Samstag, 15. August 2015

Sido Feat. Andreas Bourani: Astronaut

Ok – ich muss mich nun also wirklich mal intensiver mit dem beschäftigen, was sich derzeit so an Raop im Radio breit macht. In dichter Folge hintereinander, nahezu gleichzeitig, platzen da MoTrip, Namika und nun auch noch Sido in die breite Öffentlichkeit und präsentieren uns mit HipHop-Allüre etwas, das ... tja, was denn eigentlich ist?

Um es vorwegzunehmen, MoTrip ist da momentan noch derjenige, welcher am ehesten was mit dem zu tun hat, was ursprünglich unter diesem Stilbegriff zusammen gefasst wurde. Und Sido?

Während seine erste Kostprobe aus dem kommenden Album VII noch ordentlich rau daher kam, schon der Titel Ackan, da ging es noch ran an den Speck ... dagegen ist Astronaut nun ordentlich mitsingfähig. Und deshalb auch um ein Mehrfaches erfolgreicher und präsenter. Ackan erfreute sich ja nur einer mittelmäßigen Nachfrage und war nach zwei Wochen wieder raus aus sämtlichen Wahrnehmungen.

Das ist ohnehin momentan das Seltsame im deutschen Rap: Während die Albumcharts voll sind mit den harten Jungs und Rhymes ... nur mal so zum Erinnern die Nummer 1-Acts von 2015 bisher: Prinz Porno, Vega, Favorite, Deichkind (naja, das geht als Electro-Rap vielleicht grad noch hier durch als ungeglättete Produktion), Frank White aka Fler, Bushido, Farid Bang, SpongBozz, Weekend, Xatar, Genetikk, KC Rebell, K.I.Z ... also klar, da ist in der Masse auch genügend dabei, was jetzt nicht nur Gangsta-Style sein will, sondern eher Spaß-Revolte ... trotzdem: Während sich die Alben der schnell sprechenden und eher bodenständigen Jungs offenbar wirklich gut umsetzen und aus etlichen Autoradios oder von Jugendgrillparties fast schon aggressiv herüberschallen, ist es mit den wirklich beliebten Einzelhits nicht so weit her. Das ist dann alles eher so Lieblingsmensch oder gar Bye Bye. Da sind wir dann im Sound fast schon bei Wolke 4, das hat mit Singen auch nicht viel zu tun und wird trotzdem nicht als Rap bezeichnet.

Mir ist natürlich klar, dass Single-Hits im Radio ganz viel mit Brei zu tun haben (müssen) und deshalb so ein richtig stilechter Rap gar keine Chance hat... obwohl: Anfang der 2000er war Eminem mal der große Held, und das hatte jetzt auch nicht unbedingt nur was mit besonders viel Weichspüler zu tun. Geht also auch anders. Will nur heute niemand so recht hören. Scheinbar.

Sind die Nummer 1-Erfolge der letzten Monate auf dem Albummarkt also auch nichts weiter als Strohfeuer? 1.000 Fans kaufen ganz schnell sobald die Scheibe draußen ist, eine Woche lang der Star auf dem Thron, und danach tiefer tiefer Absturz in der Gunst der Musikkaufenden... Richtiger Erfolg sieht irgendwie auch anders aus.

Das ist ja an sich auch ganz gut, dass die Macker aus dem Ghetto sich selbst treu bleiben und Chart-Stars werden ohne sich zu sehr krumm zu machen. Das muss man erstmal so durchhalten und hinkriegen. Keine Mitgrölhits fabrizieren, fett rumpöbeln auf jeden und alles, und trotzdem von einer nicht unerheblichen Menge gekannt und irgendwie gemocht werden. Oder zumindest so weit bejubelt zu werden, dass es für eine Geschichte im Boulevard reicht. Geschafft: Rap als Lebensstil durchgesetzt und nicht mal viel an Federn verloren...

Auf solch eine Form von Aufrichtigkeit, Straßenverbundenheit oder Stiltreue gibt Sido eher einen Scheiß. Der hat sich schon immer gern eine Maske aufgesetzt, bissel Quatsch gemacht und sich gefreut, wenn dann der Euro rollte. Ja, irgendwie hab ich schon eher den Eindruck, dass es Sido vor allem um Kohle und Medienrummel geht. Der Rest ist dann eher egal. Dazu gehört dann eben auch seit fünf Jahren das Zusammengehen mit jedem und allen, der irgendwas im Medien-Geschäft zu melden hat(te). Nun also Andreas Bourani.

Der gehört seit seiner Fußball-WM-Hymne Auf uns im vergangenen Jahr zum Selbstbeweihräucherungs-Jubel-Nationalgut und fühlt sich in dieser Rolle offenbar auch ziemlich Wohl. Mit Astronaut hat er dann auch wieder einen Grund die eigene Kraft und die Euphorie und gute Laune zu besingen. Sehr viel mehr kommt mit dem Refrain erstmal auch nicht rüber. Dagegen nimmt sich Sidos Part ordentlich reflektiert und bewusst aus. Rollentausch also – auch interessant: Der Rapper, der auf die eigene Verantwortung hinweist und an so etwas appelliert wie Vernunft(?), Solidarität, Menschlichkeit, und daneben der Liedermacher, der sich selbst für viel zu klein und unbedeutend hält, um irgendwas zu bewirken, das Feiern und Fliegen, das geht aber noch.

Die Unentschlossenheit und Zerrissenheit der aktuellen Gesellschaft in einen Song gepackt. Eigentlich sollten wir uns doch positionieren, Stellung beziehen, mal was anpacken und verändern ... aber ach, die große Weltgeschichte wird es uns nicht danken und die kleinen Rädchen eher zermürben. Wir haben irgendwie schon eine Ahnung davon, was Werte sind und wie es gehen sollte dieses Miteinander, nur um das auszuprobieren fehlt uns der Mut.

Hmmm - schade eigentlich. Vielleicht sollte Sido einfach wieder allein Tracks aufnehmen. Rap, der sich traut, auch mal ein bisschen mehr zu erzählen als ständig die Jammernummer vom harten Straßenleben und der Ungerechtigkeit der anderen. Wär' ja auch mal was. Könnte sein, dass es dann nichts mehr mit der Nr.1 wird - aber immer nur Große Koalition ist doch auch Mist, oder?

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