Freitag, 26. April 2013

The Lumineers: Ho Hey

Eine Folk-Welle überrollt uns gerade. Zuerst war es Taylor Swift, die plötzlich alles durfte. Das war noch nicht wirklich ernst zu nehmen, denn als junge Frau erreichte sie wohl auch einige Männer, die erstmal nichts mit Country und Folk zu tun hatten. Meistens übertragen sich solche Leidenschaften ja nicht gleich auf die dargebotene Musik. – Dann kamen die bärtigen Jungs. Zum Beispiel Mumford & Sons. Deren Erfolg ließ schon eher vermuten, dass da gerade etwas passiert. Nicht, dass ihr I Will Wait nicht wirklich auch einen gewissen Charme hatte … allerdings transportierten sie mit ihrem Bodenständigkeits-Getue auch eine Menge an ziemlich verquasten Werten. Ich habe da eine lange Zeit gehofft, dass das unbeabsichtigt passierte. Sicher bin ich mir nach wie vor nicht.

Und dann kam die britische Version von Passenger – nochmal um einiges massenkompatibler gemacht im Singer-Songwriter-Pop-Stil. Nummer 1 für fünf Wochen – das war das Ergebnis in Deutschland. Und im Erfolgswind von Let Her Go segeln nun auch The Lumineers ganz nach vorn in der Gunst der Musikkäufer und –käuferinnen.

Ja ja – sie sind natürlich schon ganz süß und sympathisch die drei. Unschuldig stehen sie da in ihren Holzfällerhemden und Unterwäschekleidchen. Hosenträger und Hut dürfen auch nicht fehlen. Sieht alles schwer in Ordnung aus. Die sind ganz einfach und unkompliziert. Die brauchen keine bis ins Kleinste durchgeplante Werbekampagne oder besonders viel Technik. Mit einer Gitarre und mit Tamburin feiern sie genauso großartige Parties. Ein paar Papierblüten reichen schon als Dekoration. Kindergeburtstag – das ist meine Assoziation.



Sind sie also glücklich die Kinderchen, dass sie ihre Nische gefunden haben. Sollen sie auch sein. Schrecklich wirds nur, wenn man sich ansteht, wofür diese Unschuldslämmchen alles herhalten müssen. The Lumineers beispielsweise verdanken einen Großteil ihres Erfolges auch dem Einsatz ihres Liedes in der Serie Hart Of Dixie. Da geht also die New Yorkerin Dr. Zoe Hart in die Einöde nach Alabama und lernt das biedere Landleben lieben. Das mag als Komödie noch gut dienen – hier wird es aber zum Drama mit entsprechendem Herzschmerz. Ehe Zoe Hart wirklich zu ihrem Herzenseinen kommt, da vergeht schon eine ganze Weile. Und es ist unglaublich kompliziert. Klar, es ist ja schließlich DER EINE, der Auserwählte – da kann sich niemand einen Fehlgriff leisten… Das mit einem Lied wie Ho Hey zu untermalen ist da schon passend. Der Text erzählt genau das: Du gehörst zu mir, ich gehör zu mir, Fehler können wir uns nicht leisten, und wenn das nicht klappt, dann werde ich verbluten…

Das Ganze ist eine Art romantisches und modernes Märchen: Verkitscht und überzuckert - und genauso unwahr. Komplett. Wer sein Leben in einer Kleinstadt verbringen muss, der kennt all die unangenehmen Zwänge und Unzulänglichkeiten, mit denen man dort umgehen muss. Und wer ein bisschen Lebenserfahrung hat, der/die weiß, dass das mit der Liebe und dem gemeinsamen Leben eine ganze Menge an Kompromissen erfordert. Aber das ist natürlich nicht so schön einfach zu erzählen.

Mag sein, dass so ein simples (Land-)Leben für den einen oder die andere tatsächlich der große Traum und die Erfüllung sind – es gibt ja auch hierzulande eine wachsende Menge an wertkonservativen Menschen, die sich auf ihre ruhigen Landhäuser zurückziehen. Ist insgesamt auch gar nichts einzuwenden. Allerdings … woher kommen eigentlich der Wohlstand und die Luxusprodukte, die ja auch das Landleben überhaupt erst angenehm machen?

Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die so sehr das Authentische und Einfache zelebrieren, sich dieser Situation bewusst wären. Und diese bitte auch mittransportieren. Eine Auseinandersetzung mit der großen, globalisierten Kultur- und Gesellschaftsindustrie (und vielleicht auch eine Verweigerungsstrategie dazu) sieht definitiv anders aus. Macklemore & Ryan Lewis machen es vor – die verzichten auf Vermarktung durch ein großes Label. The Lumineers sind dagegen seit Neuestem bei DECCA, die dann auch noch durch UNIVERSAL vertrieben werden – nicht gerade die Firmen, die dem Ideal des Einfachen und Handgemachten entsprechen.

Oder ein anderes Beispiel: vor fünf, sechs Jahren da tobten die ersten Vertreter von Neo-Folk durch die Musiklandschaft. Coco Rosie und Devandra Banhart waren die Vorzeige-Protagonisten. Das war Hippie-Folk vom Allerfeinsten, gleichzeitig aber absolut 2000er, zu keiner Sekunde im Zweifel darüber, dass all dieses Zurück-zum-Authentischen nur funktionieren kann MIT Industrie und komplizierter Vernetzung und Elektronik. Das waren wunderbare Musikstücke und Auftritte, die da entstanden. Sogar für einen wie mich, der mit Folk nur wenig anfangen kann. Davon sind The Lumineers, Passenger oder Mumford & Sons Millionen Lichtjahre entfernt.




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