Samstag, 7. Juli 2012

TACABRO: Tacatà

Ist das jetzt der Sommerhit für das Jahr 2012? Abgesehen von fußballbeeinflussten Hymnen und Eurovisions-Gewummer scheint Proleten-Dance aus Süditalien im Moment das Ding zu sein, welches die Massen in Verzückung setzt.

Tacatá ist schon beim ersten Hören ordentlich debil. Und das nicht mal wegen der ziemlich direkten Kopie von zwei Rezepten aus dem letzten Sommer: Mr. Saxobeat meets Sak Noel.

Das, was den Track wirklich peinlich macht ist der sinnlos-spanische Mitmachtext:

La gente bailando il Tacatà, tu mondo gridando Tacatà.
Suona il volume de Tacatà.
Muovi tuo culito Tacatà.

Die Menschen tanzen den Tacatá, die ganze Welt schreit Tacatá
Es klingt der Druck des Tacatá.
Beweg dein Arsch, Tacatá.


Erfinde einfach eine irgendwie nachmachbare Schrittfolge (Powackeln inklusive) und preise diese in SCOOTER-Manier an. Fertig isser der Feger für die Mallorca-Ibiza-Sause. So betrunken kann man doch aber eigentlich gar nicht sein.

Das Rezept hat natürlich schon 10.000 mal funktioniert: Macarena, Ketchup Song und am Ende auch so etwas wie Noosssaaa!. Und nur damit ich nicht falsch verstanden werde, ich finde einfältige Sommerhits durchaus berechtigt. Is ja nicht so, dass wir nicht alle auch mal Situationen oder Tage haben, in denen es um nichts anderes gehen soll als ausgelassene Albernheit und gern auch mal stupide Triebbefriedigung auf niedrigstem Niveau. – Der Bedarf an völlig entindividualisierten Abläufen ist mir da allerdings irgendwie suspekt. Und dieser Bedarf scheint enorm groß zu sein. (und momentan zu wachsen) Ist der Zwang zum eigenen Ausdruck so unaushaltbar heutzutage? Was ist so spannend am gleichförmigen Mitmarschieren?



Interessant an Tacatá ist die völlig verdrehte Darstellung von Männlichkeit. Die beiden DJs Mario Romano und Salvatore Sapienza entsprechen in ihrem Style noch ziemlich genau dem Italo-Sexprotz, der nichts weiter will als Party feiern. Natürlich mit einer gehörigen Portion an Stilbewusstsein. Sänger Martínez Rodríguez dagegen ist allerdings alles andere als ein Macho-Symbol. Als Fashion Victim, der sogar enge Nickerbocker zum Schrei der Saison erhebt, gehört er eher Fraktion Lachnummer an, der auch Choreograf Bruce Darnell entstammt. Feminin bis tuntig und niemals wirklich ernst zu nehmen. Als Grundlage für ein Star-Dasein wahrscheinlich enorm anstrengend. Oder will jemand ernsthaft die Ganze Zeit der Klassenkasper sein, der bei der erstbesten Gelegenheit mit Schlamm beworfen und verhöhnt wird? Und wer will mit solch einem Paradiesvogel wirklich feiern? Der Erfolg einer solchen Figur könnte entweder für sehr große gesellschaftliche Offenheit stehen in der Art: Sei einfach wie du bist, wir akzeptieren alles und haben gemeinsam Spaß, leben miteinander und es ist völlig ok so. Oder er steht für das genaue Gegenteil und eine eher menschenunwürdige Haltung: gut, dass es diesen exzentrischen Vogel gibt, der uns unterhält und animiert, aber reales Leben, das ist was anderes. Und in meinem Büroalltag möchte ich den Typen schon gar nicht haben, bzw. sorge dafür dass so etwas mit großen Augen begafft wird.

Dass der Titel als Teaser für die derzeit unglaublich populäre Soap Berlin Tag und Nacht benutzt wird, erzählt einiges. In der Serie geht’s ja im Grunde auch um nichts anderes als Party. Das Figurenensemble entstammt einer nicht gerade gesellschaftskritischen Schicht, die mit ihren kleinen Beziehungsproblemen bzw. der Sucht nach dem nächsten Kick schon ziemlich zu kämpfen hat um ihr Leben irgendwie erfüllt zu empfinden. Schön durchmischt mit allerlei schrägen Figuren und Paradiesvögeln könnte die Serie auch ein ganz sympathisches Abbild unserer Party-Gesellschaft sein. Aber irgendwie ist es dann doch immer wieder ordentlich peinlich zu sehen mit welcher Dummheit da Dinge passieren und getan werden.



Vielleicht ist zu viel Party dann doch nicht so gut für ein selbstbestimmtes Leben. Jedenfalls, wenn es da gar nichts Eigenes gibt. Aber vielleicht bin auch ich jetzt einfach der Spießer, weil ich nicht einsehen kann, dass auch meine Forderung nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung völlig überholt ist.





1 Kommentar:

  1. Nur mal als Ergänzung: sinnlos rumtanzen und abfeiern ist nicht automatisch immer nur stumpfsinnig. Zumindest lässt sich das schön nachlesen bei Felix Denk und Sven von Thülen "Der Klang der Familie" http://www.sf-magazin.de/felix-denk-der-klang-der-familie---berlin,-techno-und-die-wende,b4559.html

    AntwortenLöschen