Da wird in Irland über die Öffnung der Ehe für Homosexuelle positiv abgestimmt und schon ist das Thema in allen Medien. Und den Soundtrack dazu liefert die deutsche Sängerin Anna Naklab. Mit ihrem Cover des Reamonn-Hits Supergirl aus dem Jahr 2000 hat sie einen Track aufgenommen, der zur Hymne der kommenden CSD-Paraden werden könnte. Denn anders als die meisten Interpret*innen, die fremde Hits nochmal aufnehmen, ändert sie nicht das Geschlecht der besungenen Person, sondern lässt alles so wie es Rea Garvey schon im Original gesungen hat. Und himmelt also ihr Supergirl an, das irre Dinge tut, lacht, weint und das Leben in vollen Zügen genießt.
Das Video zu der Neuaufnahme bebildert diese Geschichte genau so. Und fast könnt ich glauben: Alles in Ordnung in Deutschland, wo der Titel sich tatsächlich ganz oben in den Hitparaden platziert. Gleichgeschlechtliche Geschichten sind derartig Mainstream geworden und in der Mitte aller Medien angekommen – worüber wird da eigentlich in der Politik noch gestritten?
Paul Schulz kommt bei der der Beobachtung von Fernsehserien im Sissy-Magazin gerade zu einem ähnlichen Ergebnis und ruft schonmal das "Golden Age of Queer Television" aus. Passiert im Musikvideo genau dasselbe? Take Me To Church von Hozier, insgesamt zwar eher unangenehm, aber zumindest das Video zu Auf uns von Andreas Bourani mit gleichgeschlechtlichem Paar, und natürlich Addicted To You von AVICII – das sind die Beispiele aus den letzten 12 bis 15 Monaten, die es mit homosexuellen Bildern zu Konsens-Hits geschafft haben. Eine ordentlich Ausbeute, die vor 10 Jahren noch ganz anders ausgesehen hätte.
Anders als im TV vermisse ich bei den Musikvideos allerdings die Normalität. Gerade mal Kim Frank (Video zu Auf uns) oder auch Kraftclub schaffen es, zwei sich küssende Jungs zu zeigen ohne großes Drama. Bei Take Me To Church wird noch gegen Homophobie gekämpft (oder zumindest eine Haltung dazu gesucht) und bei Addicted To You wie auch bei Supergirl kommen ganz schön platte Klischees der lesbischen Beziehung zum Tragen:
Wenn sich zwei Frauen lieben, dann müssen das schon Supergirls sein, die ihr Leben ganz allein meistern. Autos reparieren? Kein Problem. Die große Freiheit auf dem Highway durch die Wüste spüren? Yeah! Tankstelle oder Bank überfallen um an Kohle ranzukommen? Na klar! – So sehr ich diese Besetzung ehemals männlicher Domänen durch Frauen mag und großartig finde, in der Version Thelma & Louise hat mir das wesentlich besser gefallen. Wenn das Ganze zusätzlich mit einer Outing-Geschichte vermischt wird … naja, das hat durchaus auch einen nicht ganz so klasse Beigeschmack. Denn was hier erzählt wird ist ja auch: Frau, gerade noch mit einem Typen zusammen, findet in einer anderen Frau endlich das, was sie gesucht hat, traut sich in dieser neuen Konstellation alles und erkennt plötzlich keine moralischen oder ethischen Werte mehr an. Die große, freie Liebe führt sie direkt hinein ins Verbrecherinnenleben. Lesbisch sein ist eben nichts Normales.
Das erzählt uns das Video von Supergirl also auch. Zumal es am Ende der verlassene Typ ist, der die Frau wieder zur Vernunft bringt und (vielleicht) von einer total bescheuerten Tat abhält. Da bereut sie es ja fast schon ein bisschen, dass sie sich wirklich mit einer anderen Frau eingelassen hat, nur wegen eines kleinen Streits...
Mit den wirklich emanzipierten nicht-heterosexuellen Geschichten ist es dann doch noch nicht ganz so einfach.
Man muss die Version von Anna Naklab deshalb nicht grundlegend blöd finden. Immerhin hat sie mit dem DJ Alle Farben und einem Projekt namens YouNotUs den Reamonn-Song tatsächlich auf den Stand von 2015 gebracht. Flockiger Deep-House-Sound statt handgemachter Pop-Rock – Synthesizer und Gitarren-Sample statt echte E-Gitarre und Schlagzeug. In den letzten 15 Jahren hat sich mit den Verteilungswegen von Musik auch der Sound grundlegend gewandelt. Seit die großen Musikfirmen nicht mehr komplett bestimmen können, welche Art von Sound zum Hit wird, hat es die rockorientierte Produktion schwer. Selbst Coldplay lassen sich sicherheitshalber mal von Tim Bergling produzieren.
Mit dem Sound wechselt auch die Stimmung des Liedes. War es bei Reamonn eine irgendwie traurige bis verzweifelte Geschichte: Was soll der Kerl mit der Gitarre mit so einer Frau anfangen, die selbstbestimmt ihr Leben lebt, da fehlt ihm ja völlig die Rolle? – so ist es nun bei Anna Naklab eher eine verträumte und hoffnungsvolle Ode: Supergirls können alles schaffen und wenn man dann einem nahe kommt, dann springt eine Menge von dieser Kraft und diesem Vermögen über.
Das find ich eine gar nicht so verkehrte Botschaft für das Jahr 2015. Jetzt wär es halt nur noch schön, wenn sich auch die Kerle über starke Superfrauen freuen könnten und sich von denen mitreißen lassen würden.
Auch hübsch: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43288/Der-Musiker-als-Kassenzahnarzt
AntwortenLöschenWer sagt den bitte, dass es am Ende der Typ ist, der das blonde Supergirl wieder zur Vernunft bringt? Das ist meines Erachtens eines höchst eigensinnige Interpretation. Was bleibt ihr in diesem Moment anderes übrig, als ihn freundlich anzulächeln und natürlich ihr Vorhaben zu stoppen. Ich sehe vielmehr, dass sie gerade beginnt, ihre Superpower zu aktivieren und sich unsichtbar zu machen...
AntwortenLöschenM,
:-) Gefällt mir gut diese Idee. Da freu ich mich schon auf die Fortsetzung des Videos.
AntwortenLöschenDie Hoffnung bzw. Idee einer Fortsetzung hatte ich auch schon, aber ich fürchte, es wird sie nicht geben und wir werden jeder unsere Vision vom Ende vor Augen haben. Schade, denn auch die beiden Schauspielerinnen, u. a. Julie Engelbrecht, die Tochter von Konstanze Engelbrecht, machen Lust auf ein Mehr, eine Fortsetzung oder gleich einen ganzen Road Movie.
AntwortenLöschenM.
Könntest du dich bitte mehr auf das Lied konzentrieren und das Thema der homosexuellen Medien vielleicht in ein eigenes Thema verpacken und generell weniger Kritik an der heutigen Konsumgesellschaft und mehr auf Liedanalyse bzw. spezifische Liedkritik
AntwortenLöschenHmm - ich glaube, dass Pop ganz viel mit Gesellschaft zu tun hat. Und mit den Medien, die in ihr existieren. Auch die Rand- und Nischenmedien. Deshalb ist mir pure Melodie- und Harmonieanalyse zu wenig - aber das ist tasächlich erstmal vor allem meine ganz eigene Sicht. Es gibt viele, die das anders sehen und handhaben - ist völlig legitim.
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