Freitag, 4. November 2016

James Arthur: Say You Won't Let Go



Und jetzt wird es romantisch. Total. James Arthur ist zurück mit einer neuen Single. Und wie schon vor fast vier Jahren ist es ein sehr emotionaler Song. Anders als bei Impossible ist bei Say You Won't Let Go aber auf so gut wie allen Produktions-Schnickschnack verzichtet worden. Ein Mann mit Gitarre besingt seine Liebe und seine Angst, diese zu verlieren. Es geht – ganz schlagermäßig – um die Ewigkeit, das unzerstörbare Glück, das Paradies, Sicherheit.

Zu diesem Bitten (fast schon ein Gebet) passt die Reduktion aufs Wesentliche perfekt. Das hier ist ganz aufrichtig, ist ganz ganz ehrlich, Gefühle eines Moments ohne jede Verfälschung. Pur. Gerade mal ein paar Claps und ganz zum Ende dann doch ein paar Streicher – aber nur sehr zurückgenommen. Alles andere kommt direkt vom Sänger selbst.

Das kommt gut an. In Zeiten, in denen nicht mehr so richtig klar scheint, wer für was steht, was das Richtige ist und in denen es nur noch völlig kompliziert ist, da sehne ich mich nach Gewissheiten und Werten. Gern auch für Lebenszeit. Mit diesem ständigen Befragen von Dingen, die doch schon Jahrzehnte funktioniert haben, kommen nur die wenigsten zurecht. Da ist die Liebe, die Zweierbeziehung, die Familie ein sehr schöner Fels in der Brandung. Daran möchte ich glauben. Und wenn es nur einen Moment lang ist.

Also sage ich dir jetzt einfach, dass ich dich niemals niemals gehen lassen werde. Dass wir dieses Leben gemeinsam verbringen. Ich werde mich sorgen und kümmern. Immer. Nie werde ich aufhören, dich zu lieben.

Auf der einen Seite ist das unglaublich sympathisch und verführerisch, märchenfaht. Jemand, der aus seinem tiefsten Herzen spricht und ganz unverfälscht seine Gefühle beschreibt. Das ist wirklich ein Moment, der nicht sehr oft vorkommt. Und deshalb so unglaublich zart und liebenswert ist.

Gleichzeitig ist aber diese Äußerung auch etwas, das andere Menschen bedrängt, beeinflusst, einschränkt. "Ich werde dich niemals gehen lassen" bedeutet eben nicht nur Glück und Liebe, sondern auch: Weil ich dich liebe, habe ich ein Recht auf dich. Weil ich dich liebe, bist du jetzt die Person, die meine Träume erfüllt. Also sag schon endlich, dass auch du mich nie loslassen wirst.

Klar kann ich diesen Wunsch verstehen. Wenn ich schonmal so richtig verliebt bin und mir Traumschlösser ausmale, dann ist das ziemlich schwer vorstellbar, dass Du das vielleicht anders empfinden könntest. Dann warte ich also und wünsche mir, dass ich ein Zeichen erhalte, einen Satz, der mir sagt: Ja, genau das will ich auch. Für jetzt und für immer.

Das Problem in diesem Moment ist, dass das "Du" gar nicht richtig zu Wort kommt. Ich wünsche mir etwas und sehne mich danach, die Gefühle des Du sind dagegen reine Interpretation. Oder kommen gleich gar nicht vor.

Und damit wird es kompliziert. Gibt es nach so einem Bitten (dazu noch so herzzerreißend dargeboten) überhaupt noch Möglichkeiten, eigene Wünsche zu platzieren? Kann ich zu so einem Schmachtantrag "Nein" sagen?
Andererseits: Nicht gehen gelassen zu werden, klingt doch auch ein bisschen nach eingesperrt sein. Ist das der Traum meines Lebens? Und will ich selber jemand anderen für ein Leben lang festhalten? Das ist doch schon ganz schön groß und viel vorgenommen für einen Menschen kurz vor 30. Und dann kennt man sich ja offenbar auch noch nicht sooo lange. Drei durchsoffene Parties und vielleicht ein Katerfrühstück, das nicht so verkehrt war...

OK – James Arthur schwelgt im Emotionsrausch. Das sei ihm gegönnt. Auch die Überschwenglichkeit, mit der er seine Gefühle preis gibt ist großartig. Wo gibt es das heutzutage schon noch, dass sich jemand so öffnet, so verletzlich zeigt?

In dem Moment, in dem ich das schreibe fällt mir auf: Doch doch, diese Haltung begegnet mir reichlich oft. Menschen sind enttäuscht, verletzt, in ihrer Ehre gekränkt, weil eine andere Person nicht so reagiert hat, wie sie erwartet haben. Da fühlt sich das Ich plötzlich nicht mehr wahrgenommen, ungeliebt, verstoßen. Und das tut weh.

Könnte es also sein, dass hier doch ein bisschen viel Bauchnabelschau betrieben wird? Ich - ich - ich ... keine besonders günstigen Voraussetzungen für ein Miteinander. Dass es dabei auch um die Gefühle anderer geht, sollte James Arthur eigentlich schon gelernt haben. Der mittlere Skandal Ende 2013/Anfang 2014, der sogar dazu führte, dass ihn seine Plattenfirma Syco fallen ließ, hat viel damit zu tun, dass James Arthur einfach nur seinen Emotionen freien Lauf ließ. Und andere damit eben nicht in Ihren Sichtweisen ernst nahm.

Das alles ist schon einige Zeit her. Und auch Syco hat sich wieder beruhigt und auf einen neuen Vertrag eingelassen. Ironischerweise gibt es aber auch Say You Won't Let Go sofort wieder Ärger. Kaum hat James Arthur nämlich sein zutiefst intimes Geständnis veröffentlicht, da steht schon das Gericht vor der Tür und sagt: Hmm, sehr hübsch diese Aufnahme, aber ist das wirklich deine Melodie?

Es bleibt also schwierig. Der Rückzug in die Romantik, in die einfachen Antworten und Lebensweisheiten funktioniert im realen Leben irgendwie nicht. Pure Aufrichtigkeit gerät schnell zu einer etwas zu intensiven Betrachtung nur der eigenen Gefühle. Die anderen sind plötzlich draußen und fühlen sich mißachtet. Ein Liebeslied lässt sich plötzlich auch als Zumutung empfinden... Klar, dass wir uns wünschen, dass es endlich wieder mal einfach und unkompliziert wird. Wird es nur leider nicht. Da müssten wir alle eine Menge von unserem Ego weglassen. Wer macht den Anfang?

Und deshalb ist James Arthur mit seinem Lied so sehr beliebt und hilft uns trotzdem kein bisschen, mit unserem Leben zurecht zu kommen. "Sag, dass du nicht loslässt" ist jedenfalls kein erfolgversprechendes Mantra.

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