Freitag, 29. April 2016
Era Istrefi: BonBon
Was wissen wir schon über albanische Popmusik? – Gar nichts. Nicht mal die Beiträge zum Eurovision Song Contest aus Albanien sind irgendwie hängengeblieben. Zu fern, zu traditionell, zu folkloristisch, zu kitschig ...
Mit Era Istrefi macht sich nun eine junge Frau auf den Weg, auch über die Grenzen ihres Landes hinaus (geboren ist sie eigentlich im Kosovo) Bekanntheit zu erlangen. Mit ihrer Single Bon Bon hat sie Südosteuropa bereits erobert und kommt gerade in den deutschsprachigen Ländern an.
Der Song bleibt vor allem hängen, wegen seiner Orientierung an internationalen Pop-Standards. Zwischen Elektro-DanceHall und EuroDisco platziert sich die Produktion bewusst im Fahrwasser bekannter Hits. DJ Snake hätte sicher seine Freude dran. Inwieweit hier der albanische Kulturalltag Einflüsse hatte, ich weiß es nicht. Andere Songs von Era Istrefi klingen für mich wesentlich verwurzelter – auch wenn sie teilweise ordentlich im Reggae-Sound platziert sind.
Wahrscheinlich ist es tatsächlich auch überflüssig im Jahr 2016 nach den einzelnen kulturellen Einflüssen zu suchen. Das was Era Istrefi einmal mehr schön demonstriert ist, dass wir uns in einem multikontinentalen Kulturraum befinden, in dem Einflüsse jeglicher Art gern aufgenommen und zu einem neuen Mix verschmolzen werden. Und das Ergebnis spricht demzufolge mehr Menschen an als nur die eigene kleine Familie oder Nation. Während das politische Europa sich aufzulösen droht, hören wir hier was uns das Zusammenrücken und der Austausch bereits gebracht hat.
Wesentlich für den Erfolg von Era Istrefi ist sehr wahrscheinlich ihre freche Art. Mit ihren Songs (und vor allem Texten) hat sie in ihrer Heimat und den angrenzenden Ländern bereits für den einen oder anderen Skandal gesorgt. BonBon macht da keine Ausnahme. Eine sehr selbstbewusste Frau inszeniert sich da explizit als lustvolles Subjekt. Aber auch als ein Mensch, der selbst bestimmt, wo es lang geht: Wenn du mich nicht liebst,
liebe ich mich halt selber – Du bist nur solange König wie ich das sage (Übersetzung hier)
Era Istrefi ist ohne Zweifel das europäische Gegenstück zu Bebe Rexha. Starke Frauen, die wissen was sie wollen und dafür sogar auf Übersetzung verzichten. BonBon ist nahezu komplett in albanisch gesungen – dass sich diese Frau nichts vormachen lässt, ist trotzdem zu spüren. BonBon geht damit über das übliche Mr. Saxobeat-Konzept hinaus. EuroDisco mit Selbstbewusstsein.
Ich denke, BonBon wird uns noch eine Weile begleiten und so etwas wie ein verfrühter Sommerhit werden. Era Istrefi kann ich nur wünschen, dass sie auch nach dem Vertrag mit Major Sony Music ihren Stolz behält und weiter das macht, was ihr gefällt.
Freitag, 22. April 2016
Drake Feat. Wizkid & Kyla: One Dance
Langsam erkämpft sich der kanadische Rapper DRAKE auch hierzulande echten Star-Status. Nachdem er einige Jahre unter dem Radar der deutschen Musikkaufenden geblieben ist, hatte er 2013 mit Hold On We're Going Home so etwas wie einen kleinen Radiohit, der ihm tatsächlich auch einige Musikkäufe bescherte. Im vergangenen Herbst kam dann Hotline Bling – eigentlich eingängig genug um zum Superhit zu werden. Hat dann aber irgendwie doch nicht gereicht. In diesem Winter dann noch mal eine Kollaboration mit Rihanna, sein erster Top 10-Auftritt und nun One Dance.
Der Song dient als Vorabauskopplung seines Albums Views From The 6 und bei der Hysterie, die gerade herrscht, dürfte dieses vermutlich in Kürze ziemlich gut abschneiden.
Was ist das Besondere an One Dance?
Es kommt mit einem variierten AfroBeat daher. Verantwortlich dafür dürfte der nigerianische Musiker Wizkid sein, der hier als featured artist ebenfalls auftaucht. In seiner Heimat und einem guten Teil des afrikanischen Kontinents ist er ein Star, betreibt sein eigenes Plattenlabel und ist langsam auf dem Weg zu weltweitem Erfolg. Für einen Künstler, der den Hauptteil seines Lebens tatsächlich in Nigeria verbringt, eine schwer beachtliche Leistung.
Für One Dance wurde der Beat angereichert mit ein paar rhythmischen Piano-Akkorden, die den Sound für den westlichen Mainstream sehr viel kompatibler machen. Drakes Vocoder-Stimme dazu – fertig ist der Hit für 2016, der hübsch zwischen Ethno und Elektro Platz nimmt.
Das passt gut in die Laune der tropischen HIts von OMI bis SIA/Sean Paul und trotzdem bleibt es synthetisch genug um die hiesigen Dancefloors nicht zu überfordern. Das was sich vor ein paar Jahren noch recht spektakulär als Hybrid-Sound ankündigte ist nun Alltag.
Deshalb nicht unbedingt schlechter. Ich schätze, diese Art der Verschmelzungen und Mischungen wird uns noch eine ganze Weile begleiten. Und dabei auch ein paar Länder/Regionen in unser Bewusstsein bringen, die wir bislang noch nicht als Pop-Kulturräume wahrgenommen haben. Das wird ganz sicher noch sehr spannend.
Freitag, 15. April 2016
Mark Forster: Wir sind gross
Kürzlich bei der bräsigen ECHO-Verleihung, es ist schon fast Schluss, zum Glück, da tritt ein junger Mann auf und es ist weder eine umwerfende Bühnenshow notwendig noch ein besonders manirierter Auftritt, er singt einfach sein Lied, es ist nicht mal besonders griffig – und trotzdem kriegt sogar der Mensch neben mit mit: "Der ist ja völlig über allem, was da heute zu sehen war."
Mark Forster schafft es mit einem durchschnittlichen Auftritt soviel Qualität und Präsenz auf die Bühne zu bringen, dass ich die Mehrheit der in den letzten zwei Stunden aufgetretenen ECHO-Gewinner*innen sofort vergesse und ernsthaft denke "Geht doch!"
Das macht die Show nicht besser und die Mehrheit der deutschsprachigen Produktionen auch nicht, aber es zeigt: Erfolgreiches Liedgut aus Deutschland muss gar nicht grenzdebil oder supervereinfachend sein. Das kann schlau sein, lebensnah modern und kein bisschen überheblich. Woran liegt das?
Vielleicht daran, dass mit Mark Forster jemand Songs macht, der keine Angst hat, über seine Gefühle auch noch ein bisschen nachzudenken. Wenn es mir jetzt gut oder schlecht geht, warum ist das dann so? Und war gestern nicht komplett anders? Warum eigentlich? Ich bin doch der selbe Mensch?
Mark Forster gibt keine Schwarzweiß-Antworten. Wenn er in Wir sind gross seinem übermütig euphorischen Glücksgefühl Ausdruck verleiht, dann folgt als zweiter Satz sofort: "Gewinnen alles und gehen K.O."
Kein Oben ohne Unten. Kein Superheld ohne normale Menschen. Keine Liebe ohne Gegensätze.
Diesen Mut muss man erstmal haben. Den bringen derzeit sehr wenige auf. Einfache Erklärungen gehen den meisten leichter über die Zunge. Leider nicht nur im Schlager- und Rap-Geschäft.
Umso erstaunlicher ist, dass es Mark Forster trotzdem zu ordentlichem Erfolg bringt. Menschen sind nicht einfach nur doof und stets hechelnd auf der Suche nach der nächsten Dröhnung. Gut zu wissen.
Spannend wird, was aus dem Song und aus Mark Forster wird, da Wir sind gross gerade zum Themensong der Fußball EM auserkoren wurde. Wird er den Dauereinsatz überleben? Wird er gleich seinen nächsten Nr.1-Hit verbuchen? Und vor allem: Was macht er danach?
Im besten Fall schafft er es mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben. Oder von gewaltigen Höhen aus den Sichtkontakt auf die Zurückgebliebenen nicht zu verlieren. Wir sind gross lässt da einiges erwarten.
Freitag, 8. April 2016
Fifth Harmony Feat. Ty Dolla $ign: Work From Home
Und hier kommt also das andere Nordamerika.
Nachdem ich in der letzten Woche ein bisschen auf einer Entwicklung herumgeklopft habe, die vielleicht auch aus einem neuen Selbstverständnis eigene Wege geht, muss ich heute hinzufügen: und es gibt natürlich auch immer noch das bekannte, seit Jahren durchexerzierte Modell von Kultur und Gesellschaft. Hier also das Modell Casting-Girlgroup. Allerdings auch in den USA mittlerweile mit ein paar Abnutzungserscheinungen.
Fifth Harmony heißt das aktuelle Erfolgsprojekt, das 2012 mit X-Factor zusammengeworfen wurde, dort den dritten Platz belegte und drei Jahre später die einzigen Teilnehmer der Show sind, die überhaupt noch irgendeine Art Medienpräsenz haben. Man muss auch dazu sagen: eine wachsende. Das mag daran liegen, dass an der Inszenierung noch ein paar Kleinigkeiten geändert wurden um dem Geschmack der 2010er etwas mehr zu entsprechen. Dazu gleich mehr. Vorher noch dieser Satz: die Pussycat Dolls als letzte große Girlgroup waren wesentlich schneller On Top. Mittlerweile reicht es also nicht eine Fernsehshow auszustrahlen und fünf junge Mädchen als musikalische Hoffnungsträger hochzuinszenieren.
Bei der ersten Begegnung mit Fifth Harmony – in Europa dürfte das bei den meisten irgendwann im Sommer letzten Jahres der Fall gewesen sein – erschrickt man ein bisschen: Ups, das geht wirklich immer noch? Fünf junge Frauen geben den Backgroudn ab für einen Rapper wie Kid Ink, sind sich dabei nichtmal zu blöd aufs rein sexuell-attraktive Beiwerk reduziert zu werden. OK, Worth It war sogar catchy und mitreißend, insgesamt eine gute Produktion. Die Rollenbilder und -stereotype wollte man da aber lieber nicht so genau angucken.
Jetzt mit Work From Home gibt's noch einen drauf. Ja, das geht. Director X traut sich im Video tatsächlich die Bauerbeiter-Fantasie wieder rauszuholen. Ist das jetzt ernsthaft eine Verbeugung vor den 70ern? Das letzte Mal habe ich dieses Thema in bulgarischen Travestie-Videos für schwule Männer gesehen – das war sogar lustig in seiner Überdrehtheit. Von der ist Work From Home ganz schön weit weg und sieht deshalb überhaupt nicht ironisch aus sondern doch schon ganz schön nah am feuchten Traum eines MIttdreißigers. Oder will mir Director X jetzt erzählen, dass das hier die Fantasien junger Frauen sind?
Gut, jede entscheidet selbst, worauf sie steht und was ihr erotisch gefällt. Ich bin hier raus.
Im Text sind die Damen wesentlich selbstbestimmter. Sie beschweren sich darüber, dass der Kerl ständig beim Job ist – nie zu Hause. Dabei würden sie jetzt so gern ... Also schicken sie sexy Bildchen von sich um dem Typen zu zeigen, was ihm alles entgeht: Zu Hause wartet auch Arbeit auf dich.
Das ist am Ende auch nicht sehr weit weg von der Schlüpfrigkeit und den Träumen des eher konservativen Mainstreams: Die Damen langweilen sich zu Hause und haben überhaupt keine Idee, was sie anfangen könnten ohne ihren Mann, der das Geld verdient, für den Luxus sorgt. Im Jahr 2016 sollten sexuell vernachlässigte Frauen andere Möglichkeiten haben, ihren Kerl zurückzuerobern, als nur erotische Nachrichten zu verschicken. Zumal das ja auch nicht wirklich zu funktionieren scheint.
Auch hier gilt natürlich: die fünf Ladies dürfen gern für sich selbst entscheiden, wie sie sich definieren, welche Rolle sie spielen. Wenn es ihnen gefällt als verlassene sexy Lady zu Hause ausgehalten zu werden … bitte sehr. Schlimm bis gefährlich finde ich es, dieses ordentlich dämliche und einfältige Rollenbild popmäßig zu glorifizieren. Das sieht nämlich schnell danach aus, dass das der ultimative Lebensentwurf sein könnte. Barbie lässt grüßen.
Von dem überraschend Authentischen, das ihre ersten Auftritte noch hatten, ist in der neuen Version der Fifth Harmonies gar nichts mehr übrig – hat sich ja auch nicht so wahnsinnig verkauft. Stattdessen packt man auch hier mit Ty Dolla $ign einen ordentlichen Bad Boy dazu, denn was nützt schon alle Sexyness, wenn man die Unterwürfigkeit nur allein behauptet. Mit so einem Macho von der Straße wird das Spiel mit Verlangen und (männlicher) Triebbefriedigung doch sehr viel anschaulicher.
Am Ende bleibt also ein cooler Beat, der sich auch ein bisschen an Rihanna's Work orientiert – bewusst oder zufällig ist dabei egal –, dann aber doch nur ein eher ödes Abziehbild von Sexualität wiederholt. Hätte auch anders laufen können.
Nachdem ich in der letzten Woche ein bisschen auf einer Entwicklung herumgeklopft habe, die vielleicht auch aus einem neuen Selbstverständnis eigene Wege geht, muss ich heute hinzufügen: und es gibt natürlich auch immer noch das bekannte, seit Jahren durchexerzierte Modell von Kultur und Gesellschaft. Hier also das Modell Casting-Girlgroup. Allerdings auch in den USA mittlerweile mit ein paar Abnutzungserscheinungen.
Fifth Harmony heißt das aktuelle Erfolgsprojekt, das 2012 mit X-Factor zusammengeworfen wurde, dort den dritten Platz belegte und drei Jahre später die einzigen Teilnehmer der Show sind, die überhaupt noch irgendeine Art Medienpräsenz haben. Man muss auch dazu sagen: eine wachsende. Das mag daran liegen, dass an der Inszenierung noch ein paar Kleinigkeiten geändert wurden um dem Geschmack der 2010er etwas mehr zu entsprechen. Dazu gleich mehr. Vorher noch dieser Satz: die Pussycat Dolls als letzte große Girlgroup waren wesentlich schneller On Top. Mittlerweile reicht es also nicht eine Fernsehshow auszustrahlen und fünf junge Mädchen als musikalische Hoffnungsträger hochzuinszenieren.
Bei der ersten Begegnung mit Fifth Harmony – in Europa dürfte das bei den meisten irgendwann im Sommer letzten Jahres der Fall gewesen sein – erschrickt man ein bisschen: Ups, das geht wirklich immer noch? Fünf junge Frauen geben den Backgroudn ab für einen Rapper wie Kid Ink, sind sich dabei nichtmal zu blöd aufs rein sexuell-attraktive Beiwerk reduziert zu werden. OK, Worth It war sogar catchy und mitreißend, insgesamt eine gute Produktion. Die Rollenbilder und -stereotype wollte man da aber lieber nicht so genau angucken.
Jetzt mit Work From Home gibt's noch einen drauf. Ja, das geht. Director X traut sich im Video tatsächlich die Bauerbeiter-Fantasie wieder rauszuholen. Ist das jetzt ernsthaft eine Verbeugung vor den 70ern? Das letzte Mal habe ich dieses Thema in bulgarischen Travestie-Videos für schwule Männer gesehen – das war sogar lustig in seiner Überdrehtheit. Von der ist Work From Home ganz schön weit weg und sieht deshalb überhaupt nicht ironisch aus sondern doch schon ganz schön nah am feuchten Traum eines MIttdreißigers. Oder will mir Director X jetzt erzählen, dass das hier die Fantasien junger Frauen sind?
Gut, jede entscheidet selbst, worauf sie steht und was ihr erotisch gefällt. Ich bin hier raus.
Im Text sind die Damen wesentlich selbstbestimmter. Sie beschweren sich darüber, dass der Kerl ständig beim Job ist – nie zu Hause. Dabei würden sie jetzt so gern ... Also schicken sie sexy Bildchen von sich um dem Typen zu zeigen, was ihm alles entgeht: Zu Hause wartet auch Arbeit auf dich.
Das ist am Ende auch nicht sehr weit weg von der Schlüpfrigkeit und den Träumen des eher konservativen Mainstreams: Die Damen langweilen sich zu Hause und haben überhaupt keine Idee, was sie anfangen könnten ohne ihren Mann, der das Geld verdient, für den Luxus sorgt. Im Jahr 2016 sollten sexuell vernachlässigte Frauen andere Möglichkeiten haben, ihren Kerl zurückzuerobern, als nur erotische Nachrichten zu verschicken. Zumal das ja auch nicht wirklich zu funktionieren scheint.
Auch hier gilt natürlich: die fünf Ladies dürfen gern für sich selbst entscheiden, wie sie sich definieren, welche Rolle sie spielen. Wenn es ihnen gefällt als verlassene sexy Lady zu Hause ausgehalten zu werden … bitte sehr. Schlimm bis gefährlich finde ich es, dieses ordentlich dämliche und einfältige Rollenbild popmäßig zu glorifizieren. Das sieht nämlich schnell danach aus, dass das der ultimative Lebensentwurf sein könnte. Barbie lässt grüßen.
Von dem überraschend Authentischen, das ihre ersten Auftritte noch hatten, ist in der neuen Version der Fifth Harmonies gar nichts mehr übrig – hat sich ja auch nicht so wahnsinnig verkauft. Stattdessen packt man auch hier mit Ty Dolla $ign einen ordentlichen Bad Boy dazu, denn was nützt schon alle Sexyness, wenn man die Unterwürfigkeit nur allein behauptet. Mit so einem Macho von der Straße wird das Spiel mit Verlangen und (männlicher) Triebbefriedigung doch sehr viel anschaulicher.
Am Ende bleibt also ein cooler Beat, der sich auch ein bisschen an Rihanna's Work orientiert – bewusst oder zufällig ist dabei egal –, dann aber doch nur ein eher ödes Abziehbild von Sexualität wiederholt. Hätte auch anders laufen können.
Freitag, 1. April 2016
G-Eazy X Bebe Rexha: Me, Myself & I
Wieviel Individualismus verträgt diese Welt? Oder wieviel Fremdbestimmung wollen wir zulassen? Und muss man zwangsläufig einsam sein, wenn man einen eigenen Willen hat, seinen eigenen Plan verfolgt? – In den USA werden diese Fragen dann doch recht häufig mit einem Aufbäumen beantwortet: Bleibt mir vom Hals mit eurer gutgemeinten Gesellschaft! Ich will erstmal für mich sein.
Eine der direkteren Formulierungen dieser Aussage liefern derzeit G-Eazy & Bebe Rexha, zwei Jungstars die sich offenbar gerade anschicken den Musikmarkt ein bisschen aufzumöbeln. Schnoddrig und laut schleudern sie uns ihre Weltsicht entgegen. Das hat gehörig was von den frühen 2000ern. EMINEM hätte es vermutlich ähnlich hingereimt – vielleicht noch einen Tick aggressiver. Auch das Video sieht auf den ersten Blick ganz schön 2000er poliert aus: Schnelle Autos, chices Penthouse, cool herumhängende Partygäste.
Aber so ganz stimmt das Bild nicht. Wir sind nicht mehr im Jahr 2000. G-Eazy kann sich plötzlich teilen und ganz viele Sichtweisen einnehmen. Auch wenn er den Zustand hasst, weiß er doch, dass er ihn selbst heraufbeschworen hat. Er hätte ja kein erfolgreicher Rapper werden müssen. – Das ist der Unterschied zu den Gangstern der letzten Dekaden: Hier hat sich nicht einer gegen die Widrigkeiten der Welt durchgesetzt und ist King, hier ist jemand ganz oben und trotzdem nicht zufrieden. Denn dieser ganze Fame und die Dauer-Party sind einfach nur laaaaangweilig. Was genau war nochmal der Kick am Macker sein?
Auch Bebe Rexha hat ein anderes Selbstverständnis. Das Selbstverliebte der 2000er brauchte immer noch ein Gegenüber um sich zu spiegeln. Frau war immer nur dann vollständig, wenn Mann sie geil fand. Wie selbstbestimmt diese Rolle auch immer war – ganz ohne Typ gings nicht.
2016 reicht dann aber doch ein cooler Beat und die eigene Party kann beginnen. Da brauch ich nichtmal mehr meine Facebook-Freunde. Vielleicht ist das der konsequenteste, der finale Narzissmus.
Das mag als Gesellschaftsutopie ganz schön gruselig klingen: Lauter selbstbezogene Individuen, die völlig angenervt vom sozialen Dasein sich selbst genügen. Diese Menschen sind zwar offenbar mit sich im Reinen und ganz schön unabhängig vom ständigen Online-Getue. Wo es kein Verlangen nach sozialer Anerkennung gibt, da gibt es vermutlich auch keinen Neid. Das klingt dann sogar schon fast utopisch-buddhistisch. Sei bei dir und das ganze Drumrum wird unwichtig.
Am Ende gibt aber auch G-Eazy zu: so richtig der Hit ist das mit dem ständig allein sein auch nicht. Wenn man so kalt ist, dass einen gar nichts mehr berührt, dann kann das eventuell doch ganz schön einsam werden.
Mehr oder weniger deklinieren das auch andere Künstler aus Nordamerika/Australien grad durch: SIA feiert sich ziemlich autark durch die Clubs, die neue Rihanna stilisiert sich als unnahbar kalte Stil-Ikone, die twentyøne piløts haben sowieso völlig ihren eigenen Film laufen und irgendwie lotet selbst TheWeeknd die Tiefen der modernen Ent-Beziehung aus. Da gibt es offenbar ein großes Thema: Wie geht man damit um, wenn Gemeinschaft zur Einschränkung des Ich wird?
Me, Myself & I könnte hier als "Fuck Off!" verstanden werden. Eine Protestäußerung, eine Unabhängigkeitserklärung. Die es aber weniger darauf anlegt, die Umgebung zu ändern. Hier geht es eher darum einfach etwas anderes zu leben. Oder zumindest den Versuch dazu zu starten.
Funktioniert alles natürlich nur, wenn man es sich leisten kann. Unabhängig ein eigenes (Aussteiger-)Leben durchziehen, das ist schon eher die abgesicherte Generation Bausparvertrag, die das Einfamilienhaus in der Vorstadt zwar ablehnt, aber immer noch als Absicherung in der Hinterhand hat.
Das mag in Nordamerika auch das Attraktive sein. So viel Abgesichertheit besitzen, dass man es sich leisten kann, sein eigenes Ding durchzuziehen.
Auch von Europa aus gesehen, besitzen diese Versuche, Visionen und Ansätze durchaus Attraktivität. Hier allerdings eher als ein Gegenpol zu den popmedial erfolgreich inszenierten Sehnsüchten, die sich vor allem um solche Werte wie Freundschaft, Gemeinschaft oder Schutz vor der Einsamkeit ranken. Ich erinnere nur an die Biederkeitshymne von Glasperlenspiel. Was da alles schon nicht mal mehr gedacht werden kann, weil überall Entwurzelung droht und Verlust der Identität. Ich kann doch nur vollständig sein innerhalb von Beziehungen oder wenigstens Netzwerken...
Und schon haben wir den tagesaktuellen Schlamassel schön auf dem Präsentierteller: Europa das will so gern zusammen gehören, das möchte gern eine Gemeinschaft sein. Gleichzeitig geht das aber alles nicht, denn wo bleibt denn sonst der Einzelne (Staat)? Das bin ich doch alles gar nicht mehr. Das ist doch nur noch ein wirres Durcheinander. Was ist bloß passiert mit meiner schönen gewohnten Ordnung?
Nordamerika ist da irgendwie cooler. Klar gibt es dort auch Probleme und Fragen und Ängste. G-Eazy bringt es ziemlich deutlich auf den Punkt. Das heißt aber noch lange nicht, dass man an sich selbst zweifeln muss. Eher umgekehrt: Erstmal steht da ein Ich, ein Eigeninteresse, ein Individuum. Und dann kann man mal gucken, was noch so rundrum passiert. Und wenn die andern nicht mitmachen wollen oder nerven, na dann zieht man eben allein los. Das muss man erstmal so unverschämt hinkriegen.
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