Nun sind sie also offiziell 30 Jahre alt. 30 Jahre – das ist für eine Band schon ordentlich. Und was gäbe es für ein besseres Geschenk als ein neues Album. So haben es sich Die Toten Hosen gedacht. Und so haben sie es getan. Ballast der Republik ist das dreizehnte Studioalbum (wenn man jetzt mal Compilationen sowie spezielle Veröffentlichungen für ander Regionen nicht berücksichtigt), das soeben erscheint. Und natürlich gehört zu einem echten Geburtstag auch ein Ständchen. Im Falle der Hosen ist es Tage wie diese. Und der Titel klingt, als wäre nichts passiert in der Zwischenzeit. Das ist natürlich schön für alle Fans. Auf die Hosen ist halt Verlass. Und irgendwie ist es auch etwas seltsam. Oder lässt mich zumindest überlegen, worin denn die zeitlose Stärke und Kraft von Punkrock besteht.
Bei Tage wie diese ist es ganz sicher die Lust und Freude auf den besonderen Tag, den Rausch, den Spaß. Auch an den Hosen geht der allgemeine Hedonismus nicht spurlos vorbei. Allerdings spielte der bei der Band in der einen oder anderen Version schon immer mal eine Rolle. Dazwischen gab es dann immer auch die kritischen Songs und die voller Wut. Der Rausch ist also einer von verschiedenen Zuständen – sicher ein wichiger, aber kaum der einzige Lebensinhalt. Und diese Haltung macht dann auch Tage wie diese glaubhaft. Und irgendwie auch zum angenehmen Ohrwurm.
Jetzt könnte ich der Single vielleicht attestieren, dass sie etwas arg in Richtung Mainstream gebürstet ist. Die echten Punks finden das wahrscheinlich sogar ziemlich ätzend. Und der unglaubliche Erfolg des Titels ist tatsächlich auch irgendwie ein wenig seltsam. Die Hosen allerdings haben gar nichts anderes gewollt. Das Video zielt sehr direkt auf die Momente, in denen die Masse eine große Rolle spielt. Die Euphorie, die sich daraus speist ein Teil von einer Menge zu sein wird beschworen. Im Text geht es dann auch um Rituale, mit denen besondere Ereignisse begangen werden. Das alles ist auch Teil unserer Gesellschaft. Dass mir bei den Bildern von ganz wild feiernden Fußballfans oder Electro-Jüngern dann vielleicht doch ein bisschen Angst wird ist mit Sicherheit gewollt. Im nächsten Song könnte es dann sehr wohl wieder etwas genauer und kritischer zugehen. Bis dahin feiern wir noch ein wenig.
Immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert bis sich ein neuer Stil so endgültig durchsetzt und welche Starthilfen dazu nötig sind. Nehmen wir mal Dubstep. Wenn man den Legenden glauben darf, dann geistert dieser Stil bereits seit Anfang der 2000er durch die Londoner Clubs. Das braucht natürlich eine gewisse Zeit und Einflüsse aus anderen Richtungen, bis so ein Underground-Sound auch außerhalb der Szene ankommt. Spätestens aber seit 2008/09 dürfte selbst die zurückgebliebenste Liebhaberin moderner Musik mitgekriegt haben, was da in Großbritannien alles geht. Chase & Status, Katy B. und Nero waren die Protagonisten, die Dubstep chartfähig machten und erste kommerzielle Erfolge einfuhren. Mit Grime war auch ganz schnell eine HipHop-Version am Start, die ebenfalls in Britannien ordentlich für Furore sorgte. Enter Shikari mixten das Ganze mit Metal. Nur in Deutschland blieb es still.
Zwar berichtete die Zeitschrift de:bug spätestens seit 2006 intensiv über Dubstep und machte auch bald eine mehr oder weniger aktive deutsche Szene mit eigenen Spielarten aus. Aus der Nische kam der Sound aber nicht raus. Klar, die komplette Jugend zwischen 14 und 26 feierte drauf ab, nur der Mainstream-Musikmarkt übte sich fleißig in Ignoranz. Für Deutschland nichts Ungewöhnliches und ein lange eingeübtes Spiel. Innovation spielt hier seltenst eine Rolle. Dass es nun 2012 (also mindestens 5 Jahre zu spät) ein Titel schafft, in voller Breite durchzustarten, ist so etwas wie ein spätes Wunder.
Schuld an der neuen Lust ist ein Mediengigant wie Microsoft. Der hat sich nämlich kurzerhand einen Track aus dem Jahr 2011 geschnappt um die Kampagne zum neuen Internet Explorer zu untermalen. Und wieder frag ich mich: warum schaffen das nicht andere Firmen vorher schon? Ist es tatsächlich nur dieses Unternehmen, dass Neues unter die Massen bringt? – Irgendwie auch eine traurige Angelegenheit.
Nun wär es ein Einfaches, den Erfolg von Too Close tatsächlich nur auf den Einsatz innerhalb eines Werbespots zu reduzieren. Auch wenn ganz sicher die Kampagne wesentlich dazu beiträgt, dass eine Menge Menschen plötzlich mit Dubstep konfrontiert werden. Allerdings muss wenigstens auch die ziemlich clevere Mischung aus Soulgesang und synthetischem Sound erwähnt werden als die Grundlage für den wirklich durchschlagenden Erfolg im Mainstream. Denn zunächst ist da die Stimme von Alex Clare sehr vordergründig. Und die erinnert doch schon arg an Erfolgsinterpreten wie Plan B oder wenn man mal ganz frech ist auch an Songwriter-Helden wie Milow oder James Morrison. Leidende Männer mit Gitarre also. Dass Alex Clare absolut nicht die Masche fährt.nur auf sich und seine Gitarre zu vertrauen (vielleicht noch als höchstes Zugeständnis ein Klavier), sondern stattdessen in die Kiste zeitgemäßen Sounds greift, das macht ihn zu einem sehr modernen und absolut wegweisenden Interpreten.
Nun hat sich Alex Clare mit Diplo allerdings tatsächlich eine ziemlich sichere Nummer als Produzenten ausgesucht. Spätestens seit 2005 gehört er zu den heißen Tips in der Producerszene. Und er hat schon allerlei verschiedene Kollaborationen ausprobiert und so eine Menge an Einflüßen eingepackt. Die erste breite Aufmerksamkeit erhielt er wahrscheinlich durch seine Tätigkeit mit/für M.I.A., bestens bekannt gemacht durch ihren Titel Paper Planes. Drei, vier Jahre später war es dann das irrwitzige Projekt Major Lazer, mit dem Diplo die mp3-Player dieser Welt beglückte. Schnell, respektlos und schrill – das war die Formel. Schließlich gelang ihm an der Seite von Tiësto und Busta Rhymes sogar ein veritabler Charthit als Mainartist.
Mittlerweile gehören zu den Credits von Diplo auch solche Acts wie Santigold und Skrillex und und und … Der neueste Auftrag kam von niemand Geringerem als USHER und beschert Diplo just dieser Tage einen nächsten Top 5 hit in den britischen Charts. Da ist zwar von seinen Fähigkeiten als Dubstep-Zauberer fast gar nichts mehr zu hören, aber offensichtlich ist er nun ganz oben angekommen. Wär schön, wenn er sich in diesen Sphären ein klein wenig von dem bewahrt, was ihn ursprünglich mal geprägt hat. Wenn es dann so ein Kompromiss wird wie bei Alex Clare, dann geht das schon in Ordnung. (Wilde Bootleg-Mixe wird er wahrscheinlich sowieso immer unter die Menschheit bringen.)
PS: Das Schönste oder Erstaunlichste an dem momentanen Erfolg von Too Close ist allerdings, dass der Song erst in gut zwei Wochen auf CD erscheint. Der Verkauf physischer Tonträger hat mittlerweile also nur noch wenig Einfluss darauf, was als Hit gilt.
Die schwedische Band Mando Diao existiert seit 1999 – zumindest unter diesem Namen. Und ziemlich bald, dann auch recht ausdauernd galt sie in gut informierten und meist auch eher jugendlichen Kreisen als absolutes Muss. Die Verkaufszahlen ihrer Alben sprechen da eine deutliche Sprache. 2009 änderte sich dann alles. Es erschien Give Me Fire und daraus die Single Dance With Somebody. Diese entwickelte sich in Windeseile zum waschechten Hit. Irgendwie war das Ganze ja auch sehr viel sanfter als die vorher veröffentlichten Stücke. Mit dem Hit waren dann aber auch die Teenies und Gelegenheitsmusikkonsumenten samt Radiostationen gewonnen – durchaus ein nicht ganz einfaches Publikum. Wer will schon auf der nächsten BRAVO Hits wirklich drauf sein. Und ein Auftritt bei der Ultimativen Chartshow irgendwann in den kommenden Jahren wünscht man höchstens seinen ärgsten Feinden, denn das bedeutet ja, dass die Karriere nunmehr gelaufen ist.
Mando Diao taten also das einzig Richtige. Sie hielten sich mit Veröffentlichungen zurück und verschwanden mehr oder weniger. Natürlich ist das für Vollblutmusiker nicht ganz so einfach, gar nichts mehr zu veröffentlichen. Zum Glück existiert in Schweden schon seit den 70er Jahren ein Künstlernetzwerk namens CALIGOLA. In dieses begaben sich Björn Dixgård und Gustaf Norén, produzierten ein Video und schließlich ein Album. Daraus erschien am 24. Februar die Single Forgive Forget. Auch wenn für die Produktion eine Menge weiterer Musiker und Musikerinnen (unter anderem auch ganz verblüffenderweise Paul van Dyk eingeladen wurden, die Single klingt sehr nach dem, was zuletzt von Mando Diao auch schon veröffentlicht wurde. Weshalb CALIGOLA nunmehr auch eher als Side-Projekt der Band gehalten wird, denn als ein lange bestehendes Netzwerk verschiedenster Akteure.
Nun ist Forgive Forget tatsächlich gut eingängiger Alltagspop. Treibend, ohrwurmmäßig, auch ein klein wenig rauh. Trotzdem setzte sich der Titel zunächst mal nur mäßig durch. Was irgendwie auch ganz schön war. Wie schon erwähnt, wer will schon auf jeder Vorstadtparty Ü30-Publikum zum Tanzen bringen. Am 17. März hatte die Band dann einen Auftritt bei Schlag den Raab. Das brachte der Band einen ordentlichen Schub im Verkauf und der Single eine erste Top 20-Platzierung. Der Erfolg war allerdings nicht wirklich anhaltend. Bis am 31. März der DSDS-Kandidat Daniele Negroni den Titel aussuchte, um ihn in der Show zu präsentieren. Das Publikum (Zielgruppe 9-18 Jahre) war offensichtlich derart beeindruckt, dass nun auch CALIGOLA in dieser Altersgruppe wahrgenommen wurde. Platz 4 im Verkauf – jetzt kann sich die Band eigentlich nur noch wünschen, dass möglichst viele schnell wieder vergessen, wer sie sind. Oder vielleicht sind sie auch froh, endlich richtig gefragt zu sein, Geld zu verdienen und wenigstens ein wenig mehr Qualität in die Charts zu bringen.
Die visuelle Umsetzung bleibt mir trotzdem irgendwie ein Rätsel. Weißgeschminkte Skelett-Gesichter hinter dunklen Mönchskutten sind irgendwie schon auch albern. So ganz ernst meinen es Mando Diao/Caligola dann auch wirklich nicht mit ihrem incognito-Spielchen. Warum sonst reißen sie sich schon nach wenigen Minuten bei ihrem Stefan Raab-Auftritt die Kapuzen vom Kopf. Und warum sind dann doch im Video die Gesichter zu erkennen?
Die Maskerade bleibt also leere Inszenierung, reiner Effekt und CALIGOLA freut sich am Ende tatsächlich über den jüngsten Verkaufserfolg. Sei es ihnen gegönnt.
Die Hoffnung und Rettung des deutschen Rap heißt Casper. So galt es bis vor kurzem. Mittlerweile ist mindestens ein Name dazugekommen, nämlich CRO. Die 14- bis 21-jährigen verfolgen und verehren ihn bereits seit einigen Monaten. Mixtapes, Videos, Tracks – das verbreitete sich rasend schnell durchs Netz und sorgte für ungemeine Popularität auf Schulhöfen und mp3-Playern. Vielleicht ist CRO damit auch der tatsächlich erste Internet-Popstar Deutschlands. In den USA oder Britannien mittlerweile ja sowas wie der Standard hat es in Deutschland bis auf wenige Einzelhits noch kein Künstler so richtig geschafft allein durchs Internet eine solche Bekanntheit zu erlangen, dass die Musikindustrie nicht mehr dran vorbei kann.
Nun ist also CRO da. Nachdem es virtuell also schon ordentlich gefunkt hatte, folgte Anfang des Jahres der Wechsel zu UNIVERSAL Publishing als Verleger. Offensichtlich hatte CRO nunmehr die Nase voll vom “alles gratis” für die Fans. Vielleicht fühlte er einfach auch, dass seine Ideen hervorragende Vorlagen bieten, um schnell kopiert zu werden. Wie auch immer, große Verlagsgesellschaft bedeutete für CRO noch lange nicht, auch das Label zu wechseln oder seine Songs im Netz zu sperren. So erschien Easy also auch als CD unter dem Label Chimperator.
Der Song ist derartig entspannt, dass ich völlig infiziert wurde und an dieser Stelle gar nicht die gewohnte Meckerkeule auspacken kann. Ich mein, sich zu trauen Boney Ms Sunny aus dem Jahr 1976 zu zitieren ist nicht nur mutig, sondern hätte auch ganz schön nach hinten losgehen können. Passiert aber nicht. Und überraschendere Rhymes auf “easy” hab ich tatsächlich noch nicht gehört. Lassen wir es also dabei, es ist ein cooler Song. Zurecht auf Platz 2 der Verkaufscharts gelandet. Und es ist tatsächlich egal, ob das nun Pop oder Rap oder irgendwas dazwischen ist. Schade wird es höchstens sein, dass schon in wenigen Wochen der Titel derartig zu Tode genudelt worden sein wird, dass CRO ziemlich arbeiten muss, um aus diesem Überhitschatten wieder raus zu kommen.
PS: Wenn es denn Meckerei sein soll, dann vielleicht diese: ich mag die Pandamaske nicht ...
PPS: Und wenn ihr auf mehr frischen, deutschsprachigen Sprechgesang steht, dann kann ich euch nur Shaban & Käptn Peng oder den Täubling empfehlen.