Freitag, 25. November 2016
Rae Sremmurd: Black Beatles
Kürzlich in London: die ganze Stadt ist zugepflastert mit Plakaten, welche das Album Sremmurd II von Rae Sremmurd bewerben. Und ich denke: Yeah – endlich mal ein USamerikanischer Rap-Act, der fegt. Nicht umsonst geht mir Black Beatles seit dem ersten Hören nicht mehr aus dem Kopf – hypnotisch hat es sich reingefressen in mein Gedächtnis. Das liegt auch an dem sehr schön dunklem Background-Loop, der mich sehr sehr an den 80er-Jahre-Hit Sunglasses At Night erinnert. Und auch wenn es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eben kein Sample ist – die Stimmung trifft der Loop genau. Geheimnisvoll cool und magisch vereinnahmend.
Dazu kommt natürlich, dass Rae Sremmurd-Brüder allein schon mit ihrer jugendlichen Frechheit punkten können. Da ist nicht so viel von Stilgrenzen zu spüren – die machen einfach was ihnen gefällt. Ein bisschen schnoddrig, für manchen Rap-Fan eventuell sogar viel zu sehr am Pop. Mir macht genau das Spaß. Der Part von Recke Gucci Mane ist dagegen – nunja, auf alle Fälle nicht besonders überraschend.
Und so sind es auch die Lyrics. Während Swae Lee & Slim Jxmmi bei aller Arroganz immer auch mitteilen, dass es gleich aus sein könnte, dass das Geld eben doch nicht nur auf der Straße liegt, dass auch bei sonst wieviel Fame der Neid und Hass alles andere als angenehm ist – während die Jungs genau das beschreiben, bleibt Gucci Mane eben doch nur im üblichen Alphatier-Gepose. Das ist für einen HipHop-Helden natürlich völlig legitim, aber eben auch genau das, was man erwartet. Laaaangweilig.
Das Video erreicht für meine Begriffe nicht die Höhe des Tracks. Immerhin wird da schön wild allerlei Filmmaterial durcheinander geschnitten: Konzertmitschnitte, Privatparties, Straßenszenen, Spaß wie im Kindergarten, Tourneeeindrücke ... Im Hin und Her der Fetzen entsteht ein bunter Mix, der vor allem Lebensfreude zeigt. Und auch hier wieder – genug Schnoddrigkeit, um eben nicht 1:1 das zu wiederholen, was ich schon 1000 x gesehen habe. Sogar die einstudierten Posen wirken entweder albern gebrochen oder unglaubwürdig.
Rae Sremmurd also schaffen es, mich zu überraschen. Zumindest mit diesem Track. Bleibt vielleicht ein bisschen abzuwarten, was da demnächst noch alles kommt. Auf der anderen Seite: Manchmal reicht ein Song, um unsterblich zu werden.
Freitag, 18. November 2016
Mark Forster: Chöre
Ich steh überhaupt nicht auf deutsches Liedermachergut. Und das meiste was an deutschsprachigem Zeug erscheint finde ich oberpeinlich. Wenn es allerdings von Mark Forster kommt, dann bin ich doch jedesmal wieder völlig überrascht und erfreut: Deutsche Texte müssen nicht dumm sein. Singer-Songwriter können auch moderne Arrangements kreieren. Doch – Mark Forster ist tatsächlich einer der sehr sehr talentierten und einfallsreichen Sänger Deutschlands momentan.
Und kann sich ganz gehörig auch mit den alten Recken des Deutschrockpop messen. Wobei er die allermeisten in Sachen Zeitgeist ohnehin schon längst überholt hat.
Chöre ist sein neuester Hit. Bekannt und beliebt wurde der Song vor allem durch seinen Einsatz in der deutschen Komödie Willkommen bei den Hartmanns. Na gut – da hat er also ordentlich Unterstützung gehabt. War aber eigentlich gar nicht nötig.
Denn Chöre geht anständig nach vorn. Beginnt mit ein paar Piano-Akkorden, die in ihrer Wiederholung absolut groovy daherkommen. Der Gesang setzt ein – und lässt schon deshalb aufhören, weil sich hier erstmal nichts reimt. Das ist Alltagssprache, die aber perfekt auf den Rhythmus passt. Auch das eher eine Seltenheit im deutschsprachigen Liedergeschäft. Mark Forster kriegt das richtig gut hin, authentisch zu bleiben ohne seine Texte wegzunuscheln. Dadurch erhält sein Gesang genau das Stückchen Pep, was seinen Songs den Schwung und Drive gibt. Um so etwas hinzukriegen, ist schon eine Menge Arbeit nötig.
Dass Mark Forster auch sonst nicht faul ist, schon gar nicht im Kopf, belegen seine Geschichten. In Chöre ruft er genau dazu auf: Hör mal auf mit der ewigen Bauchnabelschau und Jammerei – dir geht es gut, du kannst was, mach was draus! Er ruft uns zu: Nehmt euer Leben in die Hand und geht aufeinander zu!
Das Ganze so hübsch verpackt in eine persönliche Ansprache, fast schon Liebesgeschichte. Kann ich mich dem eigentlich noch entziehen?
Schön, dass es doch eine Menge Menschen gibt, die Chöre mögen. Diese Haltung kommt derzeit viel zu selten vor: Positives Denken, mit Energie Probleme angehen, Aktiv bleiben – und sich Feiern. Mark Forster wäre ein cooler Kandidat fürs Bundespräsidentenamt.
Freitag, 11. November 2016
Clean bandit feat. Sean Paul & Anne-Marie: Rockabye
Hmm - was mache ich damit?
Erste Assoziation: Das hier ist die Light-Version von Lean On – der Gesang von Anne-Marie erinnert an Mø, für den Dancehall-Flavour sorgt Sean Paul, nochmal ordentlich in Richtung Pop gedreht, und damit ist dann tatsächlich auch jede weitere Ähnlichkeit zerstört. Der Vergleich lohnt also weiter kaum.
Zweiter Gedanke: Ich finde Clean Bandit immer noch völlig überbewertet. Das hat mit dem Trio selbst gar nicht so viel zu tun – die machen schon eine ganze Menge richtig. Nur, dass eine Reihe von Pop-Experten immer wieder betont, wie innovativ und neu und ach was weiß ich denn diese Band ist ... also, das kann ich nach wie vor nicht nachvollziehen. Für mich sind Clean Bandit eine ganz hübsche Pop-Band, die vielleicht wirklich Musik machen, die sehr viel an Zeitgeist repräsentiert: Keine Angst vor Einflüssen aus anderen Sparten, trotzdem immer schön am Mainstream orientiert, dafür aber genügend Eigenheit und Understatement besitzend, dass es nicht Industrieware vom Produktionsband ist ... und ihre schüchterne bis androgyne Art der Selbstinszenierung ist ebenfalls sehr schön zurückhaltend modern. Wer es weiß, kann es lesen – wer nicht, wird nicht gleich vor den Kopf gestoßen.
Erkenntnis Nummer drei: Rockabye hat einen richtig sozialkritischen Text! Das ist für einen lauschigen Popsong derzeit tatsächlich eher ungewöhnlich. Feierlaune, Emo-Nabelschau oder wildes Egoshootertum, ganz selten auch mal ein eher platter Aufruf zum Weltfrieden – das sind so eher die Inhalte derzeitiger Hits. Clean Bandit haben da den Mut, vom Leben einer Alleinerziehenden zu berichten. Und fallen deshalb trotzdem nicht in eine Weltschmerz-Pose, die weiter nichts kann als Jammern.
Hier herrscht Respekt vor der Kraft, so ein Leben zu meistern. Es werden nicht die schlechten Seiten retuschiert, aber der Wille weiterzumachen und der Stolz darüber sind zu spüren. Anders als bei Donna Summers She Works Hard For The Money aus den 80ern müssen Clean Bandit auch nicht laut auf dieses Leben aufmerksam machen: Schaut mal, wie schwer diese Frau es hat. Hier wird eher eine intime Sicht bezogen: Die der Mutter, die alles daran setzt, ihren Sohn behütet aufwachsen zu lassen. Und die des Sohnes, der vielleicht nicht ganz versteht worin der tägliche Kampf besteht ... und deshalb vielleicht doch auch einen anderen Weg nimmt als gedacht?
Mit dieser Geschichte können mich Clean Bandit, Sean Paul & Anne-Marie tatsächlich überzeugen. Musikalisch ist Rockabye vielleicht nicht so sehr überraschend. Das macht der Inhalt aber allemal wett. Da kann ich sogar mit den etwas voyeuristisch inszenierten Stangentanzszenen im Video umgehen – auch wenn die insgesamt für meine Begriffe ein bisschen zu sehr die Klischeekiste aufmachen. Sei's drum: endlich mal wieder ein engagierter Song – mehr davon!
Freitag, 4. November 2016
James Arthur: Say You Won't Let Go
Und jetzt wird es romantisch. Total. James Arthur ist zurück mit einer neuen Single. Und wie schon vor fast vier Jahren ist es ein sehr emotionaler Song. Anders als bei Impossible ist bei Say You Won't Let Go aber auf so gut wie allen Produktions-Schnickschnack verzichtet worden. Ein Mann mit Gitarre besingt seine Liebe und seine Angst, diese zu verlieren. Es geht – ganz schlagermäßig – um die Ewigkeit, das unzerstörbare Glück, das Paradies, Sicherheit.
Zu diesem Bitten (fast schon ein Gebet) passt die Reduktion aufs Wesentliche perfekt. Das hier ist ganz aufrichtig, ist ganz ganz ehrlich, Gefühle eines Moments ohne jede Verfälschung. Pur. Gerade mal ein paar Claps und ganz zum Ende dann doch ein paar Streicher – aber nur sehr zurückgenommen. Alles andere kommt direkt vom Sänger selbst.
Das kommt gut an. In Zeiten, in denen nicht mehr so richtig klar scheint, wer für was steht, was das Richtige ist und in denen es nur noch völlig kompliziert ist, da sehne ich mich nach Gewissheiten und Werten. Gern auch für Lebenszeit. Mit diesem ständigen Befragen von Dingen, die doch schon Jahrzehnte funktioniert haben, kommen nur die wenigsten zurecht. Da ist die Liebe, die Zweierbeziehung, die Familie ein sehr schöner Fels in der Brandung. Daran möchte ich glauben. Und wenn es nur einen Moment lang ist.
Also sage ich dir jetzt einfach, dass ich dich niemals niemals gehen lassen werde. Dass wir dieses Leben gemeinsam verbringen. Ich werde mich sorgen und kümmern. Immer. Nie werde ich aufhören, dich zu lieben.
Auf der einen Seite ist das unglaublich sympathisch und verführerisch, märchenfaht. Jemand, der aus seinem tiefsten Herzen spricht und ganz unverfälscht seine Gefühle beschreibt. Das ist wirklich ein Moment, der nicht sehr oft vorkommt. Und deshalb so unglaublich zart und liebenswert ist.
Gleichzeitig ist aber diese Äußerung auch etwas, das andere Menschen bedrängt, beeinflusst, einschränkt. "Ich werde dich niemals gehen lassen" bedeutet eben nicht nur Glück und Liebe, sondern auch: Weil ich dich liebe, habe ich ein Recht auf dich. Weil ich dich liebe, bist du jetzt die Person, die meine Träume erfüllt. Also sag schon endlich, dass auch du mich nie loslassen wirst.
Klar kann ich diesen Wunsch verstehen. Wenn ich schonmal so richtig verliebt bin und mir Traumschlösser ausmale, dann ist das ziemlich schwer vorstellbar, dass Du das vielleicht anders empfinden könntest. Dann warte ich also und wünsche mir, dass ich ein Zeichen erhalte, einen Satz, der mir sagt: Ja, genau das will ich auch. Für jetzt und für immer.
Das Problem in diesem Moment ist, dass das "Du" gar nicht richtig zu Wort kommt. Ich wünsche mir etwas und sehne mich danach, die Gefühle des Du sind dagegen reine Interpretation. Oder kommen gleich gar nicht vor.
Und damit wird es kompliziert. Gibt es nach so einem Bitten (dazu noch so herzzerreißend dargeboten) überhaupt noch Möglichkeiten, eigene Wünsche zu platzieren? Kann ich zu so einem Schmachtantrag "Nein" sagen?
Andererseits: Nicht gehen gelassen zu werden, klingt doch auch ein bisschen nach eingesperrt sein. Ist das der Traum meines Lebens? Und will ich selber jemand anderen für ein Leben lang festhalten? Das ist doch schon ganz schön groß und viel vorgenommen für einen Menschen kurz vor 30. Und dann kennt man sich ja offenbar auch noch nicht sooo lange. Drei durchsoffene Parties und vielleicht ein Katerfrühstück, das nicht so verkehrt war...
OK – James Arthur schwelgt im Emotionsrausch. Das sei ihm gegönnt. Auch die Überschwenglichkeit, mit der er seine Gefühle preis gibt ist großartig. Wo gibt es das heutzutage schon noch, dass sich jemand so öffnet, so verletzlich zeigt?
In dem Moment, in dem ich das schreibe fällt mir auf: Doch doch, diese Haltung begegnet mir reichlich oft. Menschen sind enttäuscht, verletzt, in ihrer Ehre gekränkt, weil eine andere Person nicht so reagiert hat, wie sie erwartet haben. Da fühlt sich das Ich plötzlich nicht mehr wahrgenommen, ungeliebt, verstoßen. Und das tut weh.
Könnte es also sein, dass hier doch ein bisschen viel Bauchnabelschau betrieben wird? Ich - ich - ich ... keine besonders günstigen Voraussetzungen für ein Miteinander. Dass es dabei auch um die Gefühle anderer geht, sollte James Arthur eigentlich schon gelernt haben. Der mittlere Skandal Ende 2013/Anfang 2014, der sogar dazu führte, dass ihn seine Plattenfirma Syco fallen ließ, hat viel damit zu tun, dass James Arthur einfach nur seinen Emotionen freien Lauf ließ. Und andere damit eben nicht in Ihren Sichtweisen ernst nahm.
Das alles ist schon einige Zeit her. Und auch Syco hat sich wieder beruhigt und auf einen neuen Vertrag eingelassen. Ironischerweise gibt es aber auch Say You Won't Let Go sofort wieder Ärger. Kaum hat James Arthur nämlich sein zutiefst intimes Geständnis veröffentlicht, da steht schon das Gericht vor der Tür und sagt: Hmm, sehr hübsch diese Aufnahme, aber ist das wirklich deine Melodie?
Es bleibt also schwierig. Der Rückzug in die Romantik, in die einfachen Antworten und Lebensweisheiten funktioniert im realen Leben irgendwie nicht. Pure Aufrichtigkeit gerät schnell zu einer etwas zu intensiven Betrachtung nur der eigenen Gefühle. Die anderen sind plötzlich draußen und fühlen sich mißachtet. Ein Liebeslied lässt sich plötzlich auch als Zumutung empfinden... Klar, dass wir uns wünschen, dass es endlich wieder mal einfach und unkompliziert wird. Wird es nur leider nicht. Da müssten wir alle eine Menge von unserem Ego weglassen. Wer macht den Anfang?
Und deshalb ist James Arthur mit seinem Lied so sehr beliebt und hilft uns trotzdem kein bisschen, mit unserem Leben zurecht zu kommen. "Sag, dass du nicht loslässt" ist jedenfalls kein erfolgversprechendes Mantra.
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