Freitag, 20. April 2012
Alex Clare: Too Close
Immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert bis sich ein neuer Stil so endgültig durchsetzt und welche Starthilfen dazu nötig sind. Nehmen wir mal Dubstep. Wenn man den Legenden glauben darf, dann geistert dieser Stil bereits seit Anfang der 2000er durch die Londoner Clubs. Das braucht natürlich eine gewisse Zeit und Einflüsse aus anderen Richtungen, bis so ein Underground-Sound auch außerhalb der Szene ankommt. Spätestens aber seit 2008/09 dürfte selbst die zurückgebliebenste Liebhaberin moderner Musik mitgekriegt haben, was da in Großbritannien alles geht. Chase & Status, Katy B. und Nero waren die Protagonisten, die Dubstep chartfähig machten und erste kommerzielle Erfolge einfuhren. Mit Grime war auch ganz schnell eine HipHop-Version am Start, die ebenfalls in Britannien ordentlich für Furore sorgte. Enter Shikari mixten das Ganze mit Metal. Nur in Deutschland blieb es still.
Zwar berichtete die Zeitschrift de:bug spätestens seit 2006 intensiv über Dubstep und machte auch bald eine mehr oder weniger aktive deutsche Szene mit eigenen Spielarten aus. Aus der Nische kam der Sound aber nicht raus. Klar, die komplette Jugend zwischen 14 und 26 feierte drauf ab, nur der Mainstream-Musikmarkt übte sich fleißig in Ignoranz. Für Deutschland nichts Ungewöhnliches und ein lange eingeübtes Spiel. Innovation spielt hier seltenst eine Rolle. Dass es nun 2012 (also mindestens 5 Jahre zu spät) ein Titel schafft, in voller Breite durchzustarten, ist so etwas wie ein spätes Wunder.
Schuld an der neuen Lust ist ein Mediengigant wie Microsoft. Der hat sich nämlich kurzerhand einen Track aus dem Jahr 2011 geschnappt um die Kampagne zum neuen Internet Explorer zu untermalen. Und wieder frag ich mich: warum schaffen das nicht andere Firmen vorher schon? Ist es tatsächlich nur dieses Unternehmen, dass Neues unter die Massen bringt? – Irgendwie auch eine traurige Angelegenheit.
Nun wär es ein Einfaches, den Erfolg von Too Close tatsächlich nur auf den Einsatz innerhalb eines Werbespots zu reduzieren. Auch wenn ganz sicher die Kampagne wesentlich dazu beiträgt, dass eine Menge Menschen plötzlich mit Dubstep konfrontiert werden. Allerdings muss wenigstens auch die ziemlich clevere Mischung aus Soulgesang und synthetischem Sound erwähnt werden als die Grundlage für den wirklich durchschlagenden Erfolg im Mainstream. Denn zunächst ist da die Stimme von Alex Clare sehr vordergründig. Und die erinnert doch schon arg an Erfolgsinterpreten wie Plan B oder wenn man mal ganz frech ist auch an Songwriter-Helden wie Milow oder James Morrison. Leidende Männer mit Gitarre also. Dass Alex Clare absolut nicht die Masche fährt.nur auf sich und seine Gitarre zu vertrauen (vielleicht noch als höchstes Zugeständnis ein Klavier), sondern stattdessen in die Kiste zeitgemäßen Sounds greift, das macht ihn zu einem sehr modernen und absolut wegweisenden Interpreten.
Nun hat sich Alex Clare mit Diplo allerdings tatsächlich eine ziemlich sichere Nummer als Produzenten ausgesucht. Spätestens seit 2005 gehört er zu den heißen Tips in der Producerszene. Und er hat schon allerlei verschiedene Kollaborationen ausprobiert und so eine Menge an Einflüßen eingepackt. Die erste breite Aufmerksamkeit erhielt er wahrscheinlich durch seine Tätigkeit mit/für M.I.A., bestens bekannt gemacht durch ihren Titel Paper Planes. Drei, vier Jahre später war es dann das irrwitzige Projekt Major Lazer, mit dem Diplo die mp3-Player dieser Welt beglückte. Schnell, respektlos und schrill – das war die Formel. Schließlich gelang ihm an der Seite von Tiësto und Busta Rhymes sogar ein veritabler Charthit als Mainartist.
Mittlerweile gehören zu den Credits von Diplo auch solche Acts wie Santigold und Skrillex und und und … Der neueste Auftrag kam von niemand Geringerem als USHER und beschert Diplo just dieser Tage einen nächsten Top 5 hit in den britischen Charts. Da ist zwar von seinen Fähigkeiten als Dubstep-Zauberer fast gar nichts mehr zu hören, aber offensichtlich ist er nun ganz oben angekommen. Wär schön, wenn er sich in diesen Sphären ein klein wenig von dem bewahrt, was ihn ursprünglich mal geprägt hat. Wenn es dann so ein Kompromiss wird wie bei Alex Clare, dann geht das schon in Ordnung. (Wilde Bootleg-Mixe wird er wahrscheinlich sowieso immer unter die Menschheit bringen.)
PS: Das Schönste oder Erstaunlichste an dem momentanen Erfolg von Too Close ist allerdings, dass der Song erst in gut zwei Wochen auf CD erscheint. Der Verkauf physischer Tonträger hat mittlerweile also nur noch wenig Einfluss darauf, was als Hit gilt.
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