Deutsche Musik ist derzeit ungemein erfolgreich. Etwa ein Drittel der deutschen Verkaufscharts von media control sind Produktionen aus Deutschland. Und derzeit bedienen sich etwa zwei Drittel der gelisteten Acts der deutschen Sprache. Am beliebtesten sind dabei HipHop und Rap-Produktion. So sind die zwei am häufigsten notierten Acts 2012 bisher Pop-Rapper CRO und Spaß-HipHop-Formation Deichkind. Die beiden werden gefolgt von Multikult-Band culcha candela, die ja auch nicht ganz so weit weg sind vom Sprechgesang. Erst dahinter rangiert Dancemusic von r.i.o..
Rap ist also angesagt. Und hier kommt das nächste Erfolgsprojekt: XAVAS sind – unschwer zu erkennen – Xavier Naidoo und Kool Savas. Schon bei der bloßen Ankündigung war mir klar, dass das ziemlich schlimm wird. Und nachdem der Titel nun offiziell veröffentlicht ist und sich in allen möglichen Listen ganz oben durchsetzte, fällt das Urteil kaum besser aus.
Es beginnt schwülstig mit Streichern, Klavier und Hammondorgel. Dann der Refrain:
“Und ich schau nicht mehr zurück
aber wenn ich zurückschau seh’ ich nur mein Glück.
Alles andre hab ich gerne zugeschüttet
und mit schönene Erinnerungen einfach überbrückt.
Glaub mir Bruder, ich schau nicht mehr zurück.”
Also an sich ist es ja ganz löblich, nicht permanent nur an der Vergangenheit zu kleben. Das Leben ist heute, nicht gestern. Aber schlechte Erinnerungen und Unliebsames einfach zu vergessen finde ich jetzt auch nicht unbedingt die Lösung. Wie war das zwischen 33 und 45? Das ist sicher keine schöne Zeit. Vergessen und mit guten Erinnerungen zuschütten (ach ja, damals haben Männer noch was erleben können im Krieg) ist da wohl eher fehl am Platze. Beides muss gehen: nach vorn schauen, das Jetzt genießen und trotzdem wissen, dass es auch mal totale Scheiß-Zeiten im Leben gab. Das macht es übrigens auch viel einfacher, die Schönheit und das Glück des Moments zu genießen. Was Herr Naidoo mit seiner Geschichtsglättung bezweckt – ich weiß es nicht.
Einsatz Kool Savas: der ist insgesamt doch ein wenig mehr reflektierter. Der weiß schon eher, dass es nicht immer nur rosa war. Allerdings gehört zu ihm auch immer dieses “Ich mach mein Ding”-Getue – ich der starke Killer, ich, der’s drauf hat. Das ist auch nervend, denn Stärke besteht ja vor allem darin auch mal zuzugeben, dass es jetzt eben nicht besonders cool war, was man da fabriziert hat. Fehler und Irrtümer zugeben zu können, das macht doch einen Typen erst richtig stark. Der unfehlbare Halbgott ist langweilig ohne Ende. Und außerdem umso lächerlicher, wenn’s dann wirklich mal etwas daneben war (und das kommt sehr oft vor). In solchen Momenten hilft dem Macho nur, seine Position mit Gewalt wieder einzufordern. Idiotisch!
Diese zwei Positionen befinden sich nun in einem Song. Das könnte ich jetzt enorm positiv auslegen: genialer Streich – die Zerrissenheit der Welt in einem Popsong eingepackt. Leider will mir das irgendwie nicht gelingen ... Allerdings find ich's auch schwierig zu behaupten, die beiden hätten das nicht bei der Produktion bemerkt, dass sie im Grunde von verschiedenen Dingen sprechen.
Wirklich gar keinen Sinn macht das Video: ein Mann, so ein Naturbursche, auf der Suche nach dem Bergsee. Hmm, was fang ich denn damit an? Der lonesome Cowboy, der allem trotzen muss, der es schafft aus eigener Kraft und mit seinem Willen alle Hindernisse und Widrigkeiten zu überwinden. Um dann die Wunder der Natur zu bestaunen? Naja, wenigstens fährt Xavier Naidoo ein schnelles Auto. (Find ich irgendwie auch lustig, dass der Soul-Gott neuerdings so auf Protz und BlingBling steht. – War das eigentlich schon immer so?)
Warum ist solch ein Titel so wahnsinnig erfolgreich? Ich nehme an, es ist die Einfachheit der Gedanken. Klingt ja erstmal total gut, wenn ich behaupte, alles Schlechte kann ich überwinden und vergessen. Dann kann ich auch vergessen, aus welchen tristen Verhältnissen ich komme, dass meine Familie und damit die mir anerzogenen Werte, eigentlich total spießig sind. Dann kann ich einfach so weitermachen wie bisher – und behaupten es wäre etwas anderes. Und ich muss niemals zugeben, dass auch ich mich erst entwickeln musste zu dem was ich bin. Ich war schon immer der kluge King.
Das klingt cool. Das gibt dem geplagten Menschen aus der Vorstadt und aus den abwegigsten Verhältnissen Selbstvertrauen und Stolz. Und das ist ja genau die Art, wie sich die deutsche Gesellschaft gerade aufführt. Intern enbenso wie international. Wir wissen's, wir haben's gepachtet das Glück und den Erfolg und die Stärke. Alle andern sind Looser.
Wahrscheinlich haben weder Xavier Naidoo noch Kool Savas diese Dimension im Kopf gehabt. Was sie wollen ist ja eher Musik für den Typen von der Straße. Dem will man Mut geben und Zuversicht. Der soll sich wiederfinden im Durchhalteparolenbrei. Das funktioniert auch recht gut. Platz 2 in der ersten Woche nach Veröffentlichung der Single. Für Xavier Naidoo nichts Besonderes, für Kool Savas immerhin die höchste Chartposition, die er jemals erreicht hat. Klar, dass er nichts mehr von gestern wissen will.
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