Wenn ein Sound so richtig populär wird, dann passiert es unweigerlich, dass mit der massenhaften Verbreitung auch eine ordentliche Verflachung und Vereinheitlichung zum Schlagerbrei passiert. Wenn es sich dabei um elektronischen Sound handelt, dann kommt zu dieser Tendenz noch hinzu, dass aus den Kinderzimmern jedes Dorfes neue Tracks in die Welt geworfen werden. Zur einfältigen Herangehensweise gesellt sich dann oft auch noch handwerkliches Laientum.
Bei Deep House war der Verflachungsgrad zu Beginn seiner kommerziellen Popularisierung vor zweidrei Jahren schon ordentlich weit fortgeschritten. Natürlich war dieser Sound immer schon anfällig für solche Tendenzen, denn erklärtermaßen hatte Deep House nie etwas anderes im Sinn als leichte Unterhaltung zu sein. Schlimm wurde das Ganze, als sich zu der Suche nach besonders lauschigen Sound- und Rhythmusstrukturen eine Welthaltung gesellte, die nur noch auf sich selbst bezogen blieb und alles andere rundherum für völlig egal und irrelevant erklärte. Der Riesenerfolg von Klingande stellt hier eine deutliche Marke dar. Irgendwie auch einen Tiefpunkt der Weltabgewandtheit und des Selbstvergessens. Danach waren den furchtbaren Selbstmitleids- und Kindergartenspaß-Hymnen alle Wege geebnet und ich hatte den Eindruck, hier läuft grad der Wettbewerb: Wer kann es noch schlimmer.
Die deutsche (und zu Großen Teilen auch kontinentaleuropäische) Mehrheitsgesellschaft konnte mit dem Sound und der Verweigerung jeglicher Bezüge zum realen Leben sehr viel anfangen. Endlich nicht mehr Probleme wälzen, endlich den Alltagsballast, die Zwänge vergessen und abwerfen, nur noch selbstvergessen in kleiner überschaubarer Gemeinschaft feiern feiern feiern (oder wahlweise auch abhängen und chillen). Mit diesem Desinteresse an allem wird das Leben tatsächlich einfacher, das Glück liegt einem in der Hand und scheinbar nichts kann einen mehr beunruhigen. Außer die doofen Eltern und die Ständig-Engagierten, diejenigen die so negativ drauf sind.
Nun ist Glück etwas, dass jede*r anstrebt und haben will. Wenigstens ein bisschen. Es ist auch akzeptabel, dass es da verschiedene Versionen von Glück gibt: Was die einen in den siebten Himmel hebt, lässt die anderen kotzen. Und genau hier wird das Lebensmodell Deep House problematisch. Wenn neben mir im Club der Nazi oder der Rassist oder der Homphobe genauso Spaß haben kann wie ich und ich das einfach hinnehme (weil ich es nicht weiß und mich das auch nicht interessiert), dann kann es mit dem Glück auch ganz schnell vorbei sein. Wenn der nämlich plötzlich schlecht drauf ist und findet dass im Ausland produzierte Musik nicht in deutsche Clubs gehört und die deutsche Tanzveranstaltung bitte den Weißen vorbehalten bleiben soll und Männer die miteinander rummachen, womöglich noch auf der Tanzfläche, das geht ja gar nicht, dann könnte es sein, dass ich auf einmal eine ganze Menge aufgeben muss. Und dann sind wir möglicherweise ganz schnell wieder bei nur noch Marschmusik.
Ich höre dauernd die Ausrede von Leuten: Ich bin weder rechts noch links – ich bin unpolitisch. Leider kommt mir genau bei diesem Satz genauso regelmäßig das Kotzen, denn das, was da als Unpolitisch und Verweigerung beschrieben wird ist genau das Gegenteil. Es macht nämlich erst möglich, dass "die da oben" machen können, was sie wollen, dass Industriekonzerne und Bankeninteressen unser Leben bestimmen, dass wir verseuchtes Gen-Food essen und nicht nur Plastikbestandteile sondern auch Pestizidreste in unserem Blut haben, die Allergien auslösen oder unser Hormone durcheinander bringen...
Noch einmal: Es darf und soll jede*r selbst entscheiden, ob und wieviel er/sie sich mit Alltag/Gesellschaft/Politik beschäftigt. Selbst der Ausstieg und die Flucht in die Parallelwelt ist legitim – aber bitte: Jammert nicht, wenn dann alles hier den Bach runtergegangen ist, sagt nicht, ihr hättet das alles nicht gewusst. Wir alle sind schuld, wenn es mit dem Leben auf dieser Erde nichts wird.
Solche Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen, als ich den Remix des DJ-Duos Gestört aber geil von Unter meiner Haut das erste Mal hörte. Da sind also diese beiden Jungs aus Sangerhausen, die nichts anderes als Musik machen wollen. Das machen sie nicht mal schlecht. Wie oben beschrieben gibt es eine ganze Menge wesentlich schlimmerer und wirklich unerträglicher Produktionen. Dagegen ist das, was die beiden abliefern sogar richtig gut. Oder eigentlich verstehen sie sich wahrscheinlich auch viel mehr als die DJs, die mit ihrem Set schöne Stimmungen aufbauen können und den Leuten im rechten Moment ordentlich anheizen.
Trotzdem fühle ich mich auf solchen Veranstaltungen zunehmend unwohler. Weil ich eben auch immer mehr hirnverbrannte Partygänger erlebe, die sich wunderbar abschießen um dann danach Häuser anzuzünden, Menschen verprügeln, irgendwas zerschlagen oder Zeug klauen. Ich habe keinen Bock auf solche kaputten Typen, die meist auch im Club schon reichlich aggro und para drauf sind. Und ich finde, das auch die Veranstalter und eben auch DJs hier eine gewisse Verantwortung haben. Einfach zu sagen: Ich kann nicht beeinflussen, wer da in den Club kommt. Das ist mir zu wenig.
Auch als DJ und Produzent kann man Menschen beeinflussen. Zum Beispiel bei der Wahl der Songs, die ich für einen Remix auswähle. Da finde ich Unter meiner Haut schon eher eine mutige Wahl. Im Original von Popstar-Kandidatin Elif (Demirezer) eine beinahe fürchterlich pathetische Nummer. Die Angst vor Trennung und Verlust wird hier zugekippt mit einer unsäglichen Kinoleinwandstreichersauce und ein bisschen Trommeln. Und Elif selbst zelebriert mit ihrer Stimme vor allem fehlerfrei vorgetragenen Gesang, der erst ganz am Ende so etwas wie Verzweiflung oder Leben zulässt. Schwierige Mischung.
Gestört aber Geil sind dann auch nicht über das Original gestolpert, sondern über die Bootleg-Variante von Koby Funk und Wincent Weiss. Auch wenn ich mit dem Sänger und seiner seltsam melancholischen und jammerigen Art genügend Schwierigkeiten hab, hier höre ich zumindest, dass es ihm um etwas geht. Hier höre ich die Angst und Verzweiflung, die der Text beschreibt, auch in der Stimme.
So heult sich der Junge Wincent Weiss also durch seine Unfähigkeit, die richtige Entscheidung zu treffen, und das DJ-Duo macht daraus einen hübschen flockigen Hit. Das ist ordentlich vielschichtig: Es feiert den Moment, die Hoffnung, es huldigt dem Gefühl, dass es nur wenig braucht zum Glück, und es verharmlost den Schmerz auch, denn so lange wir auf der Tanzfläche unser Selbst finden brauchen wir keine Angst haben vor Verlust, zumal wir alle doch reichlich abgesichert sind.
Auch wenn Unter meiner Haut definitiv nicht meinen Geschmack trifft, es beschreibt sehr schön den aktuellen Zustand vieler junger Menschen von heute: Glücksversessen, unschlüssig, ein bisschen angstvoll, aber eigentlich ohne Gefahr völlig aus der Gesellschaft rauszufallen und trotz aller Feierlaune immer auch ordentlich passiv abwartend.
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