Freitag, 29. März 2019

Capital Bra:
Cherry Lady



Irgendwie ist es ja auch schon ganz schön langweilig geworden im deutschsprachigen Musikgeschäft. Jede Woche eine neue Nummer 1 von einem Schlagerrapper - mehrheitlich ist es gerade Capital Bra (der ja laut Wikipedia immer noch als Ukrainer durchgeht - auch spannend). Und jede Woche hör ich mich durch den Track, der alle so begeistert und höre gar keine richtigen Unterschiede. Sogar die Ain't Nobody-Glöckchen sind wieder dabei. Muss natürlich auch nicht sein, dass da Neues oder Abgrenzung stattfindet. Derzeit geht es eher um so etwas wie den ununterbrochenen Soundtrack, der ruhig identisch und möglichst gleichförmig klingen soll. Und wenn man dann schonmal einen Helden hat, dann wird der natürlich mit jeder Veröffentlichung gefeiert.

Bra ist nun also erfolgreicher als die Beatles - zumindest was die Anzahl der Nummer 1-Hits angeht. Was die Verweildauer auf dem Spitzenplatz angeht, da muss Bra noch ein bisschen dran arbeiten. Nicht gesagt, dass ihm das nicht gelingt - nur eben noch nicht jetzt. Der wirkliche Thron ist also noch etwas entfernt.

Da es aber ums Entthronisieren geht, hat sich Bra schonmal die Peinlichkeits-Helden der 80er vorgenommen: Modern Talking. Dass es also Dieter Bohlens erstes Superprojekt ist, dass den Bra reizt, unterstreicht noch einmal sehr schön, in welchem Kulturkreis wir uns bewegen. Da gibt es nichts, was zu billig ist - wir himmeln Gucci zwar an, meinen aber vor allem den Massenmarkt. Fremd schämen ist Bra ohnehin egal - klar, so lange der Griven rollt, muss mir nichts peinlich sein. Katja Krasavice macht es schließlich auch mit jedem. Bei Bra heißt es dann konsequenterweise auch: Du bist was Besondres, eine Frau fürs Leben oder für 'ne Nacht.

Bei Modern Talking ging es vor 34 Jahren noch darum die angebetete Kirschenlady für sich zu gewinnen. Mann war zu lange einsam, sehnte sich nach ein bisschen Romantik und Liebe - und offerierte sein Herz. Natürlich mit der Bitte, dieses nicht zu verlieren. So viel Bettelei muss sich Bra nicht antun. Der hat schon gewonnen und nimmt sich die Lady einfach. Das ist der Unterschied zwischen den Machos in den 80ern und den Prolls von heute.






Auffällig ist bei Bra auf jeden Fall, dass er mehrfach betont, wie geil es ist, endlich allein mit Cherry Lady zu sein. Der Terror der ewigen sozialen Kontrolle, in der Gang, im Digitalsozialen, im Studio, auf der Straße ... da muss man nicht mal ein großer Star sein, um diese ganzen (gesellschaftlichen) Zwänge zu hassen. Mit dieser Offenheit präsentiert uns der Rapper ein Stück von seinem Seelenleben. Und inszeniert drumrum wie gewohnt ein ordentlich debiles Video, dass genau das zeigt: Mein Leben ist zwar voller Spaß, Ihr Zuschauer seid mir aber sowas von egal, langweilt euch ruhig, während ich hier im Bett rumtobe. Natürlich kommt das bei der voyeuristischen Masse total gut an. Die schaut ja auch zu, wenn sich Leute in Schaufenster legen und öffentlich Wohnen. Die Hoffnung ist immer: Da wird sicher gleich was passieren, was ich mir nie habe träumen lassen. Oder: Gut, dass es bei anderen auch nur so Scheiße ist, wie in meinem Leben.

Wenn man sich da mal anschaut, mit wieviel Aufwand Modern Talking 1985 noch ihre Geschichte verpackt haben. Wildeste Inszenierung, mystische Villen im Nebel, futuristisch geheimnisvolle Spielfelder und Glaskugeln - und immer auch ganz deutlich: wir machen Musik. Mit Instrumenten, mit Technik. Da habens die jungen Kids aus den zu Ende gehenden 2010ern schon sehr sehr viel einfacher. Kann man ruhig auch ein bisschen neidisch drauf sein.

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