Samstag, 11. Juli 2015

Lost Frequencies feat. Janieck Devy: Reality

Es ist die Zeit der anschwappenden Sommerhits. Und damit auch die Zeit der Untiefen. Die meisten Menschen wollen in der Urlaubszeit ja nicht besonders viel nachdenken. Am Strand liegen, sich der Faulheit hingeben, träumen, das Dasein genießen, ein bisschen Alkohol, ein Sommerflirt und natürlich schönes Wetter...

In diesem Jahr mischt sich in dieses unbeschwerte Gefühl eine nicht zu überhörende Melancholie. Ob es nun CRO mit der Trauer um verpasste Chancen ist oder Feder mit dem Beziehungsdrama, ob Anna Naklab oder Gestört aber geil oder auch KYGO – überall schwingt die Angst/Sorge/Trauer um Verpasstes, Vergangenes, Vergängliches, Verluste mit. Nix da mit unbeschwerter Party und Lebensfreude.

Das kann natürlich auch daran liegen, dass gerade die Weltnachrichten nur Böses und Schlimmes vermelden. Da kriege ich einen Schreck und ziehe mich ganz schnell in mein Privates zurück. Mache Augen und Ohren zu, summe ein Lied vor mich hin und hoffe, dass es mich nicht trifft und der ganze Quatsch schnell wieder vorbei ist. In meinem Gesang ist natürlich deutlich zu hören, dass ich eigentlich völlig verzweifelt bin, nicht weiß wo es lang geht – ein kleines Häufchen Unglück.

In dieser großen, überspielten Verzweiflung mischt auch der Belgische DJ Lost Frequencies fleißig mit seinem Sound der verträumten Belanglosigkeit mit. Schon das Frühjahr lang hat er uns mit Are You With Me begleitet, für den Sommer schenkt er uns Reality.

Erstaunlicherweise – oder eigentlich auch gar nicht erstaunlich – greift er hier auf das Muster von 2014 zurück: Gitarrenmelodie und sentimentale Männerstimme. War das nicht bei Mr Probz schon das Erfolgsrezept?

Nun – es funktioniert offenbar immernoch. Auch wenn es weder besonders originell noch irgendwie anders einfallsreich ist. Das schließt sehr schön an den momentan wabernden und blubbernden Alltagssound an, ohne Unterbrechung, und belässt mich also ungestört in meiner Selbstversunkenheit. – Das ist es, was das verzweifelte, verängstigte und unsichere Europa gerade braucht: Realität die keine ist oder nur die eigenen Befindlichkeiten bauchpinselt.

Das Video untermalt den Sound mit einer Bilderwelt aus dem vorigen Jahrhundert. Mindestens. Junger Mann lässt sich faszinieren von Schatzkarte eines Urahnen, findet in Büchern aus einer verstaubten Bibliothek weitere Hinweise, kann damit seine esoterisch angehauchte Freundin irgendwie begeistern und am Ende stehen sie Titanic-mäßig auf einem Boot und sehen einen übernatürlichen Sturm die forschen Schatzsucher vernichten ... Fantasy meets Love Story meets 70er Jahre Kitsch. Das also ist Reality.



Wie scheiße ich diese ewige Rückwärtsgewandheit finde brauche ich an dieser Stelle gar nicht mehr ausführen. Hab ich oft genug getan. Wie doof ich die Geschichten von behütet aufgewachsenen Jugendlichen finde, die vor lauter Langeweile nichts mit sich anzufangen wissen und deshalb halbherzig auf Klassenausflug gehen, kann ich hier ebenfalls nur noch einmal wiederholen. Selbst wenn die Lyrics zu Reality sogar noch recht vieldeutig sind und es zulassen über Möglichkeiten oder die Schönheit des Lebens nachzudenken, Fragen zu stellen – mit der Vertonung wird alles schon reichlich deutlich zur Trauerarbeit über die Unberechenbarkeit des Lebens: Warum tanzen, wenn doch ohnehin gleich der schöne Moment vorüber ist?

Kombiniert mit den Bilderwelten entsteht eine völlig desillusionierte Sicht auf das Leben: Wohlhabende und abgesicherte Kids, die nicht mal mehr wissen wie ein Abenteuer geht. Selbst aktiv werden, fiebrige Neugierde, die zu spontanen Aktionen animiert oder körperliche Anstrengung und Arbeit? Fehlanzeige. Ein gebuchter Ausflug auf dem Fischerkahn geht grad noch. Und wenn dann die Katastrophe, das eigentliche Abenteuer startet, dann können sich die beiden nur noch in die Umarmung flüchten und die dramatische Schönheit aus sicherer Entfernung bestaunen. Das war es jetzt, unser großes wildes Abenteuer. Ein Kinoerlebnis.

Dass diese Geschichte so vielen gefällt, offenbar aus dem Leben erzählt, das lässt mich immer wieder staunen. Schade, dass alles nur noch abgesicherte Medieninszenierungen und Pauschal-Urlaubsangebote sind. Der Ausbruch aus dieser Wattebauschwelt muss dementsprechend krass und extrem ausfallen. Und naiv. Es gibt ja kaum reale Erfahrungen von Not, Lebensangst und existenzieller Bedrohung.

Die Heimkehrergeschichten von deutschen Jugendlichen aus dem IS-Krieg lesen sich genau so: Endlich sollte mal etwas real sein, von Bedeutung, es sollte mal um etwas gehen. Dass Realität dann wirklich auch weh tun kann und echten Verlust und Verzicht bedeutet, das hatten die wenigsten auf dem Schirm.

1 Kommentar:

  1. In erstaunlich weiten Teilen identisch mit dem oben befindlichen Text: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43386/Jung-und-bedroeppelt

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