2017 war eindeutig das Jahr des deutschen Raps. Nahezu jede Woche ein neues erfolgreiches, deutschsprachiges Album von einem Rap-Act – die etablierten Popstars hatten eher das Nachsehen. In den meisten Fällen hatten sie auch nicht besonders viele Einfälle.
Nur einer konnte wirklich dagegen halten: Ed Sheeran. Und so ist es irgendwie ganz passend, dass zum Jahresende ausgerechnet dieser Ed Sheeran den Nummer 1 liefert und zudem mit einer neuen Zusammenarbeit für Aufregung sorgt. Noch besser: Es handelt sich bei River um einen Gastauftritt zu einem Rap-Song, denn aufgenommen wurde River für das neue EMINEM-Album Revival.
Nun liegt der Erfolg des Einzeltracks vielleicht am Auftritt von Ed Sheeran, das Album verkauft sich indessen aus anderen Gründen so gut. Mich überrascht es ja immer wieder, dass EMINEM tatsächlich noch solche Schlagkraft und damit auch Bedeutung hat. Irgendwie verorte ich ihn nur am Anfang dieses Jahrtausends. Da gaben seine Songs so etwas wie ein Zeitgefühl wider. Er war wütend, rotzig, redete schnell und viel. Nicht alles von dem, was er von sich gab, war cool. Seine Angst vor Homosexuellen zum Beispiel. Im Remix funktionierten seine Tiraden dann trotzdem auch auf dem gut durchmischten und toleranten Dancefloor.
2017 hat EMINEM immer noch eine ganze Menge zu schimpfen. Sein A-Capella-Bash gegen Trump zum Beispiel ist viel beachtet und geteilt. Und nicht minder wütend als 2001. Er geht sogar so weit, unentschlossenen Fans zu sagen: Wer keine Meinung hat, kann sich verpissen! - Klare Worte. Inhaltlich allerdings auch ganz schön konträr zu dem, was er vor fast 20 Jahren von sich gab. Mit einem Male beschäftigt er sich mit den Folgen von Populismus: Die Ärmeren und weniger mit Privilegien Ausgestatteten fallen ziemlich schnell durchs Raster der lauten Schreihälse.
Der Rapper befindet sich also mal wieder auf der Gegenseite des herrschenden Establishments. Nur, dass sein Publikum mittlerweile diejenigen sind, gegen die er vor 20 Jahren noch geschimpft hat. Plötzlich steht EMINEM als ein Geläuterter auf der Seite der Guten. Sein Protest hat jetzt auch irgendwie was von Gutmenschentum. Gegen solch eine Einordnung hätte er sich als junger Rapper vehement gewehrt, Gift und Galle oder Schlimmeres gespuckt.
Und diese Situation ist es, die mich eher verwundert auf den Künstler gucken lassen. Das war schon 2010 bei seinem Riesenhit mit Rihanna Love The Way You Lie so. Und in den Jahren danach sowieso. Mit dem neuen Album Revival tauchen dann sogar Namen auf wie Beyoncé und eben Ed Sheeran. EMINEM ist 2017 eben auch nichts anderes als ein eher gewöhnlicher Popstar.
Immerhin ist River dann doch nicht der eingängige, inhaltsleere Schmusepopsong. Es geht eher problematisch zu. Es geht um Untreue, Verlust, Verletzungen, Rache - und vor allem um die Unfähigkeit, das alles irgendwie in den Griff zu kriegen oder gar zu ändern. Ed Sheeran – ganz Liedermacherpoet – schafft es zu dem Bekenntnis "I'm a liar I'm a thief, all my sins need holy water". Und danach ist Schluss. Ich bin halt so, sorry, musst du halt mit leben.
EMINEM setzt dann noch einen drauf: Familienvater, Kinder erziehen, das wird er niemals hinkriegen. Alles was er kann ist Vertrautheit zerstören.
Harte Analyse mit krassem Ergebnis. Vielleicht beschreibt diese Geschichte tatsächlich eine gesellschaftlich relevante Haltung. Das Wissen um Fehlhaftigkeit und Selbstsucht macht einen nicht unbedingt in jedem Fall nur stark. Vor allem nicht, wenn es an das Eingemachte geht, zum Beispiel Verantwortung für das eigene Leben. Lieber wird durchgebrettert ohne Rücksicht auf Verluste. Was kann ich für das Unglück der anderen?
In dieser Radikalität ist River vielleicht wirklich ein ganz gutes Zeitdokument. Und dass sich EMINEM und Ed Sheeran in dieser Art mit dem Leben umzugehen treffen, ist dann doch wieder nicht so überraschend. Ein bisschen schade ist, dass diese Art Selbstsucht sehr wahrscheinlich nicht dabei helfen wird, mit Populisten à la Trump umzugehen. Da braucht es dann doch etwas mehr Arsch in der Hose und Selbstbeherrschung. Und auch Ausdauer, denn ich vermute mal ganz schwer, dass es mit dem einfachen Ausschluss "Alle die den Typen gut finden sind doof." nicht getan ist. Wir befinden uns nach wie vor in der schockhaften Erstarrung, dass solch eine Radikalisierung auf allen möglichen Ebenen überhaupt passieren konnte.
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