Freitag, 27. März 2015

James Bay: Hold Back The River

Von den 12 Titeln, die ich in 2015 bisher auseinander genommen haben gehören fünf in die Sparte Deep House. Ein Trend, eine Vorliebe, die sich aus 2014 also ganz massiv fortsetzt.

Ein weiterer, ebenfalls seit einiger Zeit (einigen Jahren) beliebter Stil ist der des möglichst authentischen Singer-Songwriters. Jungs, die meist sehr romantisch und elegisch auf unser Leben und unsere Welt schauen und diese Sicht mit der Gitarre im Arm vertonen. Der letzte richtig erfolgreiche Titel war wohl Take Me To Church von Hozier. Davor hießen die Protagonisten George Ezra, Vance Joy oder auch Ed Sheeran. Und nun ist es James Bay.

Der Junge ist mit Hold Back The River gerade zu einer der großen Hoffnungen von 2015 ausgerufen worden. Und tatsächlich schleicht sich der Song in die Radios und Hirnwindungen der Menschen und beißt sich dort fest.

Nun mag diese Eingängigkeit ein wichtiger Faktor für den Erfolg sein. Ich habe das Gefühl, diesen Song schonmal gehört zu haben, so als Hintergrund, kann mich aber nicht genau erinnern, aber irgendwie war es eine schöne Assoziation… So ungefähr werde ich infiltriert und eingenommen von dem Song.

Kann auch sein, dass James Bay mit seiner verrückten Ähnlichkeit zu Johnny Depp in Dead Man auf ähnliche Weise mit unserem kulturellen Unterbewusstsein spielt. Der Film ist ein wunderbar schräges und sehr sehr elegisches Epos. Was nach dem Ansehen bleibt ist gar nicht so sehr die Geschichte, sondern diese melancholisch skurrile Atmosphäre. Und die Erinnerung an einen ebensolchen Soundtrack von Neil Young.
Und nun steht da mit James Bay wieder ein Mann in der Landschaft, spielt Gitarre und ich habe ein klein wenig das Gefühl, der gehört doch gar nicht hier hin. Dem muss ich doch irgendwie in seiner Verlorenheit beiwohnen.

Kann natürlich auch sein, dass diese sehr introvertierten Liedermacher-Gitarren-Lieder einfach super sind, um durch den Deep House-Reißwolf geleiert zu werden. Auch von Hold Back The River gibt es bereits einige Versionen, die zumindest im Netz ordentlich abgefeiert werden. Da verbindet sich einmal mehr die Lust am Lounge-Lala mit der romantischen Sehnsucht nach dem ungefälschten Gefühl.

Ich denke aber nach wie vor, neben all diesen Faktoren ist es vor allem die Kompliziertheit der Welt, welche so viele nach den einfachen und simplen, den authentischen Liedern und Sängern greifen lässt. Diese verkörpern ein funktionierendes Wertesystem, auf das ich mich wirklich verlassen kann. Das zeigt sich schon in winizigen Details. Zum Beispiel sind es vornehmlich Männer, die hier die Bühne betreten (und mit Empathie empfangen werden). Der Trubel um Birdy, die ja durchaus als Protagonistin dieser Stilform gezählt werden kann, der Hype um sie dauerte nicht sehr lang und ist mittlerweile auch schon zwei Jahre her.

Mit den Männern, die die Welt und unsere Wahrnehmung beherrschen, sind wir auf der sicheren Seite. Die haben uns schon immer ganz gut die Welt erklärt, warum soll das plötzlich alles falsch sein? Bei Frauen weiß man nie so genau, ob deren Ansichten wirklich der Wahrheit entsprechen. Da ist doch ziemlich viel an Emotionalität im Spiel...
So doof diese Vorurteile sind, die Musiker*innen selber bedienen sie ganz gut. Bei den meisten Sängerinnen, die in den letzten Jahren mit Erfolg durch Gitarren-Songs auf sich aufmerksam machten, war eben immer noch etwas mehr drin als nur authentischer Gitarrenklang und Retro-Duseligkeit. Siehe an dieser Stelle durchaus auch das Werk von Birdy. Oder gern auch Lorde.

Es ist also durchaus häufig ein (altmodischer) Gegenentwurf zur uns umgebenden Welt, der da mit den einfachen Liedchen zelebriert wird. In diesem Sinne ein unzeitgemäßer Traum, eine Vision, eine Erinnerung. Und da die meisten der Singer-Songwriter sehr wohl wissen, dass es in der Geschichte niemals ein Zurück gibt, wird diese Unwirklichkeit, diese Unmöglichkeit besonders betont. Sehr gern als ein melancholischer und bereuender Rückblick. So wie bei Hold Back The River.

James Bay trauert um eine vergangene Beziehung. Er trauert um das, was er verloren hat. Ein bisschen schwingt hier auch mit, dass der Wert dieses Zusammenseins im Augenblick der Gemeinsamkeit nicht so präsent war. Da gibt es das "Hätte" genauso wie die Beschreibung, dass das Leben sich irgendwie zwischen die zwei gedrängt hätte. Wenn es den Alltag nicht gegeben hätte, dann, ja dann...
Das erinnert mich alles auch ordentlich an Let Her Go, diesen unsäglichen Riesenhit von Passenger. Und das macht mich immer wieder auch ein bisschen ärgerlich. Dass offenbar so viele Menschen nicht in der Lage sind zu erkennen, wann es Ihnen gut geht, wann Sie etwas Wertvolles erleben oder besitzen und dass man eben da auch etwas tun muss, um das zu schützen oder zu bewahren, das erzählt eine Menge über unsere Welt. Über unsere Oberflächlichkeit. Und über unsere Unfähigkeit, mit dem Leben, mit uns umzugehen.

Nun – ich mag James Bay nicht zu viel Spekulatives unterstellen. Eventuell war ihm schon sehr bewusst, wie großartig das war, was er jetzt im Nachhinein beschreibt. Und das was er auslebt mit seinem Song ist die Trauer über den Verlust. Die Trauer auch darüber, das ja doch Nichts ewig so bleiben kann wie es ist.
Mit dieser Tatsache umzugehen, heißt ja nicht unbedingt, den Schmerz, die Traurigkeit, den Verlust nicht mehr ernst nehmen zu können, nicht mehr zu fühlen. Ich wünsche mir nur, dass diese Trauer und Verzweiflung nicht ewig anhalten und zum Dauerzustand werden. Das wäre dann doch ein eher ätzendes Lebenskonzept.

Dass Romantik und Authentizität mit Fröhlichkeit, Witz und sogar zeitgemäßen Konstellationen wunderbar zusammen geht, hat gerade Ed Sheeran bei seiner großartigen Kooperation mit Hoodie Allen bewiesen. Aber das ist ein anderer Song...


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