Freitag, 2. Oktober 2015

Glas-Perlen-Spiel: Geiles Leben

Bisher habe ich mich ganz erfolgreich davor drücken können, Glasperlenspiel hier in die Rubrik zerren zu müssen. Damit ist es nun aber vorbei. Denn Geiles Leben, die aktuelle Single des Duos, mausert sich gerade zum erfolgreichsten Hit der beiden. Segelt im derzeitigen Deutschpop-Hype munter in die Top 5 der Verkaufscharts.

Und da sitz' ich nun, halte mir die Ohren zu, weil ich die Biederkeit der Texte nicht ertrage. Und ich frage mich was ich gerade schlimmer finde, dass das Ganze fröhlich-debil an seichten Schlager-Gewässern entlangschippert oder dass die beiden sich permanent diesen intellektuellen Anschein geben?
Helene Fischer und Gestört aber Geil sind mit Sicherheit kein bisschen mehr erträglicher, aber wenigstens stehen sie zu dem, was sie da tun. Da gibt es keine Verklärung und auch keinen Schmus drumrum. Das soll einfach krachen – ganz grundsätzlich, einfach und auf der untersten Stufe. Tut es dann auch meist, vorausgesetzt, man hat genug Alkohol intus.

Glasperlenspiel erzählen mir schon mit ihrem selbstgewählten Namen, dass sie die Weltliteratur kennen und Abi haben. Na bravo!
Und weil es bei Hermann Hesses Roman mehr oder weniger um Erziehung geht, haben sich also auch Glasperlenspiel der Belehrung verschrieben. Mit ihrem ersten Hit Echt vor vier Jahren, da war schon ein gesellschaftskritischer Ton dabei. Es ging um das Wahrhaftige, das Absolute, das Perfekte – das sich in einem einzigen Moment manifestieren kann. (Schlagerweltsicht > siehe Helen Fischer)
Schon damals hab' ich gedacht: Schöne Idee, schöner Ansatz – nur nicht bis zu Ende gedacht. Echtheit, Wahrheit, Objektivität, das sind so schöne idealisierte Konstruktionen, die sich ganz schnell auflösen, wenn man versucht sie festzuschreiben. Da kommt man durchaus auch drauf, muss man nur seine Ideen mit dem wahren Leben und Gefühl abgleichen.

Dann kamen die Oden an die Freunde der Kindheit, das Festhalten an den Wurzeln, die Oden an die Heimat. Ich bin so stolz, Baden-Württemberger zu sein!
Völlig ignorierend, dass es gerade heute nötig ist, sich verändern zu können, flexibel auf die unmöglichsten Herausforderungen zu reagieren und damit Neues zu ermöglichen. Davor haben die beiden Stars aus dem 16.000-Seelen-Ort Stockach aber eher Angst. Zu Hause ist nur da, wo man herkommt. Das ist echt.

Und nun erklären uns Carolin Niemczyk und Daniel Grunenberg also, dass die Welt viel zu oberflächlich ist. Und dass so ein Leben niemanden erfüllen kann.

OK - ich kenne sie auch diese Hohlköpfe, die denken mit viel BlingBling und Party ohne Ende ist das Lebensziel schon erreicht. Ist nicht mein Style. Aber auch nur, weil ich eben an anderer Stelle das finde, was mir Erfüllung gibt. Deshalb maße ich mir nicht an, die Partygesellschaft zu belehren und von meinen Ideen zu überzeugen. Sollen Sie tanzen und feiern – so lange sie mich nicht zwingen permanent mitzumachen kann ich sehr gut damit leben.

Bei Glasperlenspiel fühle ich mich ganz schnell so, wie kürzlich gegenüber dieser Lehrerin, die mir auch permanent erklärt hat, was ich falsch mache und was ich besser zu tun habe. Hallo? Hab' ich eigentlich darum gebeten? Irgendwann ist auch gut mit der Schulpflicht. Das sollten die beiden von Glasperlenspiel eigentlich auch mal begreifen. Wenn ihr Bock habt auf weniger Luxus, na dann macht es doch. Aber versucht nicht, alle anderen davon zu überzeugen, dass der Verzicht viel geiler ist.
Oder wenn ihr es schon nicht lassen könnt mit dem missionieren, dann macht es mit ein paar richtigen Argumenten. Die gibt es nämlich haufenweise.

Aber da muss man sich dann vielleicht doch zu sehr anstrengen. Und kommt eventuell auf nicht ganz einfach Konsequenzen. Glasperlenspiel machen da lieber doch auf Party. Wohlgemerkt: Spießerparty. So ein bisschen Deep-House-Style darf es schon sein. Und sowieso finden sie die Pop-Lounge-Nummer ganz schön. Rosenstolz sind bestimmt wahnsinnig glücklich über diese Nachfolger. Alles immer hübsch inszeniert, mit einer ordentlichen Portion Seichtheit ... fertig ist die Kritik, die niemandem weh tut.



Dem deutschen Volk gefällt das ganz gut. Wir sind ja grade sowas von selbstkritisch: Hilfsbereit und offen, aber auch traditionsbewusst und wirklich nicht der Lückenbüßer für alle. Wir wissen wie das geht mit dem erfolgreichen Leben und können uns hübsch aufregen, wenn sich jemand zu offensichtlich nicht an die Spielregeln hält. Das einzige was uns fehlt ist Empathie für andere, Verständnis dafür, dass es auch andere Konzepte geben könnte als unsere eigenen. Das ist ja auch nicht einfach zu verstehen. Da braucht man dann schon etwas mehr als nur ein BWL-Studium. Da braucht man Erfahrung, vielleicht auch mal das Erleben von etwas ganz anderem. Da reichen zwei Jahre Stuttgart nicht. Wie wär's mal mit Dar-es-Salaam oder auch Arauco?
Und man braucht auch eine Haltung, die auf Eitelkeit verzichtet. Das ist nicht so einfach.

Glasperlenspiel haben das alles nicht. Sie halten sich fest an ihren Gewohnheiten und den klaren Grenzen ihrer bekannten, kleinen Welt. Damit es nicht so sehr auffällt, greifen sie auch mal in den Topf mit Zynismus. So kann man sich offenbar auch heute noch gut inszenieren. Auch wenn das eine Haltung ist, welche eher die 00er bestimmt hat. 2015 geht irgendwie anders.

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