Freitag, 25. März 2016
Mike Posner: I Took A Pill In Ibiza SeeB Remix
I Took A Pill In Ibiza ist das neue I See Fire. So könnte man die Geschichte um den Song von Mike Posner kurz beschreiben. Denn der Weg zum Erfolg ist in beiden Fällen recht ähnlich.
Mike Posner veröffentlicht I Took A Pill In Ibiza im April 2015 – kaum jemand nimmt davon Notiz. Auch die Veröffentlichung auf der EP The Truth gut zwei Monate später bleibt ohne große Auswirkungen. Und dann kommt das Norwegische DJ-Duo SeeB, legt einen Tropic-Deep-House-Remix vor und der Song ist in aller Ohren, übertrifft sogar den Erfolg aller bisherigen Mike-Posner-Veröffentlichungen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Diskussion (vor allem auf den hintergrund-Seiten von wikipedia): DJ-Remixe haben keinen Einfluss auf den Erfolg einer Single / Remixe sind keine eigenen Werke / DJs haben keine Relevanz ... Das war schon vor drei Jahren völliger Unsinn, die Diskussion gegen die Hardliner war trotzdem schwierig. Hiermit dürfte einmal mehr ein Beleg dafür erbracht sein: Sehr wohl hat die Produktion oder der Remix etwas mit dem Erfolg eines Songs/Tracks zu tun.
Angesichts der massiv grassierenden, erfolgreichen DeepHouse- und TropicHouse-Hits nach fast identischem Muster bin ich sogar geneigt zu behaupten: Momentan hat eher der Song kaum Relevanz. Nimm irgendein beliebiges Singer-Songwriter-Lied, egal welcher Qualität (zum Beispiel Die immer lacht), packe einen flauschigen Beat drüber, vielleicht noch ein paar Marimbas, Glöckchen, Panflöten oder wahlweise auch Gitarrenversatzstücke – und fertig ist der Hit.
Ob diese Art der Wiederverwertung nun besonders kreativ oder qualitätsvoll ist, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Im Fall von I Took A Pill In Ibiza mag ich den Remix eher. Das Original, fast nur mit akustischer Gitarre begleitet und sehr sehr elegisch erzählt, ist mir da irgendwie zu bereuend-depressiv: Ein Mann, der das Gefühl hat, seinen Zenit bereits überschritten zu haben, der sich nicht mehr zutraut irgendwas auf die Reihe zu kriegen, der auch ein bisschen dem Erfolg die Schuld für diesen miesen Zustand gibt.
Es stecken viele, kleine Eingeständnisse in dem Text. Nur um AVICII zu imponieren, schmeißt sich Mike Posner Chemie ein, nur um zu beweisen, dass er es noch drauf hat, fährt er einen schnittigen Schlitten. Und gleichzeitig immer die Angst und das Wissen um die Möglichkeit, mitten in der Show zusammenzubrechen, den Text zu vergessen, nicht mehr zu überzeugen. Mike Posner, gewohnt autobiographisch und authentisch, hat offenbar eine Menge Probleme und Ängste.
Das kann ich durchaus alles verstehen. Dabei hab ich mich vielleicht sogar schonmal selbst erwischt. Und das ist alles ganz schön vertrackt, riskant, idiotisch, kompliziert. So wie das Leben eben ist. Und das ist irgendwie auch das Schöne und Lebenswerte dran: "Fuck it, it was something to do." – Auch Mike Posner weiß das und lässt uns das wissen.
Aber nach diesem kurzen Aufbäumen des Lebenswillens in der ersten Strophe folgt dann doch die Reue: Das alles willst du gar nicht, so erfolgreich und berühmt sein, so drauf sein – denn der Absturz und die Einsamkeit danach sind unerträglich. Hmmm – das ist jetzt ganz schön viel an Einsicht und Zeigefinger. Will da jemand tatsächlich die Welt retten? Vor Erfahrungen? Vor eigenen Entscheidungen?
Und was ist das denn für ein Leben, in dem immer alles, was irgendwie nicht ganz so angenehme Folgen haben könnte, fleißig umschifft und vermieden wird?
Wie gesagt: es geht nicht darum, es stets darauf anzulegen, sein Leben komplett zerstören. Aber ein bisschen Spaß, Naivität, Lust auf Nervenkitzel und Neugierde darf schon sein. Der Kater danach ist ok, wenn der Rausch zuvor mir etwas gegeben hat, wofür es sich lohnt zu leiden. Der ätzende erste Arbeits- oder Schultag hält uns ja auch nicht davon ab, trotzdem wieder eine super Urlaubsreise zu planen.
Irgendwie hat Mike Posner ganz schön viel schlechte Erfahrungen gemacht, dass er meint, es lohne sich nicht auch mal was zu riskieren. Oder ist das nur die Verzweiflung darüber, dass die Schönheiten eben nur als solche erkennbar sind, weil sie im Kontrast zu dem Hässlichen stehen? Weltschmerz über das Leben als solches?
Das transportiert sich für mich in der originalen Akustik-Version von I Took A Pill In Ibiza. Und deshalb bin ich froh, dass zwei Jungs das Ganze nehmen und umdrehen in einen Track, mit dem das Hochgefühl und der Rausch wenigstens ein bisschen gefeiert wird. Ok, ich mache mich hier grad zum Affen, und morgen werde ich echt scheiße aussehen - aber so what: It was something to do!
Am Ende bleibt aber auch beim SeeB-Remix ein schales Gefühl zurück. War das jetzt wirklich ein Ausflug ins Leben oder nur Cluburlaub? Urlaub in Marokko muss nicht heißen, dass ich das Land oder die Leute wirklich getroffen habe. In den abgeschirmten Hotelburgen lässt sich die Sonne und das Klima genießen, die Landschaft ist auch da, aber vor lauter Sicherheitsvorkehrungen haben wir gar nicht gemerkt, dass das hier nicht Europa ist.
Könnte gut sein, dass TropicHouse uns eben nur vormacht, richtig gute Musik zu sein. Eigentlich ist es nur eine gut im Zaum gehaltene Party-Attrappe mit ganz vielen Sicherheitsseilen und Netzen.
Freitag, 18. März 2016
SIA Feat Sean Paul: Cheap Thrills
Dancehall scheint der Sound des Moments zu sein. Nachdem OMI im letzten Jahr nochmal mit seinen Reggae-House-Hits ein wenig auf die Wurzeln verwies und Major Lazer die elektroaffine Version endgültig zum Mainstream-Erfolg brachten, nehmen nun also auch die großen Stars den Sound auf. Ob nun in minimal-reduzierter Version wie es Rihanna mit Work gerade tut oder auch mehr am Original-Jamaica-Sound orientiert wie es SIA mit Cheap Thrills zelebriert.
Interessant an dem letztgenannten Song ist vor allem, dass er mit Greg Kurstin von einem weißen Produzenten gechrieben und produziert wurde, der zwar eine Menge über infektiöse Beats weiß, aber Reggae-Dancehall-Moombathon jetzt nicht unbedingt mit seiner Muttermilch aufgesogen hat. Hier entsteht also eine hübsche Pop-Version von dem, was wir sonst so als Karibik-Sound kennen. Und es fällt durchaus auch auf, dass das Tempo im Album-Original ein klein wenig gezügelter ist als gewohnt. Nicht verkehrt.
Für die Single hat man dann erstmal darauf verzichtet, weiter am Sound herumzuschrauben, und hat stattdessen Mr. Sean Paul ins Studio gebeten und ihn ein paar Toasts beisteuern lassen. Damit wandert der Song dann wieder ein bisschen mehr dorthin zurück, wo er zu Hause ist. Ins Fach der tropisch-exotischen Beats und Styles.
Vielleicht wurde diese Besetzung nicht nur mit Blick auf den musikalischen Stil gewählt. Den Cheap Thrills distanziert sich auch textlich von den üblichen DanceHall-Tracks. Hier singt eine junge Frau, dass sie für ein bisschen Spaß nicht unbedingt viele Dollarscheine braucht – ein bisschen hübsch machen und ein guter Beat. Fertig!
Es fehlt völlig der Verweis auf mögliche männliche Partner. Und Blingbling ist so etwas von gestern. Ich würde Cheap Thrills also mal eine explizit weibliche Sicht auf das Thema Party nennen. Da können die zumeist männlichen Stars erstmal einpacken. Jungs und ihre Muskelspiele gehören offenbar nicht so grundsätzlich zu einer Nacht voller Spaß. Wer mitspielen will, muss erst mal ein paar Rollenklischees und Balzrituale ablegen und eher dem nachspüren, was die Musik so mit einem macht ...
Diese sehr fortschrittliche Version von DanceHall wird unterlegt mit einem Video, das in den 60ern spielt. Also noch einmal der Verzicht auf alles, was so gemeinhin als Nonplusultra gilt. Ein bisschen ungewöhnlich ist die Wahl dieses visuellen Settings tatsächlich, macht aber nach ein paar Takten schon ordentlich Spaß, denn hier wird eine spießige und biedere Gesellschaft dann doch ganz gut aufgemischt. Am Ende zappeln auch die sonst in Konventionen gefangenen Showmaster hübsch ungelenk mit.
Nimmt man Cheap Thrills als erfolgreichen Popsong mal zum Gradmesser des Zustands unserer Gesellschaft, dann könnte man eigentlich sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Multikulti-Rhythmen und der Verzicht auf noch mehr Wachstum und Luxus. Einfach mal ein bisschen auf sich selbst hören und dann gemeinsam auf die Party gehen.
Jungs und Mädels – nehmt diesen Hit ernst und lasst euch nichts Anderes erzählen oder irgendwie Angst machen! Auch nicht von einem hässlichen Cover.
Freitag, 11. März 2016
RIHANNA Feat. DRAKE: WORK
Kennen Sie Rihanna? Dann vergessen Sie alles, was Sie über diese Frau wissen. Denn mit ihrem jüngsten Album Anti hat sich diese Sängerin nach mehr als 10-jähriger Karriere komplett neu erfunden.
Alles begann zum Ende 2015 als die Digitalkampagne für Anti startete. Ein Video, das rätselhaft und kryptisch daher kam, zerlegt in acht Schnipsel, Räume genannt und scheibchenweise in die Welt geworfen. Wir sehen Rihanna, die Prinzessin, so wie wir sie durchaus kennen. Sie geht durch Räume, die David Lynch nicht gruseliger hätte inszenieren können. Wir sehen sie in technoiden Umgebungen, bewacht und umringt von Gestalten eines dunklen Untergrunds oder strengen Gehilfinnen des Grauens. Und schließlich sehen wir Rihanna als Königin der eiskalten Zukunft.
Diese visuelle Serie trug zwar den Album-Titel Anti schon im Namen, aber Rihanna ist mittlerweile sehr viel mehr als nur ein Star der Popmusik. Sie steht derzeit auch für die futuristische Seite von PUMA und inspiriert Samsung. Und kürzlich ließ sie verkünden, dass sie eine Jeanswear-Schuh-Collection mit Manolo Blahnik entwickelt.
Wer so erfolgreich und vernetzt ist, muss sich nicht mehr besonders nach dem richten, was besonders angesagt ist oder massenrelevant scheint. Trotzdem liefert Rihanna mit ihrer neuen visuellen Inszenierung eine dicke Überraschung: Sie verzichtet darauf, sich als sexy zu darzustellen. Sie tritt auf, perfekt gestylt, absolut künstlich, irgendwie auch reizvoll, magisch, aber sie bleibt kühl, unnahbar, ein Wesen von einem anderen Stern.
Mit diesem neuen Image wirft sie ANTI auf den Markt – und verliert an Zuspruch. In den USA reicht es zwar noch für Platz 1, in Deutschland ist wieder nur Platz 3 drin und in Großbritannien gar nur Platz 7. Das ist schon fast desaströs.
Die neue Rihanna muss sich ihr Publikum erst wieder erobern. Überzeugend ist, dass sie sich dafür nicht besonders krumm macht. 10 Jahre smart im Mainstream herumgeschippert – das hat ihr genug Stolz mitgegeben, dass sie jetzt einfach mal das macht, was SIE für die Zukunft hält. Und das ist auch musikalisch keine lauschige Kost mehr.
Work die Lead-Single kommt daher als eine minimale und knochentrockene Rhythmus-Nummer, die vor allem auf die Stimmen von Rihanna und Rapper Drake setzt. Die muss man also entweder total mögen – was jetzt im Sinne von klassischem Wohlklang nicht ganz so leicht fällt – oder man lässt sich vom Text einfangen. Der ist allerdings mindestens genauso spröde und unverständlich.
In kryptischen Fetzen wird da etwas beschrieben, was eine Beziehung sein könnte. Man weiß aber nicht genau, ist es eine emotionale oder dann doch eher eine materielle...
So gibt uns also Rihanna eine ganze Menge Rätsel auf mit ihrer neuen, verschrobenen Art. Und das finde ich sehr faszinierend. Ganz überschwenglich, nennt es Taj Rani vom billboard Magazin eine politische Haltung, die mit Stolz etwas zeigt, dass nicht dem konservativen Mainstream der USA entspricht – und trotzdem eine Menge Menschen erreicht.
Nach all diesen überraschenden neuen Seiten von Rihanna wirken die beiden Videos zu Work fast schon enttäuschend. Director X filmt einen Dancehall-Club, der nur ganz selten cool ist und vor allem auf Bootyshakin' und Genitalanmache setzt. Und bei Tim Erem wird zwar nochmal sehr schön das Farbkonzept aus DRAKEs Hotline Bling zitiert, aber das war's dann auch schon. Drake und Rihanna spielen auch hier nur das Paar, das sich umkreist, umzingelt, beargwöhnt – bekannte Szenen der westlichen Kultur.
Aber vielleicht wär' das jetzt wirklich zu viel verlangt, auch noch das Business der Musikvideos völlig umzukrempeln zu wollen.
Freitag, 4. März 2016
twentyøne piløts: Stressed Out
Das wird schwer: über einen Song schreiben, den ich wirklich mag. Vom ersten Augenblick an. Versuchen wir es. Was find ich gut an den twentyøne piløts und ihrem Stressed Out?
Da kommt dieses Liedchen daher – scheinbar ganz unschuldig, eingängig, irgendwie auch fröhlich. Und dann immer wieder dieser Refrain "We're stressed out" – Wir sind völlig durch, gestresst, drüber!
Kenn' ich doch dieses Gefühl. Mal wieder zu lange gearbeitet. Im Büro, in der Schule, in der Freizeit, mit Freunden, im Verein, mit der Familie. Da will ich nur zurück an einen Ort, der mir Geborgenheit, Sicherheit gibt, an dem ich am wichtigsten bin und alles sich darum bemüht, mir das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Nicht immerzu auf etwas reagieren müssen, einfach nur da sein.
Geht aber nicht, da kommt schon wieder der Ruf: Raus mit dir! Geld Verdienen! – Und weiter geht es im Hamsterrad.
Irgendwann kann man nur noch lachen drüber und völlig durchdrehen. Oder aussteigen und das Hamsterrad Hamsterrad sein lassen. Einfach alberne Dinge machen und sich so benehmen, dass alle Welt sagt: Die spinnen.
So ungefähr wie es die twentyøne piløts in ihrem Video vorschlagen.
Ich nenne das mal Punk-Haltung, auch wenn die beiden Jungs sich vielleicht anders sehen: Auf hesellschaftliche Konventionen scheißen, Spaß haben und dabei trotzdem genau wissen, worum es geht. Den scheinbaren Scheiß also sehr ernst nehmen. Das ist nicht einfach Kindergartenkram sondern Gesellschaftskritik.
Auch wenn die twentyøne piløts sich vielleicht über all die gestressten Individuen lustig machen – sie haben auch eine Ahnung davon, woher dieses Hinterherhecheln nach allem Möglichen kommt. Ihr Business ist davor ja wirklich nicht gefeit. Der Rückzug in die Bemutterung ist keine Lösung.
Deshalb gibt es bei allem Spaß der beiden Jungs eben kein sinnfreies Partygedröhne, dem alles egal ist. Es gibt den konsequenten Versuch, einen eigenen Weg zu gehen. Immer auch mit dem Wissen, dass es ohne die anderen irgendwie auch nicht geht. Dass der Spaß eben ganz schnell zu Ende ist, wenn es drumrum nicht stimmt.
Das verkörpern die twentyøne piløts - für mich.
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