, 28. November 2014
Donnerstag, 20. November 2014
David Guetta Feat. Sam Martin: Dangerous
Hab ich irgendwann mal behauptet, David Guetta bringe es nicht mehr? – Großer Irrtum.
Der Beweis liegt hiermit vor. Das neue Album Listen gibt es ab jetzt – die Single lovers on the sun hat bereits den Spätsommer bestimmt und nun schiebt der DJ und Produzent also Dangerous nach. Mit geballter Ladung.
Allein seine Inszenierung lässt nichts zu wünschen übrig. Formel 1 muss es sein – dekadenter und glamouröser geht es nicht. Irgendwie auch kaum an Sinnlosigkeit zu übertreffen. Denn was bitte ist die Formel 1 anderes als völlig abgehobene Selbstdarstellung. Es geht lediglich um die Befriedigung des eigenen Egos – bei den Technikern mindestens so wie bei den Fahrern.
Demzufolge haut David Guetta dann auch solche Sätze raus wie: "I Push Myself To The Limit. Even Harder." – Ja, das ist ein Mann, der über seine Grenzen hinaus wachsen kann. Logisch liegen ihm die Frauen wie kleine Häschen zu Füßen und wackeln willig mit ihren Ärschen.
Das sind also die Macho-Träume der Masse. Die BILD ist täglich voll davon. Und wenn man solch ein Klischee bedient, dann fliegen natürlich alle drauf.
Seltsamerweise macht David Guetta musikalisch eher einen Schritt weg vom Brachialsound. Klar, der Refrain ist immer noch nahe dran am Stadion-Hochgefühl. Dafür ist das Intro mit Klavier und Streichern geradezu zart im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen. Was folgt, ist in der Instrumentierung fast schon ein französischer Chanson – das hat Sebastien Tellier vor gut fünf Jahren mindestens genauso gemacht. Und wenn ich mir dann noch den Remix von Everybody's Darling Robin Schulz reinziehe, dann erkenne ich Herrn Guetta gar nicht mehr wieder. So soft und lauschig dahinplätschernd?
Spannend an Dangerous ist auch oder besonders, dass hier – obwohl es um nichts Natürlicheres geht als sich aufeinander einzulassen – eine große Gefahr hervorbeschworen wird. Hat Byung Chul Han tatsächlich recht? Sind wir bereits so ent-erotisiert, dass jeglicher Kontakt - ob nun rein körperlich oder tatsächlich in einer Art Beziehung - als Gefahr empfunden wird. Wofür? – Das Ego? Meine individuellen Macho-Träume? Meine Freiheit?
Hmm – irgendwie kann ich mich an dieses Gesellschaftsbild noch nicht recht gewöhnen. Kontakte, Begegnungen machen doch Spaß! Sich aufeinander einlassen ist doch spannend. Ich muss mich dabei keineswegs aufgeben – ich lerne mich dabei gerade erst besser kennen. Klar – mit einem Trip durch die Wüste oder in den Dschungel, mit wilden Formel 1-Fahrten mache ich auch tolle Selbsterfahrungen. Find ich auch wichtig. Ich würde einfach das Menschliche dabei nicht verdrängen und beiseite schieben wollen.
Aber klar: wer tatsächlich die lebensbedrohende Gefahr sucht, der kommt beim physischen Extrem-Exkurs sehr viel schneller und mehr auf seine Kosten. Da sind solche Beziehungs-Kisten vielleicht doch etwas geschmeidiger. Obwohl ... das Leben versauen kann man sich hier auch ganz schnell, wenn man nicht aufpasst. Da hat dann der Herr Guetta vielleicht doch nicht ganz unrecht.
Ein bisschen weniger Eitelkeit und Selbstinszenierung würde ihm trotzdem besser stehen. Denn das ist dann wirklich der Unterschied zum Rennwagen: Menschen lassen sich nicht einfach so steuern und lenken. Da muss man nochmal andere Fähigkeiten wie Empathie und vielleicht auch ein bisschen Sensibilität, auf alle Fälle aber Interesse am Gegenüber haben, sonst geht's direkt zum Totalschaden. Und das kann man im Gegensatz zu allen möglichen technischen Fähigkeiten eben nicht in irgendeiner Ausbildung lernen.
Der Beweis liegt hiermit vor. Das neue Album Listen gibt es ab jetzt – die Single lovers on the sun hat bereits den Spätsommer bestimmt und nun schiebt der DJ und Produzent also Dangerous nach. Mit geballter Ladung.
Allein seine Inszenierung lässt nichts zu wünschen übrig. Formel 1 muss es sein – dekadenter und glamouröser geht es nicht. Irgendwie auch kaum an Sinnlosigkeit zu übertreffen. Denn was bitte ist die Formel 1 anderes als völlig abgehobene Selbstdarstellung. Es geht lediglich um die Befriedigung des eigenen Egos – bei den Technikern mindestens so wie bei den Fahrern.
Demzufolge haut David Guetta dann auch solche Sätze raus wie: "I Push Myself To The Limit. Even Harder." – Ja, das ist ein Mann, der über seine Grenzen hinaus wachsen kann. Logisch liegen ihm die Frauen wie kleine Häschen zu Füßen und wackeln willig mit ihren Ärschen.
Das sind also die Macho-Träume der Masse. Die BILD ist täglich voll davon. Und wenn man solch ein Klischee bedient, dann fliegen natürlich alle drauf.
Seltsamerweise macht David Guetta musikalisch eher einen Schritt weg vom Brachialsound. Klar, der Refrain ist immer noch nahe dran am Stadion-Hochgefühl. Dafür ist das Intro mit Klavier und Streichern geradezu zart im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen. Was folgt, ist in der Instrumentierung fast schon ein französischer Chanson – das hat Sebastien Tellier vor gut fünf Jahren mindestens genauso gemacht. Und wenn ich mir dann noch den Remix von Everybody's Darling Robin Schulz reinziehe, dann erkenne ich Herrn Guetta gar nicht mehr wieder. So soft und lauschig dahinplätschernd?
Spannend an Dangerous ist auch oder besonders, dass hier – obwohl es um nichts Natürlicheres geht als sich aufeinander einzulassen – eine große Gefahr hervorbeschworen wird. Hat Byung Chul Han tatsächlich recht? Sind wir bereits so ent-erotisiert, dass jeglicher Kontakt - ob nun rein körperlich oder tatsächlich in einer Art Beziehung - als Gefahr empfunden wird. Wofür? – Das Ego? Meine individuellen Macho-Träume? Meine Freiheit?
Hmm – irgendwie kann ich mich an dieses Gesellschaftsbild noch nicht recht gewöhnen. Kontakte, Begegnungen machen doch Spaß! Sich aufeinander einlassen ist doch spannend. Ich muss mich dabei keineswegs aufgeben – ich lerne mich dabei gerade erst besser kennen. Klar – mit einem Trip durch die Wüste oder in den Dschungel, mit wilden Formel 1-Fahrten mache ich auch tolle Selbsterfahrungen. Find ich auch wichtig. Ich würde einfach das Menschliche dabei nicht verdrängen und beiseite schieben wollen.
Aber klar: wer tatsächlich die lebensbedrohende Gefahr sucht, der kommt beim physischen Extrem-Exkurs sehr viel schneller und mehr auf seine Kosten. Da sind solche Beziehungs-Kisten vielleicht doch etwas geschmeidiger. Obwohl ... das Leben versauen kann man sich hier auch ganz schnell, wenn man nicht aufpasst. Da hat dann der Herr Guetta vielleicht doch nicht ganz unrecht.
Ein bisschen weniger Eitelkeit und Selbstinszenierung würde ihm trotzdem besser stehen. Denn das ist dann wirklich der Unterschied zum Rennwagen: Menschen lassen sich nicht einfach so steuern und lenken. Da muss man nochmal andere Fähigkeiten wie Empathie und vielleicht auch ein bisschen Sensibilität, auf alle Fälle aber Interesse am Gegenüber haben, sonst geht's direkt zum Totalschaden. Und das kann man im Gegensatz zu allen möglichen technischen Fähigkeiten eben nicht in irgendeiner Ausbildung lernen.
Freitag, 14. November 2014
UNHEILIG: Zeit zu gehen
UNHEILIG hört auf. (Oder macht erstmal eine Pause.) Angekündigtes Ende eines Projektes. Gelegenheit mal auf die Gesamtkarriere zu schauen.
2010/11 da war Unheilig der Überflieger. Unschlagbar. Rekorde purzelten und ein komplettes Land schien dem Grafen und seinen Mannen zu Füßen zu liegen. Bis dahin war es ein recht langer Weg. Nach der Gründung 1999 ging es erstmal überschaubar zu. Kleine Konzerte, eine eingefleischte und treue Fanszene. Immerhin dann doch 2008 der erste Chartserfolg - da war die Fangemeinde also schon anständig gewachsen. Und dann kam Geboren um zu leben. In seiner Aussage wunderbar allgemeingültig, im Stil auch wesentlich eingängiger und massentauglicher, die Fans mehrheitlich genügend Geld verdienend um sich die Veröffentlichung als physisches Produkt zuzulegen und zumindest in der Frühzeit des Erfolges auch mit dem einen und anderen prominenten TV-Einsatz ... schwups entdeckte Deutschland seine romantisch-verklärte Seite.
Dass sich das Ganze innerhalb von zwei Jahren bis zur ungebrochenen Euphorie steigern würde, wer hätte das erwartet? Hat sich um 2010 also in der deutschen Gesellschaft so etwas wie eine große Resignation und Trauer auf hohem Niveau den Weg gebahnt. Durchaus auch mit der verklärten Sehnsucht nach einem, der einen schützt und leitet. Ich behaupte an dieser Stelle mal, dass Unheilig mit den Weg geebnet hat für Bands wie Haudegen oder Frei.Wild. Und die haben ja schon gar kein Problem mehr mit Deutschtümelei, Führersehnsucht und Nationalstolz.
Das ist bei Unheilig nicht ganz so. Politisch hielt sich der Graf mehrheitlich zurück – auch das ja nicht unbedingt eine unbekannte Haltung in Deutschland. Unheilig hatte sich mehr mit der Schwarzen Gothic-Darkwave-Szene auseinander zu setzen. Mit dem Erfolg (und der stärkeren Pop-Orientierung) kam nämlich auch Kritik an seinem Stil auf. Und die ganz Eisernen fanden, der Graf verkaufe sich jetzt ... Spätestens mit der Winter-Edition seines Albums Große Freiheit Anfang 2011 ließ sich dieser Vorwurf des kommerziellen Ausschlachtens nicht mehr so ganz einfach aus der Welt räumen.
Wie dem auch sei, das Abwenden der Basis machte sich in den letzten zwei-drei Jahren dann auch bemerkbar im etwas schwindenden Erfolg. Deutlichstes Zeichen vermutlich das diesjährige Scheitern beim Eurovision-Vorentscheid. Da war die große Gesellschafts-Depression mehrheitlich doch schon verflogen und es herrschte die Lust am multikulturellen Gute-Laune-Gefühl. Was für Unheilig aber keineswegs den totalen Absturz bedeutete.
Immerhin, Unheilig ist nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahren in den Statistiken der 2010er tatsächlich immer noch die Nummer 2. Lediglich der junge Rapper CRO mit seiner Lebens- und Liebeslust hat dem Grafen alle Lorbeeren weggeschnappt: Die meisten Hits seit 2010, die höheren Platzierungen, die meisten Wochen in den Charts ... Einzig und allein der Hit Geboren um zu leben schafft die Bestmarke: "am längsten ohne Unterbrechung in den Charts platziert seit 2010" und "längste ununterbrochene Chartkarriere eines deutschsprachigen Titels aller Zeiten". Das ist schon eine ganz schön spezielle Nische, die der Graf da für sich vereinnahmt. Nischendasein dürfte für den Künstler allerdings nicht das große Problem sein.
Nun also will sich Unheilig/Der Graf mehr seiner Familie widmen. Und veröffentlicht vor seiner Abschiedstour einen Goodbye-Titel Zeit zu gehen. Der spart natürlich nicht an Pathos: Violinen, fulminante Produktion und ein Refrain, der sehr gut mitsingbar ist. Abschied von allen und allem.
Textlich überrascht der Graf, denn er traut sich (erstmals ?) konkret und deutlich zu werden. Es sind nicht mehr nur die unbestimmten Allgemeinplätze, die angedeuteten Geschichten, die jedem widerfahren können und die schwierig zu fassenden Gefühle – er singt von einem WIR. Und er sagt mit diesem WIR Danke. Eine sehr schöne und sehr ehrliche Geste. Und einer der ganz wenigen Momente, in denen Unheilig nicht zurück schaut sondern der Zukunft ins Gesicht sieht. Das ist für mich der überraschendste und beachtenswerteste Moment an der neuen Single.
Natürlich kann ein Graf nicht aus seiner Haut. Und so sind auch im Video vor allem die großen und inszenierten Momente aneinander gereiht. Mir hätte mehr gefallen, wenn dort tatsächlich in Mehrheit das auftauchen würde, wovon er so gerne singt: Die kleinen Momente und Gesten, die Nähe und Verbundenheit der Menschen. Zwischen Frontmann und Band, zwischen Bühnenarbeiter und Musiker, zwischen Star und Fan. Davon gibt es nur ein paar vereinzelte Impressionen. Es scheint ein bisschen so, als wäre dies der Grund für das permanente romantische Leiden des Grafen: Er kann im Nachhinein gut beschreiben, dass es nicht so gelaufen ist, wie es sollte. Er kann bedauern. Im Jetzt und Heute kriegt er es aber nicht hin, es besser zu machen. Da steht ihm vermutlich auch seine eigene Inszenierung im Weg.
Ich bin gespannt, ob wir dem Grafen in fünf, sechs oder sieben Jahren bei einem Comeback wieder begegnen können. Oder ob er künstlerisch nochmal was ganz anderes versucht. Vielleicht hört er auch auf seine eigenen Texte und widmet sich eher seinen Lieben und seinem Leben, statt permanent den Welterklärer zu spielen. Ich vermute, mir wird er nicht besonders fehlen.
2010/11 da war Unheilig der Überflieger. Unschlagbar. Rekorde purzelten und ein komplettes Land schien dem Grafen und seinen Mannen zu Füßen zu liegen. Bis dahin war es ein recht langer Weg. Nach der Gründung 1999 ging es erstmal überschaubar zu. Kleine Konzerte, eine eingefleischte und treue Fanszene. Immerhin dann doch 2008 der erste Chartserfolg - da war die Fangemeinde also schon anständig gewachsen. Und dann kam Geboren um zu leben. In seiner Aussage wunderbar allgemeingültig, im Stil auch wesentlich eingängiger und massentauglicher, die Fans mehrheitlich genügend Geld verdienend um sich die Veröffentlichung als physisches Produkt zuzulegen und zumindest in der Frühzeit des Erfolges auch mit dem einen und anderen prominenten TV-Einsatz ... schwups entdeckte Deutschland seine romantisch-verklärte Seite.
Dass sich das Ganze innerhalb von zwei Jahren bis zur ungebrochenen Euphorie steigern würde, wer hätte das erwartet? Hat sich um 2010 also in der deutschen Gesellschaft so etwas wie eine große Resignation und Trauer auf hohem Niveau den Weg gebahnt. Durchaus auch mit der verklärten Sehnsucht nach einem, der einen schützt und leitet. Ich behaupte an dieser Stelle mal, dass Unheilig mit den Weg geebnet hat für Bands wie Haudegen oder Frei.Wild. Und die haben ja schon gar kein Problem mehr mit Deutschtümelei, Führersehnsucht und Nationalstolz.
Das ist bei Unheilig nicht ganz so. Politisch hielt sich der Graf mehrheitlich zurück – auch das ja nicht unbedingt eine unbekannte Haltung in Deutschland. Unheilig hatte sich mehr mit der Schwarzen Gothic-Darkwave-Szene auseinander zu setzen. Mit dem Erfolg (und der stärkeren Pop-Orientierung) kam nämlich auch Kritik an seinem Stil auf. Und die ganz Eisernen fanden, der Graf verkaufe sich jetzt ... Spätestens mit der Winter-Edition seines Albums Große Freiheit Anfang 2011 ließ sich dieser Vorwurf des kommerziellen Ausschlachtens nicht mehr so ganz einfach aus der Welt räumen.
Wie dem auch sei, das Abwenden der Basis machte sich in den letzten zwei-drei Jahren dann auch bemerkbar im etwas schwindenden Erfolg. Deutlichstes Zeichen vermutlich das diesjährige Scheitern beim Eurovision-Vorentscheid. Da war die große Gesellschafts-Depression mehrheitlich doch schon verflogen und es herrschte die Lust am multikulturellen Gute-Laune-Gefühl. Was für Unheilig aber keineswegs den totalen Absturz bedeutete.
Immerhin, Unheilig ist nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahren in den Statistiken der 2010er tatsächlich immer noch die Nummer 2. Lediglich der junge Rapper CRO mit seiner Lebens- und Liebeslust hat dem Grafen alle Lorbeeren weggeschnappt: Die meisten Hits seit 2010, die höheren Platzierungen, die meisten Wochen in den Charts ... Einzig und allein der Hit Geboren um zu leben schafft die Bestmarke: "am längsten ohne Unterbrechung in den Charts platziert seit 2010" und "längste ununterbrochene Chartkarriere eines deutschsprachigen Titels aller Zeiten". Das ist schon eine ganz schön spezielle Nische, die der Graf da für sich vereinnahmt. Nischendasein dürfte für den Künstler allerdings nicht das große Problem sein.
Nun also will sich Unheilig/Der Graf mehr seiner Familie widmen. Und veröffentlicht vor seiner Abschiedstour einen Goodbye-Titel Zeit zu gehen. Der spart natürlich nicht an Pathos: Violinen, fulminante Produktion und ein Refrain, der sehr gut mitsingbar ist. Abschied von allen und allem.
Textlich überrascht der Graf, denn er traut sich (erstmals ?) konkret und deutlich zu werden. Es sind nicht mehr nur die unbestimmten Allgemeinplätze, die angedeuteten Geschichten, die jedem widerfahren können und die schwierig zu fassenden Gefühle – er singt von einem WIR. Und er sagt mit diesem WIR Danke. Eine sehr schöne und sehr ehrliche Geste. Und einer der ganz wenigen Momente, in denen Unheilig nicht zurück schaut sondern der Zukunft ins Gesicht sieht. Das ist für mich der überraschendste und beachtenswerteste Moment an der neuen Single.
Natürlich kann ein Graf nicht aus seiner Haut. Und so sind auch im Video vor allem die großen und inszenierten Momente aneinander gereiht. Mir hätte mehr gefallen, wenn dort tatsächlich in Mehrheit das auftauchen würde, wovon er so gerne singt: Die kleinen Momente und Gesten, die Nähe und Verbundenheit der Menschen. Zwischen Frontmann und Band, zwischen Bühnenarbeiter und Musiker, zwischen Star und Fan. Davon gibt es nur ein paar vereinzelte Impressionen. Es scheint ein bisschen so, als wäre dies der Grund für das permanente romantische Leiden des Grafen: Er kann im Nachhinein gut beschreiben, dass es nicht so gelaufen ist, wie es sollte. Er kann bedauern. Im Jetzt und Heute kriegt er es aber nicht hin, es besser zu machen. Da steht ihm vermutlich auch seine eigene Inszenierung im Weg.
Ich bin gespannt, ob wir dem Grafen in fünf, sechs oder sieben Jahren bei einem Comeback wieder begegnen können. Oder ob er künstlerisch nochmal was ganz anderes versucht. Vielleicht hört er auch auf seine eigenen Texte und widmet sich eher seinen Lieben und seinem Leben, statt permanent den Welterklärer zu spielen. Ich vermute, mir wird er nicht besonders fehlen.
Freitag, 7. November 2014
Taylor Swift: Shake It Off
Sehr spannend wie unterschiedlich zwei Videos sein können bei nahezu identischer Aussage.
Vor etwa einem Monat kam ich an dieser Stelle nicht umhin Meghan Trainors All About That Bass abzufeiern. Und immer noch feiert alle Welt diesen Song als Non-plus-ultra. Fast gleichzeitig erschien die aktuelle Single von Taylor Swift. Shake It Off der Titel und auch hier geht es wie bei Meghan Trainor um Selbstbehauptung und die Vergewisserung, dass es erstmal das eigene Gefühl ist was zählt.
Also verpisst euch alle, die Ihr möglichst Normcore sein wollt, bloß nicht auffallen, bloß nirgendwo anecken und all den Quatsch gesellschaftlicher Konventionen und Normen mitmachen. – Shake It Off!
Dass Taylor Swift hier nicht "Fuck Off" ruft, lässt schon ahnen, dass auch bei ihr nicht alles so heiß gegessen wird, wie es aufgenommen oder geschrieben wurde. Und da sind wir dann auch schon beim Video: Das ist so ziemlich das komplette Gegenteil von dem, was sie da singt. Ballettszenen, Modern Dance, Hip Hop, Bounce, Breakdance ... alles wunderschön und superglatt inszeniert. Und kein bisschen außerhalb des derzeitigen Normcore-Mainstreams.
Wenn es nicht dieses überdeutliche Video von Meghan Trainor gäbe, dann würde ich Taylor Swift wahrscheinlich ein super gelungenes Stückchen Film bescheinigen. Die ganze schöne Superwelt braucht sie natürlich um sich als außerhalb der Masse zu inszenieren. Aber wie langweilig macht sie das! Grad mal, dass sie die Choreographien nicht mithalten kann. Ansonsten ist sie genauso schlank und gutaussehend, glattgestylt und hübsch, wie all das Personal um sie rum. Da ist fast gar nichts individuell. Klar muss sie da dauernd behaupten wie einmalig sie ist.
Shake It Off!
Gerade mal ganz am Ende ihres Videos schafft es die Sängerin, ein paar normale Menschen ins Bild zu holen. Aber auch da halten sich die dickeren und etwas weniger wohlgeformten, die Outsider und die Freaks arg arg zurück. Das ist alles noch ordentlich durchschnittlicher US-amerikanischer Mittelstand. Schade!
Und auch wenn Taylor Swift mit dieser Hymne auf das Selbst und das Nicht-Ganz-Normale so ziemlich ihren größten Hit einfährt, gegen Meghan Trainor hat sie in Sachen Videoinszenierung deutlich verloren. Wer hätte das gedacht.
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