Hmm – es musste ja so kommen. Egal, was der Schwede Tim Bergling aka AVICII auch auskoppelt, das Ding wird ein Hit. Ok – das ist ein klein wenig übertrieben. Die letztjährigen Singles Lay Me Down und auch The Nights blieben vergleichsweise unterbelichtet, schafften es nicht mal in die Top 10 der Single-Charts. Das ist für einen Superstar wie AVICII schon sehr ungewöhnlich. Mit Waiting For Love ist nun alles wieder in Ordnung.
Allerdings fährt AVICII mit dem Song auch schon ordentlich schweres Geschütz auf. Zunächst mal die Besetzung. Als Co-Producer fungiert hier Martin Garrix, der zwar nicht explizit genannt wird, aber im Vorfeld der Veröffentlichung durch diverse Posts und Tweets schon ordentlich besprochen wurde. Als Stimme sollte zunächst John Legend gewonnen werden. Der ist ja durch seinen Dauerbrenner All Of Me schon so etwas wie eine Legende. Dann entschied man sich aber doch für Simon Aldred, seines Zeichens Leadsänger von Cherry Ghost. Nicht unbedingt die große Berühmtheit, aber allein der Fakt, dass er nunmehr für John Legend "einspringt" adelt den Sänger ein wenig.
All das machte also schon ordentlich Wirbel und stellte zunächst mal ein Grundinteresse für Waiting For Love her. Ich behaupte mal, der Grund für den großen Erfolg war das alles aber noch nicht. Zumal ich weder das Besondere an der Garrix-Produktion raushöre, noch dass ich den Gesang jetzt so charismatisch einmalig empfinde... Aber da lasse ich mich gern von echten Musikwissenschaftler*innen eines besseren belehren.
Im Zeitalter von Social Media und virtueller Vermarktung zählen noch andere Faktoren. In diesem Fall waren es neben all den Meldungen drei nicht ganz unaufwändig produzierte Musikvideos.
Das erste, welches zeitgleich mit dem Song erschien, war das Lyric Video. Anders als sonst üblich, machten sich die Produzenten hier wirklich die Mühe, neben dem Songtext eine animierte Geschichte zu erzählen. Oder eigentlich ist es sogar genau umgekehrt, die Texteinbldendungen sind Nebensache, dem Trickfilm gilt das Hauptinteresse. Bei dem handelt es sich dann obendrein noch um eine anrührende Mansch-Tier-Geschichte mit kinotauglichem Kriegshintergrund. Das drückt nicht nur ordentlich auf den Gefühlsknopf (süßer Hund) sondern transportiert gleich noch ein märchenhaftes Wertegerüst mit (lebenslange Treue und Freundschaft - eigentlich bis in den Tod).
Das Realvideo wiederholt das Ganze als Geschichte zwischen einem alten Paar. Sie verschwindet eines Nachts plötzlich und unerwartet, so dass er sich auf die Suche nach seiner Liebe macht. Allerlei Hindernisse überwindet er und findet am Ende zu ihr zurück – die große, lebenslange Liebe hat sich bewiesen, hat überlebt.
Dieses Video hat im Gegensatz zur niedlichen Tiergeschichte ein paar Brechungen aufzuweisen. Geschichten von alten Menschen der Jugend zu zeigen, ist ja immer auch ein bisschen schwierig und hat lustige Ecken. Der Ausflug des Alten im Elektro-Rollator entbehrt also nicht einer gewissen Komik, die letztendlich den Alten doch zum Objekt macht, auf dessen Kosten die Jungen ihren Spaß haben.
Dass während der gesamten Suche vor allem alte Menschen den Weg des Alten kreuzen, ob nun KFZ-Reparateure oder Motorrad-Rocker, spielt eigentlich ganz schön mit dem Thema demographischer Wandel. So könnte es bald aussehen im überalterten Europa. Am Ende tauchen aber die Youngsters auf und feiern mit dem Seniorenpaar die Liebe. Party, Zweisamkeit, Glück und Jugend gehören zusammen – alt sein ist da schon eher problembehaftet. Hmmm ... Im Video geht das gerade nochmal gut. Immerhin darf auch die alte Frau ihren Liebsten noch mit wilden und verführerischen Tänzen und Beinbewegungen bezirzen.
Mit diesen beiden Kurzfilmen war es den Marketing-Strategen noch lange nicht genug. Innerhalb kürzester Zeit erschien auch ein 360°-Video zu dem Song. Und das war dann der große Clou für den Song. Eine raffiniert eingefädelte Kooperation zwischen Mediengiganten, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Zum einen natürlich großartige Werbung für den Song – erstes interaktive Video ever! Das spielt in der Liga von Happy. Und dann auch eine super Promotion-Kampagne für den google-eigenen Webbrowser. Denn ohne Chrome-Browser ist da nix mit 360° und interaktiv.
Für Kiddies sind diese Vermischungen und Verquickungen von Vormachtstellungen und Verkaufsbewerbungen nicht so einfach zu durchschauen – oder wahrscheinlich schon Normalität geworden. Für etwas ältere und vielleicht auch ein wenig medienkritische Menschen ist das dagegen ein absolutes Unding. Resignierend kann ich hier feststellen: Die zweite Gruppe wird es schon sehr bald nicht mehr geben.
Waiting For Love macht uns also sehr schön vor, wie die Zukunft aussieht. Alte und durchaus auch konservative Werte ins 21. Medienjahrhundert transportiert und popkulturell aufgeladen. Du sollst dein google lieben wie dich selbst. Ohne diesen Service ist dein Leben traurig und einsam. Wer wird dich trösten? Wer verbindet dich mit der Welt? Wer macht dein fröhliches Leben überhaupt erst möglich? Ein Leben ohne google – unvorstellbar. Schlimmer noch: Gar nicht mehr machbar.
AVICII hat das offenbar erkannt.
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