Samstag, 21. November 2015

Justin Bieber: Love Yourself



Ehm – schon wieder Justin Bieber? Was gibt es da noch zu berichten?

Na zum Beispiel, dass dieser junge Kerl nun offenbar auch in Deutschland nicht nur die pubertierenden Mädchen erreicht, sondern eine ganze Reihe anderer Menschen auch. Sein viertes Album Purpose ist gerade erschienen, erreicht aus dem Stand Platz 3 der Albumcharts – das ist noch nicht weiter sensationell – aber was sich in den Single-Charts tut, das lässt mich dann doch staunen. Acht Titel des Albums schaffen es in die Liste, drei davon in die Top 10. Mit dabei ganz neu und frisch Love Yourself, ein sparsam instrumentierter Abgesang auf eine Liebe, die sich als Einbahnstraße herausgestellt hat. Beziehungsvampirismus oder auch egoistisches Verhalten war da an der Tagesordnung.
Damit kommt Love Yourself ganz anders daher als die Vorgänger. Justin Bieber traut sich hier, nur auf seine Stimme zu setzen – und wird dafür belohnt und geliebt.

Ein bisschen könnte man das den Adele-Effekt nennen. Vertraue deinen Emotionen, produziere nicht zu viel drumherum. Die Menschen suchen in diesen Zeiten der Unsicherheit nach unverfälschten Aussagen, nach Ehrlichkeit und Authentizität.

Dass ausgerechnet Justin Bieber damit kommt – das ist tatsächlich ungewöhnlich. Der Teenie-Star, der alles Mögliche mitmachte, mitmachen musste, an dem eigentlich gar nichts mehr echt zu sein schien. Und jetzt also ganz unverfälscht und zurückgenommen.

Da klingen plötzlich auch die beiden Vorab-Auskopplungen nochmal ganz anders: What Do You Mean?, Sorry ... das sind genaugenommen schon richtig problembeladene Songs. Unverständnis, Kommunikationsschwierigkeiten und Entschuldigungen statt lustiges Leben, Trallalla und jede Menge Party. Die Generation Y (oder wie sie auch immer jetzt tituliert wird) hat also auch anderes im Kopf. Und vor allem ein Bewusstsein für Gefühle und Mitmenschliches.

Ist Justin Bieber doch mehr als ein hochgezüchtetes Kunstprodukt? Womöglich sogar ein Mensch?

Bei Love Yourself könnte eine ganze Menge an persönlicher Abrechnung drin stecken. Was wurde der kleine Justin nicht schon ausgenutzt und übers Ohr gehauen. Da ging es wahrscheinlich in den wenigsten Fällen um die Bedürfnisse des Sängers selbst. Und nun sagt er also: Fuck You!

Dass er das ohne großes Getöse und Wutausbruch macht, das lässt eine gute Portion Berechnung vermuten. Er schmeißt nicht einfach hin und trotzt sich durch eine rapide abstürzende Karriere wie so mancher deutsche Superstar. Er bleibt schön kuschelig und konsumierbar. Wenn man schonmal Idol ist, warum dann nicht den Ruhm auch auskosten?
Deshalb gibt es bei aller neuen und unerwarteten Ernsthaftigkeit, die auf dem Album Purpose zelebriert wird, eben kein Aussteigertum und Hippieness. Es gibt eine gewohnt bis ins Detail durchgestylte Inszenierung. Und der Song auf die neue Unabhängigkeit wird mit einem Video im Stile modernen Tanztheaters versehen.



Wo SIA in ihren Video-Choreographien die kaputte Gefühlswelt in brutal-verstörerische Bewegungen übersetzen lässt, da geht es bei Justin Bieder doch um einiges geschmeidiger zu. Da muss man schon in den Details lesen, um Missvertsändnisse und Streit sofort zu erkennen. Das könnte alles auch unbedarfte Neckerei sein, sieht ein bisschen nach Spaß aus und ungefährlich – nervt aber offenbar trotzdem genug, um einen Strich zu ziehen. Auch Verletzungen aus Unachtsamkeit schmerzen.

Auch ohne all diese aufgesetzte Interpretation ist Love Yourself das erwachsenste Stück, das Justin Bieber bislang aufgenommen hat. Nicht umsonst klingt es insgesamt auch ein bisschen so, als hätte hier Ed Sheeran das Mikro in die Hand genommen.

Und damit bin ich dann nochmal bei dem neuerlichen Erfolg, der verglichen mit dem Teenie-Hype der vergangenen Jahre wesentlich beständiger und umgreifender ist. Es sind eben nicht mehr nur die 14-jährigen, kreischenden Mädchen, die Justin Bieber hören. Es sind auch die, die vor fünf Jahren noch Teenies waren, nun aber fast schon mitten im Leben stehen. Und es sind vermutlich auch einige dabei, die bislang noch gar nicht viel mit dem Typen zu tun hatten und eigentlich auch nur so halb bei dem ganzen Tagespoptheater durchblicken. Tagesschlagermitläufer. – Das ist die Kategorie, in der Justin Bieber ab sofort einzuordnen ist. Ein bisschen Teenie-Star, aber schon ein ganzes Stück Mainstream-Pop-Artist. Im besten Sinne.
Das daraus noch eine ganze Menge mehr werden kann, das demonstrieren solche Beispiele wie Justin Timberlake und Robbie Williams. Mal schauen ob ich in 10 Jahren immer noch über Herrn Bieber schreibe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen