Es ist natürlich das Recht einer jeden neuen Generation, die Musikgeschichte auf eigene Faust zu entdecken, Klassiker auszugraben und neu zu interpretieren. Für diejenigen, die dann schon etwas älter dabei sind, tut das manchmal ziemlich weh … aber haben sie es nicht selbst auch einstmals so getan? Die Zeiten, in denen alles noch komplett neu und einmalig war sind seit Jahrzehnten vorüber. Trotzdem ist es natürlich schwer, sich daran zu gewöhnen, denn es heißt auch, immer wieder alle Gewissheiten über Bord zu werfen und neu nach Maßstäben zu suchen.
Jason Derulo – oder Derülo bzw. Desrouleaux wie er sich gern schreibt – ist ein Star solch einer jungen Generation. Mit Autotune und breitem Ravesound ist er seit etwas mehr als eineinhalb Jahren enorm erforlgreich. Und gern bedient er sich auch mal in der Geschichte. Mit seiner neuesten Single zum Beispiel bei Robin S. und Harry Belafonte – ein Mischung, die selbst zu Hochzeiten des Pop-Geschredders noch ungewöhnlich gewesen wäre. Nun also die Variante 2011.
Es fängt an mit dem Signet-Refrain des Banana Boat Songs, bestens bekannt in der Version von Harry Belafonte aus dem Jahr 1956. Ursprünglich ein traditioneller jamaikanischer Song, wurde das Lied mehrfach aufgenommen ehe es mit der Version von Harry Belafonte ein weltweiter Hit wurde. In Deutschland setzte sich die Version für drei Monate an die Spitze der Verkaufshitparade und wurde in der Jahresauswertung Platz 2 hinter Margot Eskens’ Cindy Oh Cindy.
Während Harry Belafonte in seiner Version noch ziemlich nah an den Ursprüngen des Liedes blieb, nämlich den Bananenpflückern, die sich nach ihrer Nachtschicht auf ein Glas Rum freuen, dreht sich bei Derulo im Jahr 2011 der Inhalt komplett: hier ist es die Party, die nicht enden soll, der anbrechende Tag steht für den Heimweg, die Langeweile, vielleicht auch Einsamkeit – auf alle Fälle nicht für Spaß. Und das ist vielleicht das interessante an der derzeitigen Popmusik: beschworen wird immer wieder die Party, das Clubleben als der Ort der Verheißung und Erfüllung – sehr deutlich also das Öffentliche Leben. In real sieht das mit der öffentlichen Party ja komplett anders aus -– zumindest dürfen sich sowohl Clubbetreiber als auch Partyveranstalter immer höherer Auflagen freuen. Und Party im wirklich öffentlichen Raum – vergiss es!
Natürlich ist Jason Derulos Single alles andere als ein Protestsong – am Ende geht es auch bei ihm heim zur Privatparty. Natürlich mit mehreren willigen Frauen und einer Menge Champagner. Bereits vorher hat er schon klar gemacht „Bitch, I’m A Star“. Es sind die alten Macho-Träume, die Herr Derulo da heraufbeschwört und die von der Generation der 14–21jährigen brav nachgebetet werden. Hier sollte vermutlich die Kritik ansetzen. Allerdings ist massenkompatible Popmusik schon seit längerem alles andere als irgendwie gesellschaftskritisch. Eher biedern sich Sound und Texte ganz mächtig einem desinteressierten Partypublikum an, das nichts weiter will als ungestört konsumieren. Das ist vermutlich sogar völlig nachvollziehbar, leider aber auch ungewollt ganz enorm politisch. Und an dieser Stelle könnte dann vielleicht auch Harry Belafonte ein wenig verstört sein über die naiv-sorglose Wiederentdeckung des Banana Boat Songs.
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