Freitag, 3. Januar 2020

The Weeknd: Blinding Lights



The Weeknd gehört für mich zu den wenigen Ausnahmeerscheinungen im Pop-Geschäft. In den allermeisten Fällen sind seine Songs eine spannende Mixtur aus allerlei Zutaten mit gefälligem Pop-Appeal. Deshalb habe ich mich auch gefreut als ich Blinding Lights als stetig wachsenden Hit in den Charts entdeckte. Und gleichzeitig frage ich mich: Warum muss es dieser Song sein? Die vielleicht peinlichste Produktion seiner Karriere?

Wenn Blinding Lights einsetzt fühle ich mich zurückversetzt in die 1980er. Das könnte gut und gerne a-ha sein - eine Sensation zu seiner Zeit. 30 Jahre danach ist das eher peinlich. Peinlich weil zu Tode gedudelt. Peinlich, dass sich irgendjemand wirklich traut so olle Kamellen als neu zu verkaufen.



Die Verwunderung über den anbiedernden Retrosound wurde bei mir kleiner, als ich das Produzenten-Team las. Max Martin steht da unter anderem in den Credits. Der hatte seine ganz großen - sprich innovativen - Zeiten vor gut 10-20 Jahren als er erst Britney Spears und dann Katy Perry erfolgreich machte. Und auch danach bewies er ziemlich oft zumindest ein gutes Gespür für den angesagten Sound. Die Innovation nahm dabei mehr und mehr ab. In letzter Zeit fiel er mir vor allem durch genau das auf, was er auch mit Blinding Lights abliefert: sehr durchschnittliche Massenware ohne großen Wiedererkennungswert. Das finde ich wirklich schade. Noch mehr, da es nun sogar einen meiner Lieblingsartists ziemlich blass macht. Und ihm den größten Erfolg seiner Karriere in Deutschland verschafft.

Was fasziniert die Menschen so sehr an diesem Sound? Wünschen sie sich zurück in die 1980er? Als Margaret Thatcher begann, den Neoliberalismus durchzusetzen, der uns heute in jedem Lebensbereich fies entgegen grinst und eine Menge unserer heutigen Probleme mitverursacht hat? Wünschen wir uns die Zeit zurück, in dem flächendeckendes Waldsterben durch sauren Regen vor allem der jüngeren Generation Angst einjagte? Oder ist es die Sehnsucht nach der Naivität mit der Synthie-Pop zur Massenware entwickelt wurde - vielleicht in der Hoffnung, damit die Welt doch ein bisschen zu verändern ... endlich keine Gitarren mehr ...

Vielleicht ist es auch eine Art Trotz: So viel kann sich gar nicht verändert haben in 35 Jahren auf dieser Erde! Damals schien die Welt bereits eiskalt, geldgetrieben und verloren - untergegangen ist sie trotzdem nicht. Das könnte man hoffnungsvoll lesen. Es gibt eine Möglichkeit, mit übermenschlich scheinenden Problemen fertig zu werden. Den sauren Regen haben wir besiegt.
Oder ich betrachte es fatalistisch: Ändern kann ich sowieso nichts.
Oder auch superhedonistisch: Davon geht die Welt nicht unter. Lasst uns weiter feiern.
Allerdings würde ich mir dazu einen anderen Soundtrack wünschen. Härter, unerbittlicher, kälter.



Wäre Blinding Lights das einzige Vorab-Zeichen für das vierte Album von The Weeknd, ich hätte etwas Angst davor. Gücklicherweise ist nahezu zeitgleich Heartless erschienen. Der Track ist um ein Vielfaches markanter, mit Brüchen versehen, origineller. In den USA ging Heartless auf die 1, im Vereinigten Königreich holte er sich immerhin noch die Position 10. Und ein bisschen denke ich: Warum ist das deutsche Musik-Publikum eigentlich so bieder? Irgendwas läuft in diesem Land enorm schief. Wenn Menschen sogar Musik mit einer kleinen Ungewöhnlichkeit schon nicht mehr schätzen können und dagegen aber auf sicheres Mittelmaß abfahren. Ist das die bereits sprichwörtliche German Angst?

Ich hoffe sehr, dass The Weeknd in den kommenden Wochen mehr Tracks wie Heartless unter die Menschheit bringt und auf Hits à la Blinding Lights verzichtet.



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