Freitag, 7. April 2017
Luis Fonsi Ft. Daddy Yankee: Despacito
Latino-Pop auf spanisch gehört mittlerweile zum festen Repertoire der deutschen Charts. Alle paar Monate bringt es ein heißblütiger Titel zu mittlerer Popularität. Gern aus Südamerika, gern von einem gutaussehenden Macho-Lover gesungen, meistens ziemlich sexualisiert und mit einem tanzbaren Karibik-Beat unterlegt. Natürlich stehen da die Ladies, allen voran Shakira, keinen Deut zurück. Und der deutsche Durchschnittsbürger erhält den Eindruck: In Mittel- und Südamerika geht es nur um eines. Klar, ist ja auch immerzu so heiß, dass man sich gern und schnell der Hüllen entledigt und Haut genug zeigt …
Das Phänomen ist natürlich keineswegs neu. Den karibisch angehauchten Hit gab es schon in den 50ern und 60ern, damals eher noch von europäischen Schlagerbarden intoniert. Ende der 1980er war Lambada der körperlich explizite Tanz-Hit der Saison. Naja, und Shakira macht seit Anfang der 2000er ohnehin nicht viel anderes als Balztanz auf der Bühne.
Vor etwa 10 Jahren gab es die letzte Ergänzung und Modernisierung des Repertoires. Da hievte Raggaton mit seinen Spielarten den Karibik-Sound ins elektronische Zeitalter. Daddy Yankee war damals einer, der den Zug nutzten konnte und mit Gasolina einen Hit einfuhr. Nicht, dass er musikalisch der experimentierfreudigste war – er konnte sich einfach ganz gut verkaufen.
Seit dieser Zeit hat sich der Beat Stück für Stück durchgesetzt und ist mittlerweile Bestandteil von ungefähr eines Drittels aller internationalen Hits von SIA bis Clean Bandit. Und auch die Hits aus Mittel- und Südamerika werden rhythmisch zerhackter, elektronischer, härter – und tauchen häufiger auch in europäischen Hitlisten auf. Jüngstes Beispiel ist nun Despacito, gesungen von Schmuseheld Luis Fonsi, der sich so wie sein europäischer Kollege Enrique Iglesas ein bisschen Street-Credibility einkauft und für seinen neuen Song ein "Featuring" dranhängt, hinter dem dann Daddy Yankee steht.
In Puerto Rico sind die beiden Riesenstars, der Sprung in die USamerikanische Szene war ebenfalls nicht schwer und die Rekorde purzelten nur so: Meistgesehenes spanisches Video innerhalb der ersten 24 Stunden auf Vevo, schnellstes spanischsprachiges Video, das 800 Millionen Views erreicht, der Hit, der in den meisten Lateinamerikanischen Ländern gleichzeitig auf der 1 stand … Nun ist auch Europa dran.
Und die Klischees funktionieren hier offenbar ebenso. Sex sells. Der Latino, der sabbernd durch die Bar fegt, die Hand im Schritt – ein Rollenbild, das einige deutsche Männer auch für sich ganz gern adaptieren würden. Die derzeit mächtig erfolgreichen deutschen Rapstars erzählen von nichts anderem: links und rechts die Ladies, die einem zu Füßen liegen – in der Mitte der Blingbling-King.
Bei Fonsi und Daddy Yankee ist es vielleicht noch etwas subtiler. Immerhin träumen beide ja erstmal nur davon, was sie alles tun würden. Und worauf sie Lust hätten. Und es geht ganz traditionell um die eine Frau, die es zu begatten gilt. Dass die beiden Herren dabei keinen Zweifel daran lassen, dass sie die größten Liebhaber sind, also genau wissen, was ihr gefällt und es gar nicht nötig haben, in ihren Fantasien auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen, dass es eventuell auch darum gehen könnte, die Angebetete glücklich zu machen ... typisch egozentrische Macho-Weltsicht.
Natürlich geht es in solchen Songs nur um Äußerlichkeiten: Die Frau geht vorbei, die Kinnlade des Mannes klappt runter und hormongesteuert kann er nur noch hinter ihr her schwarwenzeln. Eine Frau, die derartig gut aussieht, muss man einfach erobern wollen. Wenigstens für eine Nacht. Der Jagdinstinkt ist erwacht, das Begehren lodert, es geht um Trophäen, die man sich umhängen kann, um nicht mehr und nicht weniger.
Und damit sind wir beim Grund des Erfolges von Espacito. Es will nicht mehr, als einen winzigen Moment feiern. Kein Wort von Beziehung und einander verstehen und all dem komplizierten Zeug. Einfach nur in die Kiste – möglichst schnell – und dieses Spiel genossen.
Das ist sozusagen der Sound zu den Dating Apps und Abschleppparties der Jetzt-Zeit. Und es ist der Sound der Wunschträume. Denn in Realität funktioniert der ganze Dating-Kram nur bedingt. Da wird rumgezickt und falsch gespielt, Verabredungen werden gemacht, die dann plötzlich nicht zustande kommen. Und hinter den coolen Profilen verbergen sich dann doch nur Menschen mit einem Haufen Komplexen.
Despacito ist sowas wie die Werbeversprechung auf tindr. Hol dir die heiße Frau, den potenten Mann ins Bett. Es ist ganz einfach. Alle sind willig.
Das Leben in echt ist dann doch anders. Gerade hab ich diesen Bericht gehört über die Singles, die nach Berlin ziehen um das große Abenteuer zu erleben und dann sind sie sagenhaft enttäuscht, dass sie im Club nicht den Partner ihres Lebens finden. Laaangweilig! Und der Jung-Journalist, der zur (erotischen) Berührerin geht, dann aber doch ganz verklemmt den Kontakt abbricht, wenn es in seine Hose gehen soll… Ängstlich, spießbürgerlich und inkonsequent.
Und deshalb sind Luis Fonsi und Daddy Yankee Stars. Die trauen sich alles das. Die sind geil und cool. Zumindest im Video. Im echten Leben ist der Fonsi-Bär wahrscheinlich auch nichts weiter als ein ganz lieber, kuschliger Junge, der nur zurück in Mamas Schoß will…
Naja, darüber kann man derzeit keine richtigen Popsongs machen. Träumen wir also weiter von unseren Abziehbildern!
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