Freitag, 20. Dezember 2019
SAMRA: COLT
Verlorene Jugend. Verzweifelte Jugend. SAMRA singt uns ein Lied davon.
Für ihn gibt es kein Morgen. Sein Leben, von Anfang an so verkorkst und verquer, da bleibt nur die Überholspur um überhaupt zu spüren, dass man noch wach ist. Und auch der Erfolg, die Rolex, die Louis-Tasche - gibt alles dem Sein keinen Sinn. Also jeden Tag so leben als wäre es der letzte. Und genau diesen Augenblick auch forcieren. SAMRA ist einer, der wird eher glücklich sein im Angesicht des Todes.
Vor 30 Jahren machte diese Lebenseinstellung die Runde unter Verschwende Deine Jugend. Ende 2019 muss es heißen COLT.
In dieser Konsequenz hat mir das in den letzten Jahren kaum jemand erzählt. Gut, dass es SAMRA ist, der das macht. In seinen besten Tracks war schon zu spüren, dass er das Gefühl Verzweiflung kennt. Dass er weiß, was Ohnmacht und Leere ist. Nach wie vor beeindruckend Cataleya. COLT hat das Zeug dazu, noch länger im Gedächtnis zu bleiben.
Natürlich sind es nicht nur die Rhymes allein. Die Produktion vom noch recht jungen Team Lukas Piano & Greckoe verleiht dem Track eine eiskalte Brutalität. Die Pistolenschüsse sind mir zwar ein wenig zu fett aufgetragen ... aber gut, dafür holt der Synthie-Loop im Hintergrund den Track immer wieder schön zurück auf den verspiegelten Boden.
Heiko Hammer fügt dem Track ein Video hinzu, dass vor allem in den Szenen vor überstrahltem animiertem Hintergrund eine gleichwertige Entsprechung zu Samras Lyrics liefert. Ansonsten brennt mal wieder ein Auto - ein Bild, das durch seine Massenverwurstung gar nichts mehr bedeutet.
Nach COLT kann ich einfach nur sagen: SAMRA, schnapp dir das Produzentenduo und mach dein Ding.
Freitag, 13. Dezember 2019
NIMO & HAVA:
Kein Schlaf
Nimo schlägt Samra. Verzweifeltes Liebeslied schlägt Ego-Nummer. Schlager schlägt harten Rap.
Das ist wohl die Botschaft dieser Woche. Naja, ist ja auch kurz vor Weihnachten, da geht's dann doch vermehrt um Beziehungen.
Und ich kann mich nicht so recht erwehren: immer wieder denke ich an Juju & Henning May. Auch wenn die weiterhin das Pop-Prinzessinnen-Team 2019 bleiben und sowieso ganz anders klingen. Macht aber offenbar erfolgreich die Geschlechter zu mischen und zusammen hinters Mikro zu stellen.
Nimo also legt nach. Karma war ganz schön schlimm. Kein Schlaf bringts da schon zu wesentlich mehr Geradlinigkeit. Ist immer noch ein Leidenssong - allerdings schon ordentlich verzweifelt. Da ist der Schmerz größer als die Vergewisserung, dass es einem schlecht gibt. Und deshalb funktioniert Kein Schlaf besser.
Das ist dann insgesamt schon beachtlich, denn bei flüchtigem Hören könnte ich meinen Karma und Kein Schlaf sind ein und dieselben Tracks. Kreativität ist also nicht unbedingt Nimos Sache. Dürfte den meisten egal sein: Nimoriginal steht jetzt schon als großer No.1-Favorit für die kommende Woche fest.
Aufpassen muss Nimo natürlich schon ein bisschen. Mit seinen Songs und Styling ist er ordentlich in der Fahrspur "großer Teddybär". Weiß nicht, inwieweit er wirklich dieses Image bedienen will.
Schön auf jeden Fall, dass deutsch bei Kein Schlaf gemischt wird mit bosnisch und persisch. Tut jedem Song gut, wenns bisschen internationaler wird.
Freitag, 6. Dezember 2019
Capital Bra: Der Bratan bleibt der Gleiche
Als J.Lo 2002 schwörte "I'm still Jenny from the block", da war sie schon meilenweit entfernt von ihrem Street Life. Ihr Herz, sicher, das schlug noch für die Ghetto Kids und die alten Hoods - trotzdem lebte sie ein Leben in Prunk und Braus und ohne die ganzen Sorgen und Probleme, die man so als Looser einer Gesellschaft halt hat. Gekauft haben ihre Hits Leute, die es sich leisten konnten, die sich mit ihren Geschichten ein bisschen Social Flavour ins Leben holen wollten: "Du, ich höre auch R'n'b. Ich weiß, wie hart das Leben ist..." - Blablabla...
Der Bratan scheint 2019 also an einem ähnlichen Punkt angekommen zu sein - so habe ich den Titel zuerst gelesen. Und dann stellt sich heraus, dass es doch um andere Dinge geht. Mit Der Bratan bleibt der Gleiche wird Bra nämlich ordentlich persönlich. Er erzählt seine Geschichte - also die der letzten Wochen. Der RapSong als Nachrichtenmedium.
Da wird viel gedisst und geschimpft. Auf arabische Clans. Auf Erpressungsversuche. - Zurecht. "Der Bratan bleibt der Gleiche" zielt vor allem darauf ab, dass sich Vladislav Balovatsky nicht erpressen lässt. Das, was bei der Geschichte dann doch irgendwie auch seltsam ist, der Rapper, der ja sonst sehr stark darauf pocht, dass er sich aus allem Mist selbst rausholt, soll sich wohl selbst an die Polizei gewandt haben. Legt zumindest raptastisch.net nahe.
Weiß man natürlich nicht was dran ist. Die mediale Maschine ist da nicht immer so genau mit den Tatsachen. Zumindest stünde so ein Verhalten im krassen Gegensatz zu dem, was Bra noch Anfang des Jahres von sich gegeben hat. Erinnert sich noch jemand an seine Trennung von Bushido?
Bratan bleibt der Gleiche ist auch die bockige Verlautbarung, dass Bra trotz aller Verleumdungen und Neidern weiter ein Garant für die Nr.1 der Charts ist. Der Track beweist es. - Da ist der Bra dann doch um ein paar Schritte weiter als J.Lo. Er behauptet gar nicht erst, dass er noch zu den Plattenbauloosern gehört. Sein Leben spielt sich in anderen Sphären ab. Demut ist so 2000er - heute wird geprotzt ohne Scheu.
Musikalisch bietet der Bra mit diesem Song nichts Neues. Klassischer Style, klassisches Storytelling ... kann man machen, seine Ausflüge in den Pop oder andere Gebiete finde ich allemal spannender. Oder wenigstens lustiger, weil so schön doof-albern.
Richtig schlimm ist an dem Track vor allem die Schlussfolgerung fast zum Ende seiner Geschichte:
Ich bin kein Lehrer, ich bin kein Politiker. Ich hab nix studiert oder so'n Scheiß, aber ich weiß was vom Leben.
Da geh'ich mit. Nur weil jemand studiert oder in dem System eine große Nummer ist, heißt das noch lange nicht, dass diese*r was vom Leben weiß. Auswendig gelernte Knochennamen oder Paragraphen erzeugen 0 Erfahrung.
Und ich weiß, Gott ist auf unsrer Seite, bei den Menschen die ein reines Herz haben.
Wie jetzt? Bei meinem ganzen Leben geht's um Gott? - Ich hoffe schwer, dass dieses vermaledeite Gott-Ding nur so ein Bild ist für Glück haben/sich wohl fühlen/keinen Neid in sich tragen ...
Allerdings macht mir das mit dem reinen Herz echte Sorgen. Das klingt nach Beichte und Aberglaube und Sündenablass ... Ausgerechnet Capital Bra, der ja nun auch nicht gerade der Freund der totalen Einhaltung der 10 Gebote ist, erzählt uns was von reinem Herzen für Gott. Was soll das eigentlich sein? Reines Herz - einfach nur sich selber treu bleiben oder was?
Habt ein reines Herz und ihr kommt weiter!
Genau, das muss dann als Schlussfolgerung kommen. Lebt so wie der Bra und ihr kommt weiter. Wobei ich "reines Herz" und "weiterkommen" einfach mal als "halbwegs aufrecht durchs Leben gehen" deute. Zu seinen Werten stehen. Sich nicht korrumpieren lassen. - Diese Haltung auch bei Bra zu entdecken krieg ich vielleicht noch hin. Das er ein komplett "reines Herz" hat, das trau ich ihm echt zu. Ob das am Ende dann reicht für ein gutes Miteinander, das ist hier mal die Frage. Ich fürchte, dass die völlige Konzentration auf das Ich allein noch nichts reißt. Könnte ja auch sein, dass man selbst einfach nicht alle Informationen hat und genau deshalb Mist baut. Beispiele dafür gibts in der Geschichte genug. Sogar im noch kurzen Leben des Bratan.
Oberlehrer Bra, der uns was vom Leben beibringen will - das ist irgendwie nicht die coolste Rolle für einen noch ziemlich jungen Erfolgsrapper. Da hab ich Angst, dass gleich Xavier Naidoo aus der Kiste gesprungen kommt, der mir auch immerzu erzählen will, was ich zu denken habe. Danke, kein Bedarf!
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